Krefeld Was Jugendliche über Heimat denken

Krefeld · Was bedeutet Heimat für Jugendliche? Im Rahmen des Filmfestivals "Blow up" haben 13 Schülergruppen aus acht Schulen dazu 19 Kurzfilme gedreht – mit erstaunlich kreativen, witzigen, ernsthaften und anrührenden Szenen. Nun war Premiere in der Fabrik Heeder.

 Blick von der Fabrik Heeder auf den Bahnhof – Kulisse für "Carpe Diem", einen der schönsten Filme des Filmfestivals "Blow up", das jetzt in der Fabrik Heeder gezeigt wurde.

Blick von der Fabrik Heeder auf den Bahnhof – Kulisse für "Carpe Diem", einen der schönsten Filme des Filmfestivals "Blow up", das jetzt in der Fabrik Heeder gezeigt wurde.

Foto: Blow up

Was bedeutet Heimat für Jugendliche? Im Rahmen des Filmfestivals "Blow up" haben 13 Schülergruppen aus acht Schulen dazu 19 Kurzfilme gedreht — mit erstaunlich kreativen, witzigen, ernsthaften und anrührenden Szenen. Nun war Premiere in der Fabrik Heeder.

Um die Schwäche vorwegzunehmen: Der Heimat-Begriff im klassischen Sinne spielt in den Filmen kaum eine Rolle — es sei denn, man versteht Musik, Liebe, Schule und all das, was einen bewegt, als Heimat. Vielleicht ist es ein Privileg der Jugend: allein sein Herz als Heimat zu deuten.

Erwachsene schätzen irgendwann auch das Drum und Dran: Stadt, Land, Fluss und die Straße, in der man Nachbarn hat und einer ist. Die Organisatoren dieses Kurzfilmfestivals zogen es vor, den Jugendlichen freie Hand zu lassen. Vielleicht wurde es gerade so seinem Titel — "Blow up" — gerecht: Das Motto spielt auf den berühmten Film von 1966 an, in dem ein Fotograf auf einem Foto Spuren eines Mordes entdeckt. Spurensuche ist auch bei den 19 Filmen nötig. Das klingt freilich viel anstrengender, als es ist: Die 60 Filmminuten sind keine Sekunde langweilig. Die Filme:

Destiny ("Schicksal"): Der Film erzählt, wie Schüler vor den Trümmern ihrer Musikschule stehen; die Trauer darüber mündet in eine Session auf offener Straße — die Heimat Musik ist eben unzerstörbar.

Sieben Meisterwerke (Fichte-Gymnasium): Von Schülerhand geschaffene Gemälde werden im Stile ernsthafter Kunstkritik besprochen — was als Parodie daherkommt, zitiert dann doch das ganze Panoptikum an Menschheitsfragen. Witzig und doch tief gründend.

Carpe Diem (Fichte) Verblüffend kunstvoll: Gezeigt wird im Zeitraffer ein Tag rund um die Fabrik Heeder; dazu gibt es ein Arrangement aus Text und Musik, in dem der Druck des Tages reflektiert wird, endend in einer Liebeserklärung: "Zwei, drei freie Atemzüge am Abend. Meine Augen in deinen Augen; du siehst mich, nur mich — für einen Moment bin ich da." Man fühlt sich an die Lyrik von Mascha Kaleko erinnert. Sehr, sehr gut.

Was ist Heimat? (J.-Kepler-Realschule, Viersen): Schüler spielen durch, was Heimat sein könnte: der Wald, Schule, Schwimmbad — streiten sich und finden in einer Kissenschlacht wieder zusammen: Freundschaft als Heimat. Rewind: "Lola rennt" lässt grüßen: eine Geschichte in drei Versionen — Schüler spielen an der Playstation und merken nicht, dass ein Kamerad draußen vor der Tür erschlagen wird — beim dritten Mal öffnen sie die Tür rechtzeitig. Heimat besteht aus Menschen, die sich kümmern.

Musik (Marienschule Krefeld): Zu einem Blues wird eine Mauer aus großer Nähe gezeigt, dazu gibt es einen Text, der die Mauer als Struktur exegesiert; das Ganze wirkt ausgereift und stimmig. Und wieder ist Musik die Heimat der Seele. Taxi (Privatschule Niederrhein): Der düsterste Film: Drei junge Leute steigen lebensmüde in ein Taxi, das sie zur "Endstation" fährt — dem Friedhof. Am Ende stehen drei Selbstmorde — Heimatlosigkeit wirkt hier auch ironisch gebrochen ungebrochen trostlos. Schlaf Ein wundervoll leichtes Stück über die Liebe: Ein Mädchen wälzt sich schlaflos im Bett, weil ihr ein Treffen mit einem Jungen, in den sie verliebt ist, durch den Kopf geht. Die Balance aus Ernst, Unsicherheit, Aggressivität und Hoffnung gelingt perfekt, kitschfrei, voller Humor und anrührend.

Der Heimat (Hauptschule Kirschhecke, Mönchengladbach): Eine sehr witzige Grundidee: Die Heimat wird zur Horrorfigur "der Heimat", der Jugendliche zu einem Treffen lockt. Am Ende bannen sie den Heimat mit dem Griff zum Pass: Identität als Schlüssel für die echte, die weibliche, die angstfreie Heimat.

Alina und Ismail (Gesamtschule Volksgarten, Mönchengladbach): Einer der schönen Filme: Jugendliche reden über das Paar Alina und Ismail. Die immer gleiche Eingangsfrage "Warum nicht?" heuchelt Verständnis — gefolgt von hässlichen Tiraden, warum die beiden kein Paar sein dürften. Ein unaufdringliches Plädoyer für Toleranz — und eine Liebeserklärung an die Liebe.

Was uns unterscheidet, verbindet uns Jugendliche erklären ihre Herkunft und haben auf eine Wange die jeweiligen Flaggen gemalt; am Ende mischen sie alle Farben in einem fröhlichen Happening — ein sympathisches Plädoyer für Vielfalt. Play: Ein Junge steht in einer schwarz-weißen Stadt — als er den Kopfhörer anlegt und Musik hört, wird die Welt bunt und die Menschen freundlich — wieder stiftet Musik Heimat.

Hasenmann (Fichte): Ein Junge berichtet von seiner Urangst als Kind vor dem Hasenmann. Er zieht mit einem Baseballschläger los, um den Hasenmann zu stellen — und findet ihn als harmloses rosa Kaninchen. Heimat ist dort, wo man keine Angst hat. Ein schöner Schluss.

(RP)
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