Aus den Vereinen Barfuß in die Gesellschaft finden

Erkelenz · Flüchtlingskinder haben es besonders schwer, Kontakte zu gleichaltrigen Kindern zu knüpfen. Der Budo-Club Erkelenz hilft mit einem kostenlosen Ju-Jutsu-Sportangebot und geht so mit einem guten Beispiel voran. Die RP war zu Gast.

 Gespannt sitzen die Kinder in der Sporthalle und warten darauf, endlich mit dem Training beginnen zu können. Gerade für Flüchtlingskinder ist das Angebot des Budo-Clubs ein Segen.

Gespannt sitzen die Kinder in der Sporthalle und warten darauf, endlich mit dem Training beginnen zu können. Gerade für Flüchtlingskinder ist das Angebot des Budo-Clubs ein Segen.

Foto: JÜRGEN LAASER

Bajram, Sibela und Klara können ein Mal die Woche unbeschwerte Kinder sein. Wenn sie die Judomatten betreten, bleiben neben bunten Socken auch die dunklen Gedanken an die Flucht aus der Heimat im Flur der Gymnastikhalle zurück. Auf die Stille bei der Begrüßung folgt dann das Donnerwetter, wenn sich die 34 Kinder mit "Kampfnudeln" aus Styropor für das Ju-Jutsu-Training aufwärmen. Dass mit Bajram, Sibela und Klara Kinder aus Flüchtlingsfamilien in der Gruppe sind, fällt nicht auf, weil sie das Toben und Raufen so sehr genießen wie ihre Altersgenossen. Und weil alle die Sprache des Sports sprechen, der keine Barriere aus Worten im Weg steht.

"Die Kinder haben es schwer genug. Hier sollen sie lachen und für einen Moment alles andere vergessen", sagt Franz Thiel, Vorsitzender des Budo-Clubs Erkelenz. Seit Anfang des Jahres bietet der Verein das kostenlose Ju-Jutsu-Training an, in das auch Kinder aus Flüchtlingsfamilien integriert werden. Nicht Sieg, noch finanzieller Gewinn, sondern Gemeinnützigkeit ist das Wort, das der Verein groß schreibt. Thiel spricht von der sozialen Aufgabe in der Turnhalle und eine "erlebbare Willkommenskultur". Davon profitieren derzeit neun Flüchtlingskinder, die das Training nutzen, um sich zu bewegen, Gemeinschaft zu erleben und Freunde zu finden.

Der Erkelenzer Verein geht mit gutem Beispiel voran. Dass die Vereinsmitglieder einen Schritt auf die Flüchtlingsfamilien zugegangen sind, um die Integration durch den Sport voranzutreiben, verwundert nicht. Denn diese offene Haltung ist es, was im Judo, Ju-Jutsu oder Aikido vermittelt wird. Am Zehnthofweg lehrte Trainer Peter Siebertz (3. Dan) auch Fallschule, Griffe und schweißtreibende Selbstverteidigung. Doch vor allem die eigentliche Essenz des modernen Judos sollte den Kindern vermittelt werden: die Etikette des Respekts vor dem Gegenüber. "Das Leitmotiv heißt ,Gegenseitige Hilfe für beiderseitiges Wohlergehen'", so Franz Thiel.

34 Kinder setzten diese Theorie in die Praxis um: fair und auf Augenhöhe rauften und kämpften die Kids 90 Minuten lang mit-, nicht gegeneinander. Dass noch nicht alle im einheitlichen Budo-Anzug trainieren, solle sich bald ändern. "Erste Spender von Judoanzügen haben wir schon gefunden", sagt Thiel, der einige Kinder mit Anzügen versorgt hat. Von der Idee, die Flüchtlingskinder durch den Sport einzubinden, zeigten sich auch die Eltern begeistert. "Das klappt problemlos. Man kommuniziert beim Sport sowieso mit Hand und Fuß", sagte Christian Kosching, der mit Tochter Pia (6) zum Schnupperangebot gekommen ist.

Draußen ist es bereits dunkel, als die Nachwuchs-Judoka aus der Halle strömen und das Feld für die Älteren räumen. Rote Wangen und zufriedene Blicke signalisieren den Eltern, dass die Kinder Spaß hatten. Für die Flüchtlingskinder geht es zu Fuß nach Hause. Mit dem Umzug in das "Familie-Harf-Haus" sind sie nicht nur geografisch näher in das Stadtzentrum gerückt: Die Unterkunft ist von der Sporthalle aus fußläufig erreichbar. Und als Klara (6) die Socken anzieht und ihre Schuhe schnürt, sagt sie leise: "Ich hoffe, bald ist wieder Freitag."

(jessi)
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