Krefeld Zu Gast in der Demenz-Tagespflege in Hüls

Krefeld · Einen Tag lang sind wir zu Gast in der Tagespflege im Fischers-Meyser Stift in Hüls. Hier werden Senioren liebevoll betreut.

 Viel Spaß haben die Senioren des Fischers-Meyser Stift beim Singen mit Heidi Stiehl. Mit rhythmischen Instrumenten begleiten die Teilnehmer den Gesang, klatschen im Takt oder schunkeln zu Karnevalsliedern.

Viel Spaß haben die Senioren des Fischers-Meyser Stift beim Singen mit Heidi Stiehl. Mit rhythmischen Instrumenten begleiten die Teilnehmer den Gesang, klatschen im Takt oder schunkeln zu Karnevalsliedern.

Foto: Thomas Lammertz

Heinz ist heute unruhig. "Die Maschinen müssen laufen. Ich muss zum Betrieb", flüstert der 89-Jährige. Man muss gut zuhören, um zu verstehen, was er sagt. Morbus Parkinson hat ihm die Sprache fast genommen und die Beweglichkeit auch. Petra Müller kann zuhören und verstehen. Die Leiterin der Tagespflege im Fischers-Meyser Stift in Hüls nimmt den ehemaligen Betriebsingenieur, der zusätzlich noch unter Demenz leidet, an die Hand und setzt ihn mit Papier und Stift ins Büro der Einrichtung. "Dann 'arbeitet' er", erklärt sie. "Das tut ihm gut, wenn er so unruhig ist. Und wenn wir Dienstbesprechung haben, dann ist er halt dabei."

Motorische Übungen wie dieses Ballspiel gehören zum regelmäßigen Angebot.

Motorische Übungen wie dieses Ballspiel gehören zum regelmäßigen Angebot.

Foto: Lammertz Thomas

Ein ganz normaler Tag in der Tagespflege-Einrichtung. Dort sind wir für einen Tag lang zu Gast und erleben, mit welcher Hingabe, Geduld und Respekt Petra Müller und ihr Team für die Gäste sorgen. An fünf Tagen der Woche und neuerdings auch an einem Samstag im Monat, treffen sich hier Senioren, die meistens aus gesundheitlichen Gründen nicht den ganzen Tag zu Hause sein können.

Stefanie Lotz begleitet die Gäste in den Aufenthaltsraum.

Stefanie Lotz begleitet die Gäste in den Aufenthaltsraum.

Foto: Lammertz Thomas

Ein Segen, so erfahren wir, nicht nur für Heinz und die anderen in der Gruppe, sondern auch für die Angehörigen.

"Ich wäre nervlich am Ende, wenn es die Tagespflege nicht gäbe. Durch sein arbeitsreiches Leben kann Heinz sehr unruhig sein. Ich habe immer Angst, dass er fällt und muss ihm immer im Auge haben. Ich kann nichts tun, wenn er zu Hause ist", berichtet Heinz' 75-jährige Frau. Viermal in der Woche bringt sie ihren Mann in den Stift, bei gutem Wetter zu Fuß mit dem Rollstuhl.

Vor ungefähr fünf Jahren wurden die Räumlichkeiten, die zum Stift gehören, liebevoll für die Tagespflege eingerichtet. Eine Wohnzimmerecke mit Kamin, Stehlampe und viele dunkelrote Ohrensessel, eine farblich passende gestreifte Tapete. Vor der Küchenzeile stehen Tische und Stühle. Hier fängt der Tag mit dem Frühstück an. 15 Gäste werden von zu Hause abgeholt oder von Angehörigen gebracht. Alle werden mit Handschlag und Namen begrüßt. Ein Lächeln, ein Kompliment... der Mantel wird abgenommen und der Gast zum Tisch begleitet. "Wir haben für jeden Tag eine Sitzordnung" sagt Petra Müller. "Wir achten darauf, wer zu wem passt." Nicht jeden Tag kommen die gleichen Gäste. Manche sind nur einmal in der Woche da, andere jeden Tag.

Wie die 89-jährige Maria. Als zwölfjähriges Mädchen ist sie nach dem Krieg aus Polen geflüchtet. "Tagelang bin ich gelaufen. Die sterbenskranke Oma und ein Baby auf dem Wagen... Die Straßen spiegelglatt. Und Schuhe?" Sie schweigt bei der Erinnerung. Ihr erster Mann wurde krank. Sie hatten fast ohne Geld ein Haus gebaut, zwei Kinder bekommen. Fünf Jahren hat sie ihren Mann gepflegt. Dann starb er. Auch ihr zweiter Mann wurde krank. Parkinson, Demenz... Er wurde aggressiv... Trotzdem hat sie ihn ebenfalls fünf Jahre liebevoll gepflegt. Durch ihre Ausbildung als Schwesterhelferin kannte sie die Griffe, die man braucht, um einen bettlägerigen Mann zu pflegen. Und jetzt ist sie selbst dement. Sie genießt in der Tagespflege die Geselligkeit. "Ich bin gerne hier. Was soll ich zu Hause?", fragt sie. "Da ist es langweilig." Trotzdem freut sie sich jeden Abend, wenn der Fahrer kommt und sie nach Hause bringt. Da ist dann ihre Tochter, die im gleichen Haus wohnt, pensioniert ist und froh ist, ihre Mutter tagsüber gut versorgt zu wissen.

Am Bürofenster hängt der Wochenplan. Nach dem Frühstück ist heute Zeitungsrunde, das Thema "Demokratie". Ein "Schnuppergast" hat sich politisch engagiert und schon kommen die Gäste mit einander ins Gespräch. Und wer sich nicht daran beteiligen kann, hört einfach zu.

In der Zwischenzeit wird im Nebenraum der Stuhlkreis aufgestellt für Kraft- und Balance-Übungen. Björn Benzberg, gerontopsychiatrische Fachkraft, wirft der Reihe nach einen großen Ball zu, nennt dabei den Namen des Gastes, der den Ball fangen und zurückwerfen soll. Erst mit den Händen, dann mit den Füßen. Die Reaktion wird gefördert. Die Alt-Fußballspieler sind in ihrem Element.

Es folgt das Gedächtnistraining. Betreuungsassistentin Silke Latsch ist besonders geschult im Umgang mit Demenzkranken. Heute hat sie ein Buch mit Bildern aus den 50 Jahren dabei: Tellerrock, Petticoat, Kittel... Erinnerungen werden wach. Und plötzlich ist da die Rede von Ostpreußen. "Ach, da sind sie geboren?", fragt Latsch. Der Reihe nach erzählen die Senioren von ihrem Geburtsort. Dann fällt das Wort Lüneburg. "Auf der Lüneburger Heide..." stimmt eine Dame an und der ganze Kreis fällt ein und singt. Und auch die an Demenz Erkrankten machen mit, kennen den Text und freuen sich.

Nach dem Mittagessen ist Ruhezeit. Die Ohrensessel werden zu bequemen Liegen gemacht, und die Gäste in Decken eingemummelt. Es wird still. Eine Stunde Pause. Wo es nötig ist, wird Blutdruck gemessen und in einer persönlichen Dokumentationsmappe eingetragen.

Pflegewissenschaftler Andreas Kutschke, angestellt bei den Städtischen Seniorenheimen, Träger der Hülser Tagespflege, schaut heute vorbei. Er erzählt, wie in den 90er Jahren Versuche unternommen wurden, Tagespflege-Plätze einzurichten. "Das war für Deutschland zunächst fremd. Die Angehörigen mussten die Plätze selbst finanzieren." Erst mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz, das Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmid 2008 ins Leben rief, konnte begonnen werden, Tagespflegeeinrichtungen zu planen. Die Idee: Angehörige sollten entlastet werden, so dass alte Menschen so lange wie möglich zu Hause bleiben können. Obendrein ist die Tagespflege preiswerter als eine Heimunterbringung.

Zurück in Hüls, die Mittagspause ist vorbei: Einmal in 14 Tagen kommt Gisela Ringst. Ringst, die im Hülser Sportverein lange Zeit junge Sportler beim Turnen und Tanzen begleitet hat, arbeitet ehrenamtlich, lädt die Senioren jetzt zum Stuhltanz ein, manchmal bringt sie ihr Keyboard mit und singt mit der Gruppe alte Volksweisen. Dann strahlen die Gäste, und sogar die Demenzerkrankten holen aus ihrem Gedächtnis die Texte hervor und singen mit.

Kurz nach vier kommt Unruhe auf. Die Senioren sind müde, wollen nach Hause. Die Fahrer kommen, schauen in den Logistikplan und wissen, welche Gäste sie wohin befördern müssen. Dann werden die Tische vorbereitet für den nächsten Tag, der wieder mit dem gemeinsamen Frühstück anfängt.

(RP)
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