Herbert Reul "Europa muss Solidarität erst wieder lernen"

Langenfeld · Herbert Reul, der Europa-Abgeordnete für den Kreis Mettmann und Vorsitzende der CDU Bergisch-Land, im Gespräch.

 Herbert Reul wurde 2004 ins Europäische Parlament gewählt. Seit Januar 2012 ist er dort auch Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe.

Herbert Reul wurde 2004 ins Europäische Parlament gewählt. Seit Januar 2012 ist er dort auch Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe.

Foto: Andreas Endermann

Herr Reul, alles schaut in diesen Tagen auf die Vorfälle von Köln in der Silvesternacht. Sie haben als Europaabgeordneter jetzt gefordert, das Pensionsalter für Polizisten flexibler zu gestalten - glauben Sie wirklich, dass das hilft?

Reul Natürlich lässt sich allein damit das Problem nicht lösen, aber es wäre zumindest eine Maßnahme, die sich ganz schnell umsetzen ließe. Bis neue Polizeianwärter eingestellt und ausgebildet sind, vergehen doch mindestens zwei Jahre. Es gibt aber durchaus Polizisten, die gerne länger arbeiten möchten, nur ist für sie in NRW bisher mit 62 Schluss. Die Aufhebung dieser starren Altersgrenze brächte dem Land quasi über Nacht mehr Polizisten.

Die Intensität der Gewalt hat alle überrascht, auch die Polizei. Wie hätte man das verhindern können?

Reul Wir Deutsche haben uns über Jahre hinweg im Namen des Datenschutzes den seltsamen Luxus geleistet, der Polizei wichtige Instrumente zur Erkennung und Vermeidung von Kriminalität vorzuenthalten - und damit meine ich nicht nur die Vorratsdatenspeicherung. Es kann doch nicht sein, dass deutsche und holländische Polizisten in einer gemeinsamen Gruppe grenzübergreifende Kriminalität bekämpfen sollen, sich aber gegenseitig nicht auf den Computer schauen dürfen.

Man hat aber auch das Gefühl, dass Europa in wichtigen Fragen, gerade was den Zustrom und die Verteilung von Flüchtlingen betrifft, längst in nationale Interessen zerfallen ist. . . .

Reul Es gibt zu viele Länder, die Rosinenpickerei betreiben und den Solidaritätsgedanken dabei vergessen. Das muss geändert werden, Europa muss Solidarität wieder lernen. Es gibt ja einen Verteilungsschlüssel für die ankommenden Flüchtlinge. Das ist alles genau geregelt, nur halten sich einige Länder nicht daran.

Und Ihnen bleiben da nur Appelle?

Reul Das klingt jetzt etwas martialisch: Aber wenn Länder einerseits ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sich also unsolidarisch verhalten, warum sollen sie dann etwa bei Strukturprogrammen oder anderen Fördertöpfen künftig noch profitieren? Solidarität funktioniert nur in beide Richtungen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Flüchtlingen eine Perspektive in Deutschland geboten. Stehen Sie zu ihrem Credo: "Wir schaffen das?"

Reul Ich habe nun weiß Gott oft genug mit Frau Merkel gestritten. Beim Thema Energiewende beispielsweise lagen unsere Positionen weit auseinander. Aber in der Flüchtlingsfrage stand ich von Anfang an an ihrer Seite. Vieles, was der Kanzlerin gegenüber an Kritik geäußert worden ist, war ja auch völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

Inwiefern?

Reul Frau Merkel hat von Beginn an das Thema sehr differenziert behandelt. Ihr Konzept beinhaltet: Wirtschaftsflüchtlinge zurückweisen, Asylrecht verschärfen, um schneller abschieben zu können, die Türkei in ihrer wichtigen Rolle an Europas Grenze stärken, mit Putin reden, um den Krieg in Syrien beenden zu können - aber eben auch die wirklichen Kriegs-Flüchtlinge in Deutschland willkommen heißen. Von all diesen Punkten ist sie nie abgerück.

Macht es angesichts all der Probleme zurzeit noch Spaß, Europaparlamentarier zu sein?

Reul Warum nicht? Wir sind aber nicht gewählt worden, um Spaß zu haben, sondern, um gute Politik für die Menschen zu machen. Angesichts der aktuellen Situation verstehen immer mehr Bürger, dass sich die großen Probleme unserer Zeit nicht mehr von Land zu Land lösen lassen, sondern nur, wenn Europa gemeinsam eine Lösung findet. Und das finde ich richtig gut.

PETER KORN STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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