Landtagswahl-Kandidaten im Interview Linke: "Wir sind keine Sektierer"

Krefeld · Die Kandidaten der Partei "Die Linke", Michaela Calabrese-Lewicki und Stephan Hagemes, skizzieren ihre Vision für NRW.

 Stephan Hagemes: "Wir müssen uns mehr bemühen, die Sprache der Menschen zu sprechen. Linke neigen dazu, intellektuell abgehobenes Universitätsdeutsch zu sprechen."

Stephan Hagemes: "Wir müssen uns mehr bemühen, die Sprache der Menschen zu sprechen. Linke neigen dazu, intellektuell abgehobenes Universitätsdeutsch zu sprechen."

Foto: Lammertz Thomas

Auf Plakaten der Partei "Die Linke" sieht man Leute die Faust recken. Sieht ein bisschen nach Klassenkampf aus. Ist das ironisch gemeint?

Hagemes Nein. Leider haben wir Zustände erreicht, in denen eine kämpferische Haltung gegen soziale Ungerechtigkeit nötig ist.

 Michaela Calabrese-Lewicki: "Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, in einer Klassengesellschaft zu leben, und sich dauerhaft abgehängt sehen."

Michaela Calabrese-Lewicki: "Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, in einer Klassengesellschaft zu leben, und sich dauerhaft abgehängt sehen."

Foto: Lammertz

Aber die Klassenkampf-Anspielung wirkt schon arg old fashioned und etwas sektiererisch.

Calabrese-Lewicki Eben nicht, das ist aktuell. Es gibt Menschen, die das Gefühl haben, in einer Klassengesellschaft zu leben, und sich dauerhaft abgehängt sehen. Hagemes Mir stellt sich die Frage, ob wir tatsächlich noch in einem funktionierenden Sozialstaat leben. Natürlich leben wir nicht mehr in Verhältnissen wie im 19. Jahrhundert. Aber wenn Sie an die Zeit vor Hartz IV denken, dann behaupte ich, dass der Sozialstaat sehr stark abgebaut wurde.

Sie sind gegen Sanktionen für Arbeitslose, die Arbeitsangebote verweigern. Gesunder Menschenverstand sagt einem doch, dass dieses Druckmittel nötig ist.

Hagemes Ich bin Sozialarbeiter und arbeite bei der Augustinus-Behindertenhilfe mit Menschen mit psychischen Problemen. Bei denen nützt Druck nichts.

Aber das ist doch ein Sonderfall

Calabrese-Lewicki So sehr Sonderfall nicht. Junge Leute im Alter von 20 bis 25 Jahren etwa bekommen selten eine zweite Chance, wenn sie in einer Ausbildung scheitern. In dieser Situation mit Sanktionen zu drohen, stürzt sie erst recht in eine Krise; die ziehen sich komplett zurück.

Aber die Alternative kann doch nicht sein, solche Leute lebenslang durchzufüttern und ihnen nicht klarzumachen: Du musst dich auch selber kümmern und anstrengen.

Calabrese-Lewicki So natürlich nicht. Aber es kommt darauf an, wie mit den Menschen umgegangen wird. Massiver Druck und der Zwang, mit sehr wenig Geld auszukommen, geht auf die Psyche und verhindert eher, dass solche Leute einen neuen Anlauf unternehmen. Hagemes Hartz IV bedeutet ein Leben am Existenzminimum. Wenn Sanktionen dazukommen, stürze ich Menschen von Armut ins Elend. Das ist unmenschlich. Die Frage, die wir uns als Gesellschaft stellen müssen, ist doch: Sind wir überzeugt, dass Existenzdruck das richtige Mittel ist, Menschen dazu zu zwingen, zu tun, was wir wollen?

Für Sie gibt es nur Opfer. Auch diese Weltsicht kann man als sektiererisch empfinden.

Calabrese-lewicki Wir sind keine Sektierer, wenn wir Umverteilung fordern. Das Bündnis "Reichtum umverteilen - ein gerechtes Land für alle" umfasst mittlerweile 30 Organisationen, darunter die KAB, der Katholische Kirchliche Dienst in der Arbeitwelt, der Paritätische Gesamtverband, Verdi, GEW, Attac, die Tafeln und der Kinderschutzbund. Hagemes Und zehn Prozent der Bevölkerung besitzen 60 Prozent des Nettovermögens.

Sektiererisch daran kann man ferner finden, dass Sie immer nur darüber reden, Geld zu verteilen, aber nie über die Frage, wer das erwirtschaftet. Ihnen fällt immer nur "Steuern erhöhen" ein.

Calabrese-Lewicki Wir wollen auch Steuern senken, nämlich die Mehrwertsteuer, die unter Schwarz-Rot von 16 auf 19 Prozent erhöht wurde. Hagemes Natürlich machen wir uns auch Gedanken über die wirtschaftliche Lage. Die Produktivität in Deutschland ist hervorragend; wir plädieren dafür, die Binnennachfrage zu stärken und die Löhne kräftig zu erhöhen.

Dann würden sich wegen gestiegener Lohnkosten vielleicht schlicht die Preise erhöhen, und es wäre ein Nullsummenspiel.

Hagemes Wer weiß. In den 80er Jahren hatten wir weniger Leerstände, Deutschland hatte nicht so große Exportüberschüsse. Probleme in anderen Volkswirtschaften sind ja auch dadurch entstanden, dass Deutschland Länder wie Griechenland niederkonkurriert hat, sprich, die Löhne sind im Vergleich relativ niedrig. Den hohen Exportüberschuss Deutschlands kritisiert ja auch die Europäische Kommission.

Unterm Strich wollen Sie einen massiven Ausbau des Sozialstaates.

Hagemes Ja. Deutschland ist reich genug, Geld genug ist da, nur nicht dort, wo es hingehört.

Die Partei "Die Linke" wird immer noch als SED-Nachfolgepartei angegriffen, zumal es immer wieder Stimmen aus der Partei gibt - auch in NRW -, die die DDR und sogar den Schießbefehl an der Mauer verharmlosen.

Hagemes Das hat mich auch unangenehm überrascht. Aber das sind Einzelstimmen. Die Linke als Ganzes hat sich sehr wohl von der DDR-Vergangenheit distanziert. Für mich war manches, was in der DDR passiert ist, ein Verbrechen. Das war kein Sozialismus.

Wenn das alles so schrecklich in Deutschland ist - warum laufen die Leute nicht massenhaft zur Linken über?

Calabrese-Lewicki Ich glaube, es gibt ein weit verbreitetes Urvertrauen in die etablierte Politik. Und viele sind nicht mehr zu Protest und Widerstand in der Lage. Die bekommen Sie nicht mehr hoch von der Couch, weil sie ohnehin nicht mehr an Veränderungen glauben und ihre ganze Kraft brauchen, um den nächsten Tag zu überstehen. Hagemes Und wir müssen uns mehr bemühen, die Sprache der Menschen zu sprechen. Linke neigen dazu, intellektuell abgehobenes Universitätsdeutsch zu sprechen. Das müssen wir ändern. Wir gehen zu wenig auf den Bauch.

Bedauern Sie nicht, dass die Links-Partei nicht einen Kurs Richtung Mitte nimmt, um koalitionsfähig zu werden?

Hagemes Es geht immer um Inhalte und Forderungen. Ich fände es fatal, wenn "Die Linke" in die Jagd nach Posten einstiege und dafür Positionen preisgäbe. Wenn sich die SPD nicht deutlich sozialer orientiert, ist Sie für uns nicht koalitionsfähig. Dann setzen wir sie besser von links unter Druck, damit sie endlich für soziale Sicherheit handelt, statt nur vor der Wahl davon zu reden.

JENS VOSS FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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