Kreis Heinsberg Sensibel werden für Trauma-Erfahrung

Kreis Heinsberg · Der "Runde Tisch gegen häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch" befasste sich mit Traumatisierung durch Gewalterlebnisse. Neue Felder wie Cybermobbing werden zunehmend Thema des Arbeitskreises aus 17 Institutionen.

Seit 27 Jahren besteht nun schon der "Arbeitskreis gegen häusliche Gewalt und sexuellen Missbrauch", in dem 17 Einrichtungen aus dem Kreis Heinsberg zusammenarbeiten, die mit offener, aber auch häufig subtiler Gewalt im privaten, familiären Bereich konfrontiert werden. Dazu zählen Polizei, die Jugendämter, das Frauenhaus, Familienberatungsstellen und Organisationen wie der Weiße Ring, der sich für Opferschutz engagiert. Etwa viermal im Jahr trifft sich das Team.

Diese Vernetzung möchten die Beteiligten nicht mehr missen. Denn sie bietet neben dem fachlichen Austausch den Helfern auch selbst Unterstützung im Umgang mit den Belastungen ihres Arbeitsfeldes. "Sich selbst zu schützen, ist genauso wichtig wie die Hilfe für Betroffene", betonte denn auch Silke Esser, Schulsozialarbeiterin im Schulzentrum Oberbruch und seit 1999 aktiv in dem 23-köpfigen Arbeitskreis. Esser bildete gemeinsam mit Martina Gerdes von der Familienberatungsstelle der Caritas in Erkelenz und Melanie Dohmen von Kreis-Jugendamt das Vorbereitungsteam für den siebten Runden Tisch, zu dem der Arbeitskreis jetzt wieder einen größeren Interessentenkreis von Fachleuten und sogenannten Multiplikatoren in den Sitzungssaal des Heinsberger Kreishauses eingeladen hatte. Anfangs in jährlichem, mittlerweile zweijährigem Turnus organisiert der Arbeitskreis diesen Runden Tisch mit Fachreferenten zu bestimmten Themen.

Diesmal sprach nach einem Grußwort vom Schirmherrn, Landrat Stephan Pusch, Claudia Radermacher-Lamberty von der Katholischen Familienberatungsstelle Aachen über "Traumatische Erlebnisse und ihre Folgen" unter dem Titel "Danach ist nichts mehr, wie es war". Die Psychologin und Trauma-Therapeutin, die auch etliche Jahre als Beraterin in Geilenkirchen gearbeitet hat, umriss die vielfältigen Ursachen, durch die Menschen traumatisiert aus der Bahn geworfen werden können. Sie reichen vom Erlebnis von Naturkatastrophen bis hin zu subtiler Gewalterfahrung durch nahestehende Personen, lösen unter anderem Schuldgefühle, Angst- und Ohnmachtszustände, bisweilen sogar körperliche Schmerzen aus. Das Verhalten von Betroffenen ist für Außenstehende oft schwer zu verstehen und verleitet zu falschen Reaktionen. Aus ihrer Therapiepraxis mit Kindern und Familien ließ die Referentin Beispiele einfließen, wie sich Traumatisierung im (kindlichen) Verhalten äußert, etwa beim Spiel. Und sie zeigte, wie wichtig es ist, bei der Begegnung mit Betroffenen, die oft zunächst vordergründig aus ganz anderen Beweggründen etwa eine Beratungsstelle aufsuchen, "die trauma-sensible Brille aufzusetzen", wie Martina Gerdes es ausdrückte.

Schon einmal, 2011, war die Hilfe für Trauma-Betroffene Thema beim Runden Tisch. Damals lautete der einhellige Tenor, es gebe zu wenig Anlaufstellen und Therapieangebote für diese Menschen im Kreisgebiet. Auch jetzt gab es noch zwei Stimmen in der Diskussion, die dies bedauerten - denen Silke Esser allerdings nicht beipflichtet. Es gebe zwar immer noch Bedarf etwa an niedergelassenen Jugendpsychotherapeuten. Allgemein habe sich die Situation in den vergangenen sechs Jahren jedoch deutlich verbessert, betonte Esser. Sie verwies etwa auf die neueren dezentralen Angebote der ViaNobis (Gangelter Einrichtungen) in Heinsberg (Ambulanz, Tagesklinik, Kindergruppe Nepomuk) oder das vom Kreis (auch im Internet) veröffentlichte Psychosoziale Adressbuch mit einer Reihe von Anlaufstellen.

Insgesamt sei das Problemfeld rund um häusliche und sexuelle Gewalt facettenreicher geworden, beschreiben die Organisatorinnen des Runden Tischs. Natürlich gibt es nach wie vor die tätliche Gewalt durch Schläge, sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung. Aber Formen psychischer Gewalt im digitalen Zeitalter durch Cybermobbing etwa bekommen immer mehr Gewicht. "Die Hemmschwelle im Internet sinkt. Wir erfahren, dass Eltern oft kaum Kontrolle über die Aktivitäten ihrer Kinder in den sozialen Netzwerken mehr haben. Und allgemein scheint in den neuen Medien das Gefühl für Empathie und Grenzbereiche zur Gewalt zu schwinden", sagt Schulsozialarbeiterin Esser. Tatenlos sieht man im Arbeitskreis dieser Entwicklung nicht zu. So kläre das Kommissariat Vorbeugung der Polizei etwa in Schüler- und Elternveranstaltungen über "Gewalt im Internet" auf.

(RP)
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