Heimat entdecken - Kreis Heinsberg Erinnern und mahnen

Kreis Heinsberg · Drei jüdische Friedhöfe liegen im Kreis Heinsberg nördlich der Rur. Sie zu besuchen, bedeutet, sich der deutschen Geschichte zu erinnern und sie zugleich als Mahnung zu verstehen, sie niemals zu vergessen.

 Seit dem 17. Jahrhundert hatten Wassenbergs Juden ihren eigenen Friedhof, an der heutigen Roermonder Straße gelegen. Ein Gedenkstein erinnert unter anderem an Betty Reis, deren Namen die Wassenberger Gesamtschule trägt.

Seit dem 17. Jahrhundert hatten Wassenbergs Juden ihren eigenen Friedhof, an der heutigen Roermonder Straße gelegen. Ein Gedenkstein erinnert unter anderem an Betty Reis, deren Namen die Wassenberger Gesamtschule trägt.

Foto: Jürgen Laaser

Sie sind klein, sehr still, grün, steinig, und sie sind für die Ewigkeit angelegt: die drei jüdischen Friedhöfe im Kreis Heinsberg nördlich der Rur. In Wassenberg, Erkelenz und Schwanenberg-Lentholt gilt für die letzten Ruhestätten der Menschen, die teils seit Jahrhunderten ihre neue Heimat an Rur und Schwalm von Israel herkommend gefunden haben, dass die dort bestatteten Toten ewig ihre Begräbnisstätte behalten. Der jüdische Glaube kennt keine Ruhefristen, die in der NRW-Rechtspraxis auf 30 Jahre (Erdbeisetzungen) und 20 Jahre (Urnenbeisetzungen) begrenzt sind.

Jüdisches Leben und jüdisches Sterben - das Nazisystem hat gerade den jüdischgläubigen Staatsangehörigen mit dem industriellen Mord und der Verbrennung in den Konzentrationslagern auch eine gebotene Grablegung verhindert. Sie verloren die neue Heimat, die ihre Vorfahren bereits vor Jahrhunderten gefunden hatten, nicht einmal ihre Asche fand ein würdiges Begräbnis.

Von daher bleiben die jüdischen Friedhöfe klein, denn rund 200.000 der ehemals 510.000 deutschen Juden wurden umgebracht, etwa 315.000 flohen, so dass die Synagogengemeinden heute klein, Beerdigungen auf den Friedhöfen fast ausgeschlossen sind. Auf dem Erkelenzer jüdischen Friedhof an der Neusser Straße wurde 1999 die letzte Beisetzung vorgenommen. Dieser, vor der Stadt liegende, Friedhof war 1862 eingerichtet worden, was keine Selbstverständlichkeit war, denn seit den ersten in Deutschland bekanntgewordenen Juden, im 4. Jahrhundert, wurden sie drangsaliert. Ursprungsmotivation war dabei ein religiös generierter "Antijudaismus" des Christentums wegen der Nichtanerkennung Jesus' als Gottessohn und dessen Ermordung. Selbstverständlich durften Juden nicht auf den christlichen Friedhöfen beigesetzt werden. Erst in der Franzosenzeit (1794 bis 1815) wurden die Juden als vollwertige Bürger anerkannt.

 Für den Erkelenzer jüdischen Friedhof hat die Hauptschule die Patenschaft übernommen.

Für den Erkelenzer jüdischen Friedhof hat die Hauptschule die Patenschaft übernommen.

Foto: Laaser (Archiv)

Bis 1862 wurden die wenigen Erkelenzer Juden auf dem Friedhof in Lentholt beigesetzt, wo es bereits um 1600 eine kleine Gemeinde gegeben hatte, die sich mit einer kleinen Synagoge eine Heimat gab. 1821 auch eine neue Heimstatt für die Verstorbenen: Die jüdische Gemeinde aus Schwanenberg richtete einen Friedhof in Lentholt ein, der in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 genau wie die Synagoge von den Nazis völlig zerstört wurde. Heute ist er mit einer Buchenhecke umschlossen, mit Bäumen bestückt und als Grasfläche gestaltet - die Leere steht allegorisch für die Ermordung und Vertreibung nicht nur der Schwanenberger Juden. Eine Erläuterungstafel und ein Mahnstein erklären die Anlage und ihre Geschichte. Wie der Erkelenzer Friedhof mit schlichter Flora bestückt, wird der Lentholter jüdische Friedhof von der Stadt Erkelenz gepflegt, beide wurden in die "Route gegen das Vergessen" aufgenommen. Für den Erkelenzer jüdischen Friedhof hat die Hauptschule die Patenschaft übernommen.

"Die jüdische Gemeinde Wassenbergs war 1937 genau 27 Mitglieder stark. Seit Jahrhunderten hatten die Juden hier ihr Zuhause, wenn sie auch immer wieder verheerenden Repressalien und Verfolgungen ausgesetzt waren. 1321 sind sie in Wassenberg schon urkundlich nachweisbar", schreibt der verstorbene Wassenberger Heimatforscher Prof. Heribert Heinrichs, der Leben, Leiden und Sterben der Juden während des Naziterrors selbst miterleben musste. Seit dem 17. Jahrhundert schon hatten die Wassenberger Juden ihren eigenen Friedhof an der heutigen Roermonder Straße, heute gegenüber dem neuen Rathaus gelegen. Unter Kiefern und Eiben stehen noch knapp 20 Grabsteine, teils ausschließlich in Hebräisch abgefasst. Auf dem Friedhof steht ein Kanadischer Ahorn, wie er auf dem Grundstück des vertriebenen Wassenberger Juden Walter Reis in Toronto (Kanada) gewachsen ist. Walter Reis war der Bruder von Betty Reis, deren Namen die Wassenberger Gesamtschule trägt. Sie wurde in der Reichspogromnacht 9./10. November 1938 als 17-Jährige in einen Solinger SA-SS-Keller verschleppt, misshandelt und vergewaltigt. Auch sie musste den Weg in die Konzentrationslager antreten. Eine letzte Nachricht von ihr kam aus dem KZ Bergen-Belsen im Frühjahr 1944, sie wurde dort ermordet - auch ihren sterblichen Überresten wurde eine Rückkehr in die rheinische Heimat verwehrt. Ihr Name ist in den Stein eines Familiengrabs auf dem jüdischen Friedhof eingemeißelt.

(isp)
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