Landrat Stephan Pusch "Das Revier als privilegierten Raum einstufen"

Erkelenz · Die zu erhöhende Kreisumlage und Beteiligungen an regionalen Gesellschaften beschäftigen den Landrat.

 Landrat Stephan Pusch.

Landrat Stephan Pusch.

Foto: Laaser (Archiv)

Kreis Heinsberg In der letzten Zeit hat sich der Kreis Heinsberg an drei neuen regionalen Gesellschaften beteiligt - mit dem Ziel, im regionalen Konsens Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung zu betreiben. Der Zweckverband Region Aachen etwa hat einen Teil der Aufgaben der Agit, der Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer, mit übernommen und bildet eine von der Politik als wichtig angesehene regionale Klammer der Interessen. Hinzu kam die IRR, die Innovationsregion Rheinisches Revier, sowie jüngst die Metropolregion Rheinland.

Herr Pusch, so viele Beteiligungen - macht das Sinn?

Pusch Die Aufgabenstellungen haben sich geändert und man muss nun hinterfragen, ob etwa eine weitere Beteiligung an der Agit, die immerhin 100 000 Euro im Jahr kostet, nicht überflüssig geworden ist. Wenn wir heute die Situation haben, dass Zweckverband und Agit um Zuständigkeiten ringen, dann ist es aus Sicht des Landrates zielführend, die Agit auf die Wirtschaftsförderung und das Gründerzentren-Management für Stadt und Städteregion Aachen zu restrukturieren und die regionalen Dinge klar dem Zweckverband zuzuschlagen.

Würde dem Kreis Heinsberg dadurch nicht Wissen und Hilfe verlorengehen?

Pusch Der neue Wirtschaftsförderer im Kreis Heinsberg, Ulrich Schirowski, hat beide vorgenannten Institutionen verantwortlich geleitet und kann dieses Wissen und die entstandenen Netzwerke direkt in der WFG für Kreis und Städte einbringen. Einen weiteren Verbleib in der Agit kann ich der Kreispolitik nicht empfehlen und wird von dieser auch zunehmend kritisch hinterfragt.

Neu hinzugekommen ist auch die IRR, die den Strukturwandel im Rheinischen Revier für die Zeit nach den Braunkohlentagebauen vorbereiten soll. Wie geht es dort voran?

Pusch Die bisherige Entwicklung der IRR, die ja auf dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien in Düsseldorf beruht, kann nicht zufriedenstellen. Während in der ersten Phase lange zu klären war, wer überhaupt zum Rheinischen Revier zu zählen ist, muss nun um eine auskömmliche Finanzierung durch das Land gerungen werden - ich erwarte nicht nur Lippenbekenntnisse der Landesregierung, sondern eine echte Förderung des sich beschleunigenden Strukturwandels im Rheinischen Revier und dass die Region als privilegierter Raum eingestuft wird, so wie seinerzeit nach den Zechenschließungen. Und auch auf der Planungsebene müssen gute Projekte schleunigst vom Land entsprechend unterstützt werden. Die kommunale Ebene kann und wird hier für das Land nicht dessen Hausaufgaben machen.

An anderer Stelle muss der Landrat ab heute ebenfalls um Finanzen ringen. Derzeit sammelt der Kreis Heinsberg erste Daten für den Haushalt 2016, und der ist für die zehn Kommunen insofern interessant, als dass jede sich über eine Umlage finanziell daran beteiligen muss. In den vergangenen Jahren hatte der Kreis versucht, die Umlage konstant zu halten, um die Städte und Gemeinden zu entlasten. Auch dieses Jahr hatte er dafür dreieinhalb Millionen Euro aus der eigenen Ausgleichsrücklage als Entnahme eingeplant. Würde sich das ändern, wäre das zum Leidwesen der kommunalen Kämmerer.

Herr Pusch, wie wird es 2016 aussehen. Müssen die Kommunen mehr Geld an den Kreis überweisen als dieses Jahr? So war es zumindest im Dezember des Vorjahres angedeutet worden.

Pusch Die Kreisumlage wurde über mehrere Jahre auf 118,5 Millionen Euro durch Rückgriff auf die Ausgleichsrücklage und Einsparmaßnahmen etwa im Personalbereich stabilgehalten, obwohl gerade die Ausgaben im Sozialbereich rasant gestiegen sind. Da die Ausgleichsrücklage von rund 23 Millionen Euro bei nunmehr nur noch rund zwölf Millionen Euro liegt und Einspareffekte endlich sind, wurde den Kommunen schon seit Jahren die Anpassung der Kreisumlage kommuniziert. Ich gehe, ohne zurzeit schon alle Daten zu kennen, davon aus, dass bis zu zehn Millionen Euro mehr nötig sind, um die Kostensteigerungen aufzufangen. Diese Zahlen werden jetzt mit den Bürgermeistern und der Kreispolitik zu beraten sein, und ich gehe in den nächsten Jahren von harten Diskussionen mit den Kommunen aus.

Müsste ein Landkreis überhaupt eine Rücklage haben? Immerhin könnte er auch unterjährig seinen Kommunen sagen: Wir brauchen mehr Geld. Und dann wären die aufgrund der Umlageregelung doch in der Pflicht, dieses dem Kreishaushalt beizusteuern.

Pusch Wir haben die Ausgleichsrücklage in den letzen Jahren auf, wie gesagt, zwölf Millionen Euro abgeschmolzen. Diese Rücklage wollen wir erhalten, und sie ist auch keine ,gehortete Liquidität', wie manche sagen. Ohne diese Rücklage würden wir bei geänderten finanziellen Bedingungen innerhalb des Haushaltsjahres den Aufwand betreiben müssen, der auch ein beachtlicher personeller Aufwand ist, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Außerdem würden wir die Kommunen einer zusätzlichen Unsicherheit in ihren eigenen Finanzplanungen aussetzen, wenn sie nicht wissen, ob der Kreis nachträglich noch einmal Geld benötigt. Ich gehe aber davon aus, mit den Kommunen auch für 2016 wieder Einvernehmen herstellen zu können.

Vor der politischen Sommerpause wurde die Kreisverwaltung von der Bertelsmann-Stiftung als einer der ersten Arbeitgeber im Kreis Heinsberg als besonders familienfreundlich ausgezeichnet. Landrat Pusch ist es im Gespräch mit unserer Zeitung wichtig, zu betonen, wie sehr er sich darüber freut. In der Kreisverwaltung sei teilweise Heimarbeit möglich, das betriebliche Gesundheitsmanagement sei intensiviert worden, Stichwörter: gesunder Arbeitsplatz und Sport am Arbeitsplatz. Und gerade erstelle ein Arbeitskreis ein Konzept zur Kinderbetreuung in Ferien.

Warum ist so viel Engagement nötig, Herr Pusch?

Pusch Nur dadurch können wir Fachkräfte finden und binden. Dadurch fühlen sich zum Beispiel Mütter sehr angesprochen, was wir an den Bewerberzahlen sehen. Und bei Personal, das schon da ist, kommt das ebenfalls gut an.

Familien, sagen Sie: Lassen Sie uns doch noch kurz über die Schulentwicklung sprechen und die Forderung aus Erkelenz, das kreisweite Schulgutachten fortzuschreiben. Dieses spielt hier gerade eine Rolle bei der Frage, wie und wann möglicherweise über die Notwendigkeit einer Gesamtschule für Erkelenz nachgedacht werden sollte.

Pusch Die Kreispolitik hat gesagt, dass das Schulgutachten fortgeschrieben werden soll, aber erst in zwei, drei Jahren. Derzeit macht das keinen Sinn, befinden sich neue Schulen doch noch im Aufbau oder kommt die Inklusion doch gerade ersten so richtig in den Schulen an. Ich halte es darüber hinaus aber auch für einen Trugschluss, wenn geglaubt wird, dass der Gutachter eine Aussage trifft, ob oder dass Erkelenz eine Gesamtschule benötigt — er hat im aktuell gültigen Gutachten auch nur gesagt, wo eine Schulform im Kreisgebiet in Gefahr ist oder wo der Zugang zu einem höhren Bildungsabschluss fehlt. Es ist also politisch zu entscheiden, ob eine Gesamtschule nötig ist — und das vor Ort.

Und Ihre persönliche Meinung?

Pusch Ich sehe zurzeit keinen Handlungsdruck für die Erkelenzer Politik, über Änderungen in der Schullandschaft nachzudenken. Erkelenz hat ein ausreichendes Bildungsangebot, vor Ort und in der Nähe zur Stadt.

ANDREAS SPEEN FÜHRTE DAS INTERVIEW .

(RP)
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