Krefeld Wie ein Bischof sich im Karneval behauptet

Krefeld · Neuer Steckenpferdritter der Prinzengarde ist Bischof Helmut Dieser. Die Laudatio hielt für den erkrankten Minister Gröhe überraschend Manfred Lütz. Erstmals leitete der neue Präsident der Prinzengarde, Christian Cosman, die Sitzung.

 Das Prinzenpaar Dieter I. (Nieendick) und Britta I. (Nieendick) samt Gefolge gaben sich die Ehre.

Das Prinzenpaar Dieter I. (Nieendick) und Britta I. (Nieendick) samt Gefolge gaben sich die Ehre.

Foto: Jens Voss

Es wurde eine besondere Sitzung: Zum einen natürlich, weil der neue Bischof von Aachen, Helmut Dieser, Steckenpferdritter wurde und jeder der 832 Gäste im Seidenweberhaus gespannt war, wie sich ein hoher Geistlicher im Karneval behaupten würde. Sodann war es für die Prinzengerade eine Premiere: Erstmals hat der neue Präsident Christian Cosman durch den Abend geführt - und natürlich hatte jeder den Sound von Cosmans Vorgänger Rainer Küsters im Ohr und fragte sich, wie sich der Neue halten würde. Und schließlich waren Trends im Karneval zu erkennen: Musik von jungen Leuten, die Blasmusik als Party-Urgewalt auferstehen lassen, und Redner, die die klassische Bütt als Mischung aus Comedy und Kabarett neu erfinden - mit erstaunlichen Reaktionen des Publikums.

Premiere gelungen: Christian Cosman hat sicher und unangestrengt durchs Programm geführt; insgesamt zurückgenommener als Küsters, der in all den Jahren zuvor einen unverkennbaren Stil kreiert hatte. Cosman hat ihn glücklicherweise nicht zu kopieren versucht. Und so hat er an der Stelle, an der Küsters beim Abgang der Prinzengarde stets augenzwinkernd sagte: "Macht, dass ihr fortkommt, ich kann kein Grün-Weiß mehr sehen", einen schönen Punkt aus Emotionalität gesetzt: "Ich bin mächtig stolz, diesem Corps vorstehen zu dürfen." Applaus.

 Oberbürgermeister Frank Meyer (r.) neben Bischof Helmut Dieser.

Oberbürgermeister Frank Meyer (r.) neben Bischof Helmut Dieser.

Foto: Lammertz

Die Überraschung des Abends war die Absage von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe als Laudator für den neuen Steckenpferdritter. Gröhe war erkrankt und hatte einen Tag vor der Verleihung den Steckenpferdritter von 2011, Manfred Lütz, gebeten einzuspringen. Lütz bewies einmal mehr, dass er nur im Nebenberuf Psychiater, Theologe und Publizist ist, hauptamtlich aber eine begnadet intelligent-kultivierte Rampensau mit sicherem Instinkt für Pointen. Er bedauerte Gröhes Absage - dass ein linksrheinischer Protestant einen katholischen Bischof hätte loben wollen, wäre närrisch genug gewesen, sagte er und lud die Leute ein, entspannt zu sein: "Ich bin nicht als Psychiater hier, sie können weiter offen reden." Lütz streifte Welterfahrungen ("Verkehrsregeln sind in Italien eher so Anregungen") und kam natürlich auf die Grundverschiedenheit von Rheinländern und Westfalen zu sprechen: Nur eine Besatzungsmacht habe beide Stämme in einem Bundesland vereinen können. Heute, ging es weiter, seien alle Verrückten des Landes in Düsseldorf vereint - Regierung inbegriffen. Über Bischof Dieser fand Lütz dann auch ernst gemeinte, warme Worte, die mit ebenso warmem Applaus bedacht wurden: "Sie gehen auf die Menschen zu - solche Bischöfe braucht die Kirche."

Dieser Schlussakkord präludierte die Dankesrede von Bischof Dieser - er war ungezwungen, ohne aufgesetzt fröhlich zu sein, versuchte sich nicht als Possenreißer, sondern ging auf die christlichen Wurzeln des Karnevals ein. Der sei gut für den Menschen; nachhaltig und ganzheitlich - der Bischof warb für die Verträglichkeit von Humor und Frömmigkeit. In seinen Vortrag flocht er zwei, drei humorige Episoden ein. Etwa von dem Mann, der beim Psychiater sitzt und berichtet, er fühle sich wie ein Pferd - und auf die Frage des Arztes, wie lange schon, antwortet: Seit ich ein Fohlen war. Unterm Strich zeigte Dieser sich als ein Mann, dem Albernheit fremd ist und der Heiterkeit mit Ernst grundiert. Übrigens war er, wenn es um karnevalistisches Liedgut ging, textsicher. Das passte: zu seinem Beruf ebenso wie zum Geist des Karnevals, der immer dann herzerwärmend schön ist, wenn die Leute aus vollem Halse und voller Seele mitsingen.

 Sprang für den erkrankten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe als Laudator ein: Manfred Lütz.

Sprang für den erkrankten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe als Laudator ein: Manfred Lütz.

Foto: Lammertz

Die Sitzung wirkte insgesamt straff und war geprägt von Profis. Eisbrecher Bernd Stelter hatte keine Mühe, das Publikum mitzureißen, und es war überraschend zu sehen, dass auch politische Einsprengsel der Stimmung keinen Abbruch taten. So legte Stelter ein Plädoyer für das geeinte Europa ab und rief dazu auf, zur Bundestagswahl zu gehen und den Populisten der AfD eine Abfuhr zu erteilen. Der Saal quittierte das mit Applaus - kein Zweifel: Da war viel bürgerlich-gemäßigte Mitte im Seidenweberhaus versammelt. Erdogan-Kritik ("Beleidigung für das Wort Demokratie") wurde begeistert gefeiert, ebenso wie Haue für Trump ("sieht aus, als sei ein Eichhörnchen auf seinem Kopf explodiert") oder Spott für dessen Frau Melania ("Ich nehme die Boeing mit, ich werde ein paar Jahre shoppen gehen").

Diese Mischung setzte sich auch bei Guido Cantz fort, der deutlich zotiger sein kann als Stelter, aber eben auch ein wacher politischer Spötter ist (über Merkel: "Das muss man erst mal schaffen: vier Amtszeiten mit zwei Hosenanzügen"; über Erdogan: hat einen Dienstsitz mit 1000 Zimmern gebaut - "da hat sogar Tebartz-van Elst gestaunt").

 Christian Cosman und der neue Steckenpferdritter, Bischof Helmut Dieser.

Christian Cosman und der neue Steckenpferdritter, Bischof Helmut Dieser.

Foto: Lammertz

Und schließlich: die Musik. Die Auftritte von Paveier und Klüngelköpp zeigten, was bestens funktionierende Musikfarben sind - wer dann so etwas wie die Bläsertruppe "Querbeat" erstmals erlebte, der weiß, dass die nächste Generation den Karneval erobert hat. Diese Formation entfesselt Blasinstrumente zu einer Gute-Laune-Explosion aus Schlager, Folk und Rock 'n' Roll, die neu ist und mitreißend. Ähnliches gilt für Kasalla (für Ärger, Krawall), die in Tempo und Dynamik unerbittlicher sind als viele ältere Bands.

So präsentierte sich der Karneval in dieser Sitzung in einer fabelhaften Mischung: ernsthaft grundiert, seiner historischen, nämlich christlichen Wurzeln bewusst, dazu verjüngt im Stil sowie im Präsidium der Prinzengarde. Um die Zukunft dieses Brauchtums muss man sich keine Sorgen machen.

(RP)
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