Kreis Heinsberg Leben retten per Livestream

Kreis Heinsberg · Im Kreis Heinsberg schaltet sich der Notarzt bei Rettungseinsätzen künftig per Videoschalte dazu. In Gangelt und Saeffelen wurden zwei Rettungswagen mit Headsets, einer Kamera und der "peeqBox" ausgestattet.

 Die Fahrzeuge für den Kreis Heinsberg und ein Blick in den Patientenraum mit der HD-Deckenkamera.

Die Fahrzeuge für den Kreis Heinsberg und ein Blick in den Patientenraum mit der HD-Deckenkamera.

Foto: Matthäus Kempa

Was kurios klingt, kann im Notfall Patienten Schmerzen nehmen - oder sogar Leben retten: Bei Rettungseinsätzen im Kreis Heinsberg schaltet sich der Notarzt künftig per Videoschalte dazu. Die sogenannten Telenotarzt-Rettungswagen wurden mit einer Technik ausgerüstet, die Live-Übertragungen per Video und Sprachkommunikation ermöglicht.

Kreis Heinsberg: Leben retten per Livestream
Foto: Matthäus Kempa

Konkret bedeutet das: Wenn ein Rettungswagen alarmiert wird, der von einem Notarzt unterstützt werden soll, können ihn die Rettungsassistenten per Video hinzuschalten. Der Mediziner ist dann selbst nicht vor Ort, sondern sitzt in der in einem Raum der StädteRegionale Leitstelle der Feuerwehr Aachen. "Damit wollen wir die inflationäre Inanspruchnahme von Notärzten in nicht lebensbedrohlichen Situationen vermeiden", sagt Jörg Christian Brokmann, Chefarzt der Notaufnahme im Uni-Klinikum Aachen. Betrieben wird der Telenotarzt von der P3 Telehealthcare GmbH, die Krankenkassen finanzieren das Ganze.

Laut Brokmann sind in Deutschland im Jahr rund zwölf Millionen Mal Rettungswagen im Einsatz. In rund 50 Prozent der Fälle werde dabei ein Notarzt mitgeschickt. Brokmann glaubt, dass diese Zahl zu hoch ist. Denn bei den Einsätzen gehe es nicht immer um Leben und Tod, häufig seien auch Sportunfälle Grund für den Alarm. "Rettungsassistenten dürfen dem Patienten aber zum Beispiel keine hoch dosierten Schmerzmedikamente geben", sagt Brokmann. Das dürfe nur ein Notarzt anordnen.

Damit Notärzte vor allem auf dem Land für wirklich lebensbedrohliche Fälle bereit sind, soll der Telenotarzt sie nun entlasten. Seit April 2014 sind die technisch umgerüsteten Rettungswagen bereits in Aachen und Euskirchen unterwegs - und nun also auch im Kreis Heinsberg. Bislang habe man damit über 10.000 Patienten behandelt und die Notarzt-Einsatzquote in Aachen auf 25 Prozent senken können. Zuvor hatte ein Team unter der Koordination des Lehrstuhls für Informationsmanagement im Maschinenbau der RWTH Aachen an dem vom Land geförderten Projekt gearbeitet. In der Testphase war damals auch der Kreis Heinsberg beteiligt.

Ob die digitale Zuschaltung des Notarztes aus Aachen ausreicht oder ob wirklich ein Arzt vor Ort benötigt wird, entscheidet der Disponent in der Notdienstzentrale. "Er nimmt den Notruf entgegen und schätzt die Situation ein", sagt Brokmann. Bei Notrufen etwa wegen Blutdruckproblemen, bei Sportunfällen und unter bestimmten Bedingungen sogar bei einem Schlaganfall wird ein Telenotarztwagen losgeschickt. "Bei schweren Verkehrsunfällen oder Wiederbelebungsmaßnahmen kommt natürlich ein Notarzt vor Ort zum Einsatz", sagt Brokmann. In Fällen, bei denen nicht ganz klar ist, ob Lebensgefahr besteht, würde man sich immer dafür entscheiden, einen Notarzt loszuschicken.

Vor Ort wird der Patient zuerst gefragt, ob er mit der Behandlung über einen Telenotarzt einverstanden ist. Sollte der Patient nicht ansprechbar sein, entscheidet der Rettungsassistent in seinem Sinne. Dann startet die Live-Übertragung an den Notarzt in Aachen.

Mindestens fünf Notärzte gewährleisten dort im Schichtbetrieb eine 24-Stunden-Betreuung. Über eine Kamera kann der Arzt den Patienten sehen, über eine sogenannte "peeqBox" werden ihm Vitalwerte des Patienten übermittelt, zum Beispiel ein EKG. Über Headsets können die Rettungsassistenten mit dem Notarzt kommunizieren. Braucht der Patient zum Beispiel starke Schmerzmittel, wird erst abgefragt, ob der Patient Allergien hat.

Die Verbindung zum Notarzt funktioniert über Mobilfunknetze von drei verschiedenen Netzbetreibern. "So kann in 99 Prozent der Einsätze sichergestellt werden, dass eine stabile Netzverbindung besteht", sagt Brokmann.

Die Video-Übertragung läuft laut Brokmann nur als Live-Stream. "Das heißt, es wird kein Bildmaterial gespeichert", sagt der Chefarzt. Die Audio-Daten werden rund drei Monate gespeichert und anschließend gelöscht. "Wir unterliegen da natürlich dem strengen Datenschutz", sagt Brokmann.

(skr)
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