Anuschka Und Peter Gutowski "Wir wollen unser Theater neu erfinden"

Krefeld · Ab der kommenden Spielzeit will sich das Theater hintenlinks neu aufstellen: Weniger Mainstream, mehr Mut zu kritischer Auseinandersetzung mit schwierigen Themen ist das Ziel. Ab sofort werden erste Veränderungen im Spielplan umgesetzt.

 Anuschka Gutowski in einer Szene von "Budenzauber". Das Stück erzählt von den Ausgegrenzten dieser Gesellschaft. Künftig will das Theater hintenlinks mehr Produktionen dieser Art auf seine Bühne bringen.

Anuschka Gutowski in einer Szene von "Budenzauber". Das Stück erzählt von den Ausgegrenzten dieser Gesellschaft. Künftig will das Theater hintenlinks mehr Produktionen dieser Art auf seine Bühne bringen.

Foto: THL/Tobias Becker

Als kleine freie Bühne hat das Theater hintenlinks (THL) Jahr für Jahr ums finanzielle Überleben gekämpft. Die kommunalen Zuschüsse und die Besucherzahlen waren kein Polster, um darauf auszuruhen. Jetzt ziehen Anuschka und Peter Gutowski die Konsequenz aus der schwierigen Situation, unter der alle Kulturschaffenden - und ganz besonders die freie Szene - leiden. Sie wollen ihr Theaterkonzept ab der kommenden Spielzeit verändern.

 Peter und Anuschka Gutowski am Fenster ihres Theaters im ehemaligen Im-Brahm-Haus an der Ritterstraße.

Peter und Anuschka Gutowski am Fenster ihres Theaters im ehemaligen Im-Brahm-Haus an der Ritterstraße.

Foto: Lothar Strücken

Woher kommt diese Aufbruchstimmung?

Peter Gutowski Wir haben in den vergangenen Monaten aus vielfältigen Gründen heraus unser Konzept auf den Prüfstand gestellt. Wir haben festgestellt, dass wir entschlossen Hand anlegen müssen, um unser Theater für die nächsten Jahre fit zu machen und die Reibungsverluste aufzufangen.

Reibungsverluste bedeutet: Das Publikum bleibt weg. Woran liegt das?

Anuschka Gutowski Die Sitzsituation auf der Zuschauertribüne muss sich ändern. Testweise haben wir denen, die nicht ohne Rückenlehne sitzen mochten, gegen 2 Euro Entgelt Klappsitze angeboten. Das kam gut an. Die Gebühr fällt künftig weg. Außerdem verhindert der hohe Eintrittspreis den Besuch vieler interessierter Menschen - besonders der jüngeren. Ab sofort führt das THL ein "Last-Minute-Ticket" ein. Schüler und Studenten, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zahlen an der Abendkasse 7 bis 9 Euro. Regulär kostet eine Vorstellung mit Büffet 28 Euro, ohne 19.

Das ist ein enormer Rabatt. Ist das denn noch wirtschaftlich für ein kleines Haus, das jeden Euro umdrehen muss?

Peter Gutowski Auf kurze Sicht vielleicht nicht, aber auf zehn Jahre gerechnet schon - wenn die, die als Schüler und Student gekommen sind, uns treu bleiben. Dann verändert sich auch die Publikumsstruktur, wir erreichen jüngere Leute. Die Finanzen - das müssen wir lösen. Es ist besser, eine bisher nicht verkaufte Karte für einen kleinen Preis abzugeben, als darauf sitzen zu bleiben. Und in einem gut gefüllten Theater mit gemischtem Publikum ist auch die Stimmung besser. Es darf nicht sein, dass wir in eine Jammerkultur rutschen, die uns letztlich nur lähmt. Wir wollen uns trauen, Neues zu machen, ohne uns zu verbiegen. So wie mit "Budenzauber", einer Produktion um das ernste Thema Armut und Ausgrenzung. Das ist schwierig, aber ehrlich. Und das wird von den Zuschauern angenommen. Wir wollen kritisch sein, uns nicht verbiegen und vor allem Bürger mobilisieren, die sich für Theaterkultur, gesellschafts- und kulturpolitische sowie literarische Themen interessieren.

Gehen nicht gerade diese Menschen sowieso ins Theater?

Peter Gutowski Jein, wir haben das Gefühl, dass sich viele Menschen vom Kulturbetrieb in unserem Land abgehängt fühlen. Ich erinnere mich beispielsweise an einen Theaterbesuch am legendären Berliner Ensemble: "Der zerbrochene Krug" mit Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam, Inszenierung von Peter Stein. Nach der Vorstellung trafen wir vor dem Theater eine Gruppe genervter Jugendlicher an, die sich in einer heftigen Diskussion mit ihren Lehrern befanden. Erschütternder Schlusspunkt war die Bemerkung eines Lehrers, die ungefähr so lautete: "Aber das war doch Herr Brandauer! Und die Inszenierung ist doch von Peter Stein!" Mehr Hilflosigkeit im Umgang mit dem etablierten Theater hatte ich bis dato nicht erlebt. Kulturbetrieb und Rezipienten scheuen die Auseinandersetzung. Warum auch immer.

Gerade in den vergangenen Jahren nehmen Begleitprogramme, Einführungsveranstaltungen und Publikumsgespräche in den Theatern, Konzerthäusern und Museen zu. Das THL ist auch diesen Weg gegangen.

Peter Gutowski Aber wir haben lange den Fehler gemacht, dass wir das etablierte Theater in Klein sein wollten. Doch das funktioniert nicht. Und dann sind wir unglaubwürdig. Wir müssen nicht auch den Mainstream-Geschmack bedienen. Das ist eine Freiheit. Aber wir dürfen nicht herumlavieren, sondern müssen Position beziehen. Und dazu brauchen wir den Mut, uns gegen unsere eigenen Ängste um die Existenz, vor Nicht-Verstanden-Werden und Misserfolg zu stellen.

Das klingt nach sperrigem, verkopftem Theater.

Peter Gutowski Im Gegenteil. Ich will kein verkünsteltes Theater, das nur "l'art pour l'art" ist. Ich will Neues ausprobieren, ehrliches Theater machen, Wege gehen, die ein Stadttheater nicht gehen kann. Theater ist kein Zombie. Es ist ein direktes, kommunikatives Medium.

Ab der nächsten Spielzeit wird es eine Spätvorstellungs-Reihe geben. Ist das auch eine bewusste Gegenposition zum Trend? Das Stadttheater hat ja erst vergangene Spielzeit den Vorstellungsbeginn im großen Haus um eine halbe Stunde vorverlegt - mit guter Resonanz der Zuschauer.

Peter Gutowski Auch die Reihe "Nachtasyl" ist ein Experiment. Wir wollen vielleicht um 21 Uhr beginnen und nach den Vorstellungen in einem "Nachtcafé" Raum für Gespräche und Diskussion, Lesungen, Musik und mehr bieten. Das hat etwas Großstädtisches. Wenn das nicht angenommen wird, müssen wir nachjustieren.

Das THL hat bisher immer auch mit Revuen geglänzt, die einen hohen Unterhaltungsfaktor haben. Fällt das künftig weg?

Anuschka Gutowski Nein, Produktionen wie "Dinner for one" und "Da wackelt die Wand" bleiben erhalten - und sie werden auch Nachfolger finden.

Peter Gutowski Allerdings werden wir schon jetzt die Abende, an denen Büfett angeboten wird, stark zurückfahren. Nicht zu jedem Stück passt das Angebot, und nicht jeder Zuschauer ist bereit, mit dem Eintrittspreis gleichzeitig auch ein Essen zu buchen. Dann haben wie viele Kapazitäten frei, die wir für künstlerische Dinge nutzen können.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort