Krefeld Warum die Dionysius-Kirche ein Wahrzeichen ist

Krefeld · Die Geschichte der Krefelder Dionysius-Kirche zeigt: Nicht Politiker oder Historiker, sondern starke Gefühle der Menschen entscheiden darüber, was ein Wahrzeichen wird.

Der Dio-Turm bekommt eine neue Spitze
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Der Dio-Turm bekommt eine neue Spitze

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Auf der Wikipedia-Seite von Krefeld werden zwei Bauwerke Wahrzeichen der Stadt genannt: das Rathaus, 1794 als Stadtpalais der Familie von der Leyen gebaut, und Meister Ponzelar, das Seidenweber-Denkmal auf dem Südwall. Im Internet finden sich ferner Belege, in denen die Burg Linn Wahrzeichen Krefelds heißt — ebenso wie die große, 1853 erbaute Synagoge Krefelds, die die Nazis 1938 in der Reichspogromnacht zerstörten.

Und natürlich wird wieder und wieder die Dionysius-Kirche, über deren Sanierung in diesen Tagen entschieden wird, als Wahrzeichen tituliert. Wann wird ein Bauwerk zum Wahrzeichen? Nicht Ratsbeschlüsse oder das Urteil von Historikern, sondern das Gefühl der Menschen machen ein Bauwerk dazu. Ein schöner Beleg, wie so etwas funktioniert, findet sich in einer Ausgabe der Kirchenzeitung für das Bistum Aachen aus dem Jahr 1950.

Kein geborenes Wahrzeichen

Bei der Dionysius-Kirche liegt dieses Wahrzeichen-Gefühl nicht ohne weiteres auf der Hand. Die 1754 errichtete Kirche beherrschte lange Zeit nicht das Stadtbild. Bis 1890 wurde "die Silhouette des industriellen Krefelds von der Kuppel der Synagoge und dem Turm der Alten Kirche geprägt", schreibt Krefelds ehemaliger Stadtarchivar Paul-Günter Schulte. Krefeld hatte damals 104 000 Einwohner, davon knapp 22 000 Evangelische, gut 80 000 Katholiken sowie knapp 2000 Juden.

Der Turm der Dionysius-Kirche galt zu dieser Zeit als zu klein. Entscheidend ist: Der Neubau eines Turms wurde von Anfang nicht als quasi katholisches Projekt gesehen. Der neue Turm sollte vielmehr städtebaulicher Ausdruck einer selbstbewussten Industriestadt sein, die um das Jahr 1850 noch 40 000 Einwohner zählte und innerhalb einer Generation zu einer Metropole geworden war.

Im Jahr 1890 lautete die Begründung für den Turmbau: "Die Dionysius-Kirche liegt im Mittelpunkt der Stadt Crefeld. Die schönste und verkehrsreichste Straße der Stadt — die Rheinstraße — mündet in das Turmportal der Kirche. Das Bauwerk erscheint für die heutige Großstadt als eine Karikatur und gibt dem schönsten Teil der Stadt ein dorfähnliches Aussehen. Es ist nicht allein der Wunsch der Katholiken, dass ein Turm aufgeführt werde, welcher der jetzigen Bedeutung der Stadt entspricht." Der Turm war also von Anfang als Wahrzeichen geplant.

Der Plan ging auf. Der neue Turm wurde 1894 fertiggestellt. In einem Gedicht zur Weihe des Bauwerks 1896 heißt es über den Turm: "Ein Zeichen sei's der Vaterstadt/ zum Himmelsdom die Thür." Stadtarchivar a.D. Schulte resümiert, das danach mehr als 50 Prozent aller Krefelder Postkartenmotive die Ansicht über die Rheinstraße auf den Turm der Dionysius-Kirche als Symbol für Krefeld zeigten.

"Ein Zeichen sei's der Vaterstadt" — der Zweite Weltkrieg hat diesen Turm mit ganz anderen, viel tieferen Gefühlen als Stolz ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben. Von den Kirchentürmen der Innenstadt hat nur der Dionysius-Turm den Krieg überstanden. Die Kirche ragte aus einem Trümmerfeld hervor. Dieses erschütternde Szenario dokumentiert 1950 das Titelfoto der Kirchenzeitung Aachen.

Die Schlagzeile dazu kündet von Gefühlen des Schreckens, aber auch der Hoffnung: "St. Dionysius — das Wahrzeichen der Stadt ringt sich als Garant des unermüdlichen Aufbauwillens, dank der tatkräftigen Hilfe aller Gläubigen, aus den Trümmern zur neuen Wohnstätte Gottes empor." In dem Heft wird dann unter der Überschrift "Die weltberühmte Seidenstadt" über den Wiederaufbau der Kirchen berichtet. Im Zusammenhang mit der St.-Anna-Kirche heißt es etwa, Kirche und Krypta verkörperten "so sehr ein Stück Heimat, daß sie die Pfarrkinder mit unwiderstehlicher Kraft wieder anzog."

Auch wenn sein Bild die Titelseite einer Kirchenzeitung zierte: Der Dionysius-Turm stand eben nicht nur für das katholische Krefeld, sondern für die ganze Stadt. Das ausgerechnet dieser Turm stehen blieb, mag vielen Trost und Mut gegeben haben. Wenn er bis dahin noch keines gewesen sein sollte - spätestens damit wurde der Turm der Dionysius-Kirche zum Wahrzeichen der Stadt.

(RP)
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