Markus Schön, Fachbereich Jugendhilfe Was ist in den Familien los, Herr Schön?

Krefeld · Wir sprachen mit dem neuen Jugendamtsleiter über Vorhaben für 2018, den Unterschied zwischen dem reichen München und dem armen Krefeld - und über das schwierige Leben als Fußballfan von Bayern München im Rheinland.

 "Es gibt immer wieder Einzelfälle, die einen bewegen. Wichtig ist, dass man nicht zu viel mit nach Hause nimmt." Markus Schön Neuer Leiter des Fachbereichs Jugendhilfe und Beschäftigungsförderung

"Es gibt immer wieder Einzelfälle, die einen bewegen. Wichtig ist, dass man nicht zu viel mit nach Hause nimmt." Markus Schön Neuer Leiter des Fachbereichs Jugendhilfe und Beschäftigungsförderung

Foto: Lammertz Thomas

Sie stammen aus München und sind Bayern-München-Fan. Haben Sie hier einen schweren Stand?

Schön Der Kämmerer ist Bayern-München-Mitglied, das macht es angenehmer. Als Jugendamtsleiter einen guten Draht zum Kämmerer zu haben, kann nicht schaden. Ansonsten hält sich die Bayern-Begeisterung hier in engen Grenzen.

Keine Hassgesänge vor dem Amtszimmer?

Schön Nein, das wird schon. Mein Vorgesetzter, Herr Micus, ist Gladbach-Fan. Dirk Plassmann aus dem Büro des Oberbürgermeisters ist BVB-Fan. Ich freunde mich zunehmend mit dem KFC Uerdingen an. Das verbindet.

Sie kommen aus einer wohlhabenden Stadt in eine Stadt mit breiter Unterschicht und hoher Arbeitslosigkeit hat. Waren Sie schockiert über den Milieuwechsel?

Schön Schockiert hat es mich nicht, denn es gibt auch in München eine Menge Familien, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen; das zeigt auch der jüngste Armutsbericht für München. Diese Klientel steht nur nicht im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung. Dennoch: München hat dreieinhalb Prozent Arbeitslosigkeit, Krefeld zehn - das ist natürlich eine ganz andere Hausnummer, ebenso wie die Tatsache, dass in Krefeld jedes vierte Kind von Sozialhilfe lebt. Im Rahmen des Projektes "Kommunale Präventionsketten" (ehemals "Kein Kind zurücklassen" - KeKiz) wollen wir die Lage möglichst präzise analysieren. Dafür haben wir als Koordinatorin Frau Silke Tophoven gewinnen können; sie arbeitet derzeit noch beim Institut für Arbeitsmarktforschung (IAB), ist Soziologin, hat gerade ihre Doktorarbeit eingereicht. Und sie ist Co-Autorin der jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung über Kinderarmut und wird uns ab Januar zur Verfügung stehen. Ihre Aufgabe wird sein, die sozialräumlichen Fakten für Krefeld zu erheben - aus allen Bereichen.

Aber die Stadt hat doch alle Daten? Warum jetzt eine eigene Stelle zur Analyse?

Schön Es ist oft eine Herausforderung, die Daten der Hilfesysteme, die wie Säulen nebeneinanderstehen, wirklich zusammen zu betrachten und zu schauen: Was wissen wir eigentlich alles über ein Kind oder eine Familie? Das reicht von der Schuleingangsuntersuchung bis zu Daten der Arbeitsagentur. Ich glaube schon, dass man besser helfen kann, wenn man die Systeme besser aufeinander abstimmt. Wir stehen doch vor dem Phänomen, dass wir jedes Jahr mehr Geld für diese Sozial- und Betreuungssysteme ausgeben, ohne dass die Probleme weniger werden. So fragt man sich zurecht: Kommt das Geld wirklich an oder verpufft manches? Wenn man das bewerten will, braucht man solide Daten und faktenbasierte Analysen.

Haben Sie das Gefühl, dass das Instrumentarium für die Jugend- und Familienhilfe in NRW ausreichend ist?

Schön Mir fällt auf, dass man in NRW viel Geld in Projekte steckt, dass aber die Regelsysteme sich stark an der Grenze bewegen. Nehmen Sie das Beispiel Schulsozialarbeit. Sie ist bis jetzt Ende 2021 gesichert. Eigentlich wäre wünschenswert, sie fest als Regelangebot in ausnahmslos allen Schulen zu installieren.

Ist das in Bayern anders?

Schön Ich habe schon den Eindruck, dass das in Bayern anders ist. Über die Stellen für Schulsozialarbeit muss man dort landesweit nicht so stark nachdenken wie hier.

Was ist in den Familien los? Die Stadt muss in den vergangenen Jahren immer mehr Geld für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Jugendeinrichtungen ausgeben.

Schön Ich denke, die Herausforderungen sind größer als früher; das betrifft die Eltern und den Arbeitsmarkt, aber auch die Kinder in der Schule. Es geht auch bei weitem nicht nur um Unterbringung in stationären Kinder- und Jugendeinrichtungen, sondern auch um niedrigschwellige Erziehungsberatung. Dort nehmen die Beratungsanfragen auch zu. Das finde ich positiv, weil Eltern mehr und mehr von sich aus darauf kommen, dass sie Hilfe von außen brauchen. Dieser Schritt ist nicht ganz einfach.

Sie haben viel mit Kindern zu tun, die ein schweres Päckchen zu tragen haben. Belastet Sie das?

Schön Natürlich. Man muss gerade die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, die direkt in Verbindung mit solchen Kindern sind, Beratung und Fortbildungen anbieten, um damit fertigzuwerden. Es gibt immer wieder Einzelfälle, die einen bewegen. Wichtig ist, dass man nicht zu viel mit nach Hause nimmt. Man muss sich eine gewisse professionelle Distanz zulegen.

Es gab in den vergangenen Jahren spektakuläre Fälle, bei denen Jugendämter wegen Untätigkeit auf Kosten von Kindern unter Druck geraten sind. Gibt es viele solcher Grenzfälle, bei denen Sachbearbeiter zweifeln, ob sie eingreifen müssen oder noch nicht?.

Schön Gott sei Dank verlaufen die allermeisten Fälle nicht so dramatisch, dass es zu Todesfällen kommt. Wichtig ist, dass man die Kolleginnen und Kollegen an der Basis nicht im Regen stehen lässt und ein klares Handlungsinstrumentarium entwickelt. Besonders schwierig sind Fälle an der Schnittstelle zu psychischen Fragen: Fällt ein Verhalten noch unter pädagogische Auffälligkeit oder schon ins Psychopathologische? Die Jugendhilfe hat oft eine letzte Auffangverantwortung, wenn andere System wie die Schule oder die psychotherapeutischen Systeme sich nicht zuständig fühlen. Das ist nicht ganz einfach.

Sie sind Fachbereichsleiter Jugendhilfe und Beschäftigungsförderung. Ist das ein Bereich, in dem man überwiegend verwaltet, oder hat man auch Luft zum Gestalten.

Schön Man hat schon Luft zum Gestalten. Wir sind mit fünf Abteilungen der größte Fachbereich der Stadtverwaltung. Das ist immer auch ein Riesengestaltungsauftrag. Das macht es interessant.

Können Sie das an plastischen Beispiele erläutern?

Schön Ein Beispiel ist das bereits erwähnte Projekt "Kein Kind zurücklassen"; das heißt, wir entwickeln eine kommunale Präventionskette, bei der es auch darum geht, die Netzwerke, die es in Krefeld gibt, zu verbinden. Die Initiative dazu ging vom Rat aus, als Krefeld KeKiz-Kommune wurde (Anmerkung der Redaktion: Seit Februar nimmt Krefeld an dem landesweiten Projekt "Kein Kind zurücklassen" teil; zur Koordinierung der Präventionsarbeit erhält Krefeld eine Landesförderung von 30.000 Euro jährlich. Die Stadt wird rund 55.000 Euro pro Jahr für das Projekt bereitstellen und hat eine Personalstelle zur Koordinierung der Aufgaben besetzt). Im März gab es dazu einen Workshop, seit April gibt es eine Steuerungsgruppe, die alle Angebote vernetzt, damit Kinder aus schwierigen Verhältnissen noch genauer von den Hilfen profitieren können.

Heißt Verbessern mehr Geld oder mehr Betreuung?

Schön Ich habe drei Schwerpunkte identifiziert, die wir überarbeiten wollen. Ein Schwerpunkt ist das Thema Qualifikation/ Bildung, es geht darum sicherzustellen, dass es Schulabschlüsse für alle Jugendlichen gibt. Wir wollen durch Zusammenarbeit mit dem Schulen bessere Hilfsangebote für Schülern und Eltern organisieren. Die Systeme Jugendhilfe und Schule sollen besser vernetzt werden. Der zweite Schwerpunkt betrifft Beratung für Familien ab der Schwangerschaft über die Geburt, zur frühkindlichen Entwicklung bis in die Schullaufbahn. Die Kitas sollen besondere Mittel für intensivere Elternarbeit bekommen und das Jobcenter eine mobile Arbeitsmarktberatung direkt in den Kitas anbieten. Es geht besonders um junge Mütter und Väter und ihren Wiedereinstieg in den Beruf oder junge Familien, die mit einem Kind neu finanziell zurechtkommen müssen. Ein dritter Punkt ist das Thema Gesundheit und Bewegung. Wir möchten mit dem Stadtsportbund ein Programm für Sport und Bewegung an den Schulen erarbeiten und auch Kinder und Eltern für gesunde Ernährung begeistern. Da wollen wir etwa die Katholische Bildungsstätte mit einbinden, die ja jetzt schon entsprechende Kochkurse anbietet.

Das Gespräch führte Jens Voss.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort