Analyse Borussia und die Ausgewogenheit

Erkelenz · Es gibt Menschen, die machen sich Sorgen um Borussia. Sie haben Angst vor dem Absturz. Darum sind sie ausgesprochen unzufrieden mit dem, was derzeit passiert im Borussen-Universum. Nicht wenige machen ihrem Unmut in den sozialen Netzwerken wortgewaltig Luft. Es gibt aber auch die, die jene schelten, die schon die Apokalypse über den Borussia-Park kommen sehen nach dem vierten sieg- und torlosen Bundesligaspiel in Serie. Es gibt also eine Art Richtungsstreit unter den Gladbach-Fans: zwischen dem verständnisvollen "okay, es gibt eben diese Phasen" und dem verständnislosen "das geht gar nicht". Der Diskurs passt zur Saison: Es fehlt die Ausgewogenheit.

Dass es so ist, ist eine Frage von Zentimetern. "Wenn der Lattenball reingegangen wäre, hätte man von einer reifen Leistung gesprochen und gesagt: So spielt ein Spitzenteam", sagte Christoph Kramer mit Blick auf den Schuss von Oscar Wendt. "So sagt man: Es war ein ganz müder Kick." Kramer kennt die schwarz-weiße Fußballwelt gut genug, um zu wissen, dass daran nichts zu ändern ist. Doch wäre die beiden Lattentreffer der letzten Heimspiele, gegen den HSV der Elfmeterversuch von Lars Stindl und nun eben das Wendt-Geschoss, das Eintracht-Torwart Lukas Hradecky mit einem Reflex unters Gebälk lenkte, ein paar Zentimeter weiter unten angesetzt gewesen, hätte Borussia wohl vier Punkte mehr und die "Tabelle sähe fast schon rosig aus": Mit vier Punkte mehr wäre Borussia in den Europa-Rängen.

So aber wurden daheim vier Punkte eben nicht geholt, und weil die Borussen auswärts bislang nur einen Punkt eingesammelt haben, ist die Gesamtbilanz minus drei. Um an der Stelle wieder eine Ausgewogenheit hinzukriegen, braucht es notwendig drei Punkte in der Fremde, und die bekommt man am schnellsten mit einem Sieg zusammen. Die Gelegenheit dazu bietet sich am Freitag in Berlin bei Hertha BSC. In der vergangenen Spielzeit gab es Ende Oktober im Olympiastadion ein klares 4:1. Es war der vorletzte Auswärtssieg der Borussen.

Zuvor jedoch ist Champions League. Glasgow kommt. Und Glasgow ist auch das beste Beispiel für Gladbacher Ausgewogenheit: 2:0 wurde dort gewonnen, es stimmte alles - die Defensivleistung, die dem Gegner kaum Chancen einräumte, und die offensive Ausbeute. Hinten war es auch gegen Frankfurt gut, auch die Eintracht durfte gefühlt gar nicht aufs Borussen-Tor schießen. Überhaupt klappt es mit der Torverhinderung recht gut derzeit: Vier der vergangenen fünf Pflichtspiele endeten ohne Gegentor, nur beim FC Bayern kassierte Borussia zwei Tore. Das Problem ist: In der Bundesliga hakt es derzeit in der Offensive - 374 Minuten ohne Tor stehen in der Bilanz. Es gab Zeiten unter Trainer André Schubert, da war das Gefühl ein anderes: viele Tore vorn und hinten. "Wenn wir 5:3 gewinnen, heißt es, wir kriegen zu viele Gegentore, jetzt spielen wir zu Null, schießen aber zu wenige Tore", stellte Schubert fest.

Raffael, Hazard, Traoré und Christensen fehlen, die ersten drei besonders als offensive Kreativlinge. Derzeit, gestand der Trainer, sei sein personell ausgedünntes Team nicht in der Lage, "Champagner-Fußball" zu spielen. Gegen Frankfurt war es Mineralwasser mit geringem Prickelfaktor. Morgen gegen Celtic soll es wieder richtig prickeln im Borussia-Park. Ein ausgewogenes Spiel will da kein Borusse haben. Sondern eines, das einseitig pro Gladbach ausfällt. Karsten Kellermann

(RP)
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