Serie Reformation Vor Ort - Teil 6 Evangelisch in Heinsberg - 500 Jahre jung!

Heinsberg · Auch wenn am Anfang vieles sich nur im Verborgenen zutragen konnte, so lässt sich doch evangelischer Glauben in Heinsberg fast 500 Jahre nachweisen. 1533 konnte eine Kommission des Herzogs von Jülich noch befriedigt feststellen, dass kein evangelischer Prediger in Heinsberg wirkte.

 Die Heinsberger Christuskirche heute.

Die Heinsberger Christuskirche heute.

Foto: Ev. Gemeinde Heinsberg

Es soll zwar mal einer aufgetaucht sein, aber "die wiver hatten inen schier doit geschlagen." (Die Heinsberger Frauen hatten ihn fast totgeschlagen). Bereits 1539 bildete sich allerdings, den wehrhaften Heinsbergerinnen zum Trotz, eine kleine Gemeinde, die sich mit Sittard zusammenschloss und von dem Prediger Peter Chimärrus geleitet wurde. Es war im wahrsten Sinne eine Gemeinde unter dem Kreuz, denn die Anhänger des neuen Glaubens hatten nicht allein resolute Frauen zu fürchten, sondern wurden von der Obrigkeit verfolgt, mit Todesstrafe oder Landesverweisung bedroht.

Dennoch griff der reformierte Glaube in Heinsberg immer weiter um sich. Insbesondere die wohlhabenden Bürgerfamilien zeigten sich aufgeschlossen für die neue Glaubenslehre. Es waren ihre Söhne, die von den Universitätsstädten nicht nur mit einem Bildungsabschluss, sondern auch mit einer neu gebildeten evangelischen Glaubensüberzeugung zurückkamen. So wurde der evangelische Glaube anfangs nicht von den Eltern an die Kinder weitergegeben, sondern die Eltern nahmen ihn von ihren Kindern auf und an. Für die damalige Zeit ein unerhörter Vorgang.

 Der Nachkriegsbau.

Der Nachkriegsbau.

Foto: Ev. KirchenGemeinde Heinsberg

Erst Jahrzehnte nach dem Dreißigjährigen Krieg erhielten evangelische Gemeinden das Recht, aus dem Verborgenen herauszutreten und eigene Kirchengebäude zu erwerben und zu unterhalten, allerdings mit der Einschränkung, dass keine evangelischen Bauvorhaben, "der anderen (katholischen) Religion Beschwer und Nachteil" erbringen dürfe. So erwarb die evangelische Gemeinde zu Heinsberg 1665 das Bürgerhaus "Große Krone" als Pfarr- und Gotteshaus. Das evangelische Gemeindeleben war seitdem aus Heinsberg nicht mehr wegzudenken.

Eine neue Dimension eröffnete sich nach dem Zweiten Weltkrieg, der tiefe Spuren auch in Heinsberg hinterließ. Die evangelische Gemeinde wuchs sprunghaft durch den Zuzug der Geflüchteten aus den östlichen Gebieten Deutschlands. Innerhalb weniger Monate nahm die Zahl der Gemeindeglieder von 200 auf mehr als 2000 zu.

 Das erste Pfarr- und Gotteshaus der Evangelischen Kirchengemeinde im früheren Bürgerhaus "Große Krone".

Das erste Pfarr- und Gotteshaus der Evangelischen Kirchengemeinde im früheren Bürgerhaus "Große Krone".

Foto: Ev. Gemeinde Heinsberg

Pfarrer Fuchs sorgte dafür, dass anstelle der alten zerstörten Kirche ein neues Gotteshaus, die Christuskirche, auf einem neuen Grundstück errichtet wurde und dass die hinzugekommenen Gemeindeglieder in der fremden Umgebung neue Heimat fanden. Dauerhafte ökumenische Beziehungsarbeit war nötig, damit die mit Misstrauen betrachteten evangelischen Christen im katholischen Heinsberg Akzeptanz und Aufnahme fanden.

Zahlenmäßig nicht ganz vergleichbar war der Zuzug der Spätaussiedler aus den ehemaligen sowjetischen Republiken in den 90er Jahren. Die sog. Russlanddeutschen sind in der Kirchengemeinde Heinsberg gut integriert worden. Inzwischen gehören 5200 Menschen zur Gemeinde und auch, wenn sie zahlenmäßig kaum noch wächst, zeigt sie sich höchst lebendig, reformfreudig und kreativ. Ihrer Verantwortung gegenüber der Schöpfung und nachkommenden Generationen ist sie sich sehr bewusst.

So wurde durch Sanierung die Christuskirche zur ersten "Altbau-Passivhauskirche". Trotz rückläufiger finanzieller Mittel und räumlicher Möglichkeiten wird das Angebot der Kirchengemeinde in gottesdienstlicher, kultureller und diakonischer Hinsicht stetig ausgebaut: So macht sich seit neuestem eine "mobile Christuskirche" auf den Weg zu den Menschen. Offene Jugendarbeit, traditioneller Schwerpunkt des diakonischen Engagements, wird verstärkt durch den mobilen Jugendarbeiter Tobias Storms, der als "Sky-Walker" auf Jugendliche zugeht. In Kooperation mit der Heinsberger Tafel nimmt die Gemeinde soziale Verantwortung über die Gemeindegrenzen hinaus wahr. Spirituelle Impulse wie Oasentage und Exerzitien im Alltag, die ökumenisch getragen werden, erweitern das geistliche Angebot.

Evangelisches Gemeindeleben ist fast 500 Jahre alt und immer noch so jung, Neues zu wagen, Vertrautes zu bewahren und dabei "offen-christlich-nah" - eben einfach evangelisch zu sein!

(RP)
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