Nach Der Wahl Was nun, Sozialdemokratie?

Krefeld · Wir sprachen mit SPD-Parteichef Ralph-Harry Klaer und dem SPD-Fraktionschef Benedikt Winzen über die Lage nach der Wahl, über "Opposition ist Mist", die Suche nach einer neuen Sprache und die Art der Auseinandersetzung mit der AfD.

 "Ich glaube, wir müssen noch näher an die Menschen ran. Es geht auch um Zutrauen und Vertrauen." Benedikt Winzen SPD-Fraktionschef.

"Ich glaube, wir müssen noch näher an die Menschen ran. Es geht auch um Zutrauen und Vertrauen." Benedikt Winzen SPD-Fraktionschef.

Foto: Lammertz Thomas

Die Krefelder SPD hat sich bei der Bundestagswahl besser behauptet als die SPD im Bund; dennoch ist das Ergebnis unterm Strich schwach. Wie verzagt sind die Krefelder Sozialdemokraten?

 "Der Begriff Gerechtigkeit ist zu abstrakt. Wir brauchen Lebensgeschichten von Gerechtigkeit." Ralph-Harry Klaer SPD-Vorsitzender

"Der Begriff Gerechtigkeit ist zu abstrakt. Wir brauchen Lebensgeschichten von Gerechtigkeit." Ralph-Harry Klaer SPD-Vorsitzender

Foto: Lammertz Thomas

Klaer Verzagt ist das falsche Wort. Wir sind alarmiert. Wir haben zwei Treffen mit unseren Mitgliedern abgehalten. Alle diejenigen, denen es so kurzfristig gelang und denen zur Aussprache zumute war, sind gekommen. Wir haben sehr konstruktiv diskutiert: Was schiefgelaufen ist, kam auf den Tisch, und es ist viel auf den Tisch gekommen.

Das SPD-Urwort Gerechtigkeit hat weder auf Bundes- noch auf Stadtebene wirklich gezündet. Und das, obwohl die AfD mindestens das Thema Altersarmut auch auf ihre Fahnen geschrieben hat und die Arbeitslosigkeit in Krefeld bei mehr als zehn Prozent Arbeitslosigkeit liegt. Warum zieht das Thema Gerechtigkeit bei der SPD nicht?

Winzen Ich denke, dass wir inhaltlich sehr wohl auf die richtigen Themen gesetzt haben. Wenn Wirtschaftsinstitute die SPD für ihr Steuerkonzept loben, dann ist das keine Selbstverständlichkeit und zeigt, dass sich da jemand ernsthaft Gedanken gemacht hat. Das Problem ist, dass wir diese Inhalte nicht in ausreichendem Maße transportiert bekommen haben, oder man nimmt uns diese Themen nicht ab. Darauf müssen wir uns konzentrieren.

Haben Sie ein Beispiel aus Krefeld?

Winzen In Fischeln zum Beispiel haben wir in der Debatte um den Bunker am Marienplatz früh gesagt, dass beides möglich ist: der Ausbau ebenso wie die Bewahrung des Brauchtums auf dem Marienplatz. So kommt es jetzt ja auch, aber möglicherweise ist es uns in der Zwischenzeit eben nicht gelungen, überzeugend darzulegen, dass beides geht. Und in einem Jahr mit zwei wichtigen Wahlen wird vor Ort sicherlich auch die Sorge vor dem Verlust des Marienplatzes für das Schützenfest geschürt worden sein. Offensichtlich ist man damit durchgedrungen.

Warum?

Winzen Ich glaube, wir müssen noch näher an die Menschen ran. Es geht auch um Zutrauen und Vertrauen. Wir sind deswegen dabei, neue Formate zu entwickeln. Plakate und Infostände reichen natürlich alleine nicht. Ich habe im Landtagswahlkampf zum Beispiel auch am Training in Vereinen teilgenommen, damit die Leute mich aus der Nähe erleben und wir ins Gespräch kommen. Dann erlebt man Erstaunliches. Und dann erlebt man eben auch, dass die Menschen tatsächlich Fragen nach Gerechtigkeit und Sorgen vor Altersarmut umtreibt. Wir haben ja Antworten auf diese Fragen.

Sie glauben, dass die SPD inhaltlich nicht arbeiten muss?

Winzen Doch, natürlich. Auch darüber läuft der Diskurs. Für mich bleibt aber die Hauptherausforderung, unsere Arbeit den Menschen näherzubringen. Wenn wir in Krefeld über die großen Bauprojekte oder die Sanierung des Haushaltes reden, dann ist das objektiv wichtig, aber nicht immer unbedingt das, was die Menschen draußen wirklich interessiert.

Es geht wohl auch um Emotionen. Die AfD hat ja vor allem mit Angst- und Wutgefühlen Leute mobilisiert. Bieten die Etablierten zu wenig Emotionen?

Klaer Die Gefahr besteht natürlich. Wir dürfen aber die Sachbezogenheit nicht verlieren, sonst machen wir keine gute Politik. Wir sind auf unsere Substanz zurückgeführt worden, das heißt auf den Kern derjenigen, die unsere Lösungsansätze teilen. Wir stehen vor dem paradoxen Phänomen, dass wir zwar zwei bittere Wahlniederlagen haben einstecken müssen, aber nach wie vor relativ viele Neueintritte in die Partei verzeichnen. Unsere Mitgliederzahl ist in diesem Jahr um acht Prozent gewachsen. Auch das zeigt: Für uns kommt es darauf an, die Menschen auf breiter Basis anzurühren mit unseren Themen und unseren Lösungen.

Der Begriff Gerechtigkeit ist zu kalt?

Klaer Er ist mindestens zu abstrakt. Wir brauchen Lebensgeschichten von Gerechtigkeit. Wir müssen deutlich machen, dass kostenloser Bildung in Deutschland Gerechtigkeit innewohnt. Wir müssen das Gerüst der abstrakten Begriffe, mit dem wir hantieren, mit Leben füllen.

Das Bildungsthema ist ein gutes Beispiel dafür. Martin Schulz hat im Wahlkampf gebetsmühlenartig gesagt, er wolle zwölf Milliarden Euro in die Bildung stecken. Das ist aber zunächst nur eine tote Zahl.

Klaer Das kann man so sehen. Wir brauchen zwei Sprachen: die Fachsprache und eine Sprache, die bei einem solchen Thema die Emotionen und die lebensgeschichtliche Betroffenheit zum Ausdruck bringt. Denn eines ist klar: Wenn diese zwölf Milliarden nicht fließen, dann werden wir in Deutschland zurückfallen. Winzen Der Mangel an Gefühl war sicher ein Problem. Wir haben es nicht geschafft, mit unserer Kampagne eine Stimmung zu erzeugen. Allerdings reichen Stimmungen allein nicht, man muss auch liefern können. Nehmen Sie die Piraten in NRW. Die sind mit Aufbruchsgefühlen gewachsen; haben aber, als es um konkrete Arbeit ging, wieder verloren. Auch bei der AfD muss sich zeigen, ob die in der Lage sind, politisch zu arbeiten.

Reden wir noch speziell über Krefeld. Der Eindruck ist: Die SPD ist gut aufgestellt; der SPD-Oberbürgermeister ist bislang unangefochten, die CDU baut noch keinen Gegenkandidaten auf. Sind Sie zuversichtlich, dass Sie das Rathaus werden halten können?

Winzen Wenn uns die beiden vergangenen Wahlen eines gezeigt haben, dann das, dass man sich nicht sicher sein kann. Ich glaube, dass wir im Rat mit unserer Politik gut unterwegs sind. Aber sicher ist gar nichts. Wir werden weiter hart arbeiten müssen. Klaer Ich möchte es noch etwas zuspitzen. Ich bin überzeugt, dass wir als SPD in Krefeld eine gute Politik machen und einen guten Oberbürgermeister an der Spitze haben. Wir müssen es aber auch darstellen. Ich habe die Politik der SPD in Berlin in der Großen Koalition auch als sehr positiv empfunden. Wir haben alle angekündigten Projekte umgesetzt und dennoch Stimmen verloren. Die Botschaft ist: Trotz guter Politik kann man eine Wahl verlieren. Wir werden das in Krefeld im Auge behalten: Es ist viel getan worden und wir haben Erfolg. Sozialdemokraten haben vielleicht zu sehr die Neigung, sich selbst zu kritisieren, statt auf das hinzuweisen, was geschafft wurde.

Hat man als Politiker nicht manchmal Lust, die Wählerschaft auszutauschen, weil es offenbar schwierig ist, sie rational anzusprechen?

Klaer Ich würde lieber die AfD austauschen. Wähler austauschen kennen wir aus der DDR. Nein, wir müssen den Wähler respektieren. Wenn wir sagen, die haben uns nicht verstanden, dann liegt das eben an uns und daran, dass unser Dialog nicht in Ordnung ist. Wir werden politische Strömungen demaskieren, die mit Gefühlen spielen, ohne dass dahinter der Wille zur Veränderung steht.

Franz Müntefering hat gesagt: Opposition ist Mist. Haben Sie nicht doch Beklemmungen, wie früh Martin Schulz ausgeschlossen hat, wieder mitzuregieren?

Klaer Nein. In der SPD ging Erleichterung durch die Reihen. Eindeutig. Es gibt ja keinen Zweifel daran, dass die Groko abgewählt wurde. Es wäre vermessen gewesen, bei diesen Verlusten die Regierung neu anzustreben, insbesondere dann, wenn die anderen eine Machtoption haben. Das zu berücksichtigen ist wichtig. Jamaika hat eine Mehrheit. Das war beim letzten Mal anders: Neben der Groko gab es keine Machtoption. Deswegen sage ich beides: Ja, es ist richtig, dass wir in die Opposition gehen; und ja, Franz Müntefering hat Recht: Opposition ist Mist, wir wollen da nicht bleiben. Erst einmal gilt: Wenn man vom Wähler in die Opposition geschickt wurde, kann man nicht einfach sagen: Wir machen trotzdem weiter.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH FOTOS (2): LAMMERTZ

(RP)
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