Heinsberg Mit Augen hören und Händen sprechen

Heinsberg · Ina Warnecke betreut für die Jugendhilfeeinrichtung "Wegweiser" Familien, in denen Gehörlose leben. Die 38-Jährige baut Brücken zwischen der Welt der Gehörlosen und der Welt der Hörenden. Sie ist selbst von Geburt an gehörlos.

 Ina Warnecke (l.) ist gehörlos und berät als sozialpädagogische Familienhelferin im Raum Heinsberg und Aachen sechs Familien, in denen Gehörlose mit Hörenden zusammenleben. Sie arbeitet für die Heinsberger Jugendhilfeeinrichtung "Wegweiser", deren Geschäftsführerin Andrea Nießen (2.v.r.) ist.

Ina Warnecke (l.) ist gehörlos und berät als sozialpädagogische Familienhelferin im Raum Heinsberg und Aachen sechs Familien, in denen Gehörlose mit Hörenden zusammenleben. Sie arbeitet für die Heinsberger Jugendhilfeeinrichtung "Wegweiser", deren Geschäftsführerin Andrea Nießen (2.v.r.) ist.

Foto: Renate Resch-Rüffer

Ina Warnecke informiert gerne über ihren beruflichen Alltag. Die 38-Jährige hat viel zu berichten. Ihr gelingt das, ohne ein einziges Wort zu sagen. Denn seit ihrer Geburt ist die Wahl-Kölnerin gehörlos. Als sozialpädagogische Familienhelferin betreut sie seit 2008 für die Heinsberger Jugendhilfeeinrichtung "Wegweiser" Menschen in schwierigen Lebenslagen und berät im Raum Heinsberg und Aachen sechs Familien, in denen Gehörlose mit Hörenden zusammenleben.

In Deutschland leben Millionen hörgeschädigte Menschen, deren Gehör in unterschiedlicher Weise beeinträchtigt sind. Zwischen 80 000 und 300 000 sind so hochgradig schwerhörige Menschen, dass sie sich nicht über Lautsprache verständigen können.

"Da unsere Gesellschaft auf hörende Menschen und das Leben auf Lautsprache ausgerichtet ist, stoßen gehörlose Menschen im Alltag immer wieder auf Kommunikationsbarrieren", gebärdet Ina Warnecke mit geschickten Handbewegungen und ausdrucksstarker Gesichtsmimik. Die Gebärdensprachdolmetscherinnen Simone und Gisela Binczyk fassen Warneckes Gestik und Mimik bei der Begegnung mit der RP in Worte.

Weil sie selbst von Geburt an gehörlos ist und in einer Familie mit ansonsten ausschließlich hörenden Menschen groß geworden ist, kennt die 38-Jährige die typischen Kommunikationsprobleme, auf die gehörlose Menschen immer wieder stoßen. "Wenn Gehörlose mit anderen Betroffenen zusammen sind, existieren diese Probleme nicht", berichtet sie und spricht deshalb von zwei Welten, in denen sich gehörlose Personen bewegen müssen.

Auf der einen Seite sei da die 'Welt der Gehörlosen', in der sie ohne Probleme kommunizieren können. Auf der anderen Seite gebe es die 'Welt der Hörenden', in der die Lautsprache vorherrscht, wodurch wenig verstanden wird und viele Grenzen erlebt werden. Als gehörlose sozialpädagogische Familienhelferin pendelt Ina Warnecke ständig zwischen diesen Welten. Sie vermittelt bei Missverständnissen, hilft bei alltäglichen Problemen (Arztbesuche, Behördengänge) und weiß Rat bei Schwierigkeiten in Schule und Beruf. Die 38-Jährige baut Brücken zwischen den unterschiedlichen Kulturen der Hörenden und Gehörlosen und bringt ihr wertvolles Wissen aus der Welt der Gehörlosen in die Familien ein.

"Während Gehörlose früher dazu erzogen wurden, sich über trainierte Laute zu artikulieren, werden sie heutzutage dazu animiert, die Gebärdensprache zu lernen und damit konsequent zu kommunizieren", berichtet Ina Warnecke. Die schnörkellose Ausdrucksweise sei typisch für Gebärdensprachler. Ihre Kommunikationsform sei von der Frage geprägt, wie sie etwas unmissverständlich formulieren können, um zum Erfolg zu kommen. Viele Gehörlose hätten im Alltag schlechte Erfahrungen gemacht: "Wenn ein Hörender plötzlich feststellt, dass er eine Gehörlose nach dem Weg gefragt hat, wartet er häufig die Antwort gar nicht ab." Für Gehörlose sei dies eine sehr enttäuschende Erfahrung, weil sie sich dann nicht ernstgenommen fühlten.

Ina Warnecke wünscht sich, dass Hörende in solchen Situationen mehr Geduld haben. "Gehörlose haben bei der Kommunikation einen längeren Weg, können sich aber dennoch in den meisten Fällen gut verständigen." Neben der Schrift kämen ihnen dabei heutzutage auch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten via Mail, Fax, SMS, Facebook, Twitter und WhatsApp zugute.

Bei ihrer täglichen Arbeit in den Familien achtet Warnecke darauf, dass junge gehörlose Menschen die Gebärdensprache lernen. "Oft leben Familien in alten Strukturen, und eigene hörende Kinder versäumen es, die Gebärdensprache zu lernen, weil die Großeltern dagegen sind." Das sei der völlig falsche Weg. "Wenn die Kinder dann älter werden, fehlt diese Basissprache, um mit ihren gehörlosen Eltern richtig zu kommunizieren." Als visuelle Sprache sei Gebärdensprache für Gehörlose ein ganz wichtiger Teil ihrer Identität - eine Eigentümlichkeit, die sie von den meisten anderen Menschen unterscheidet.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort