Esma Cakir-Ceylan "Frauen sind noch immer benachteiligt"

Langenfeld · Anwältin Ceylan vertritt unter anderen Reyhan C., die von ihrem Ex-Freund aus Langenfeld mit Säure verätzt wurde.

Nach der aktuellen europäischen Studie sind 35 Prozent der Frauen in Deutschland von physischer oder sexueller Gewalt betroffen. Als Anwältin vertreten Sie viele Frauen. Lassen sich die Ergebnisse auch auf einzelne Kommunen übertragen?

Cakir-Ceylan Ja. Wir arbeiten in der anwaltlichen Tätigkeit leider sehr viel mit gewaltbetroffen Frauen. Wir haben sowohl in Düsseldorf als auch in Neuss die Erfahrung gemacht, dass gebildete und gut situierte Menschen durchaus Täter von häuslicher Gewalt sein können. Die Untersuchung bestätigt, dass Gewalt nicht eine Schichten- oder Bildungsfrage ist.

Unter Ihren Mandantinnen befindet sich Reyhan C., die vor rund einem Jahr von ihrem Langenfelder Ex-Freund mit Säure verätzt wurde. Wie geht es ihr mittlerweile?

Cakir-Ceylan Das Leben meiner Mandantin Reyhan hat sich nach dem Säureanschlag verändert, sowohl im sozialen Leben als auch in ihrem beruflichen Werdegang. Sie ist eine sehr tapfere junge Frau, leidet aber natürlich unter den gesundheitlichen Einschränkungen und den optisch sichtbaren Narben. Der Täter hatte Revision gegen das Urteil eingelegt. Wir haben vor einigen Tagen die Nachricht vom Bundesgerichtshof erhalten, dass die Revision zurück genommen wurde. Jetzt ist das Urteil rechtskräftig.

Reichen die deutschen Gesetze aus, um Frauen wie Reyhan C. zu Gerechtigkeit zu verhelfen?

Cakir-Ceylan Ich denke, dass unsere Gesetze leider nicht ausreichend sind. Sowohl das Gewaltschutzgesetz als auch der Stalking-Paragraph im Strafgesetz sind defizitär und bereiten in der Rechtsanwendung praktische Probleme. Reyhan hatte zuvor eine Gewaltschutzverfügung erwirkt. Trotzdem hatte sie keine Ruhe vor dem Täter, was den Ermittlungsbehörden auch bekannt war. Ich bedauere sagen zu müssen, dass die Ermittlungsbehörden in Reyhans Fall versagt haben. Sie fühlte sie sich von der Polizei nicht ernst genommen. Im Vergleich zu den bleibenden Schäden meiner Mandantin empfinden wir das Urteil von fünf Jahren und sieben Monaten und drei Jahren und sechs Monaten nicht als gerecht.

Was könnten auch die hiesigen Politiker tun, um die Lage für Frauen zu verbessern?

Cakir-Ceylan Die Gesetzgebung muss sich hinsichtlich der Arbeitsmarktsituation und des Gewaltschutzgesetztes ändern. Die Politiker können darauf hinarbeiten, dass sich die Wahrnehmung ändert und dass Rollenbilder abgebaut werden. Sie können darauf einwirken, dass gewaltbetroffene Frauen ernster genommen werden und Schutzeinrichtungen gut funktionieren.

Wo müssten Frauen selbst noch stärker ihre Interessen vertreten?

Cakir-Ceylan In meiner Eigenschaft als Vorsitzende des Migrantinnenvereins Düsseldorf und Delegierte für unseren Bundesverband im Deutschen Frauenrat muss ich sagen, dass sowohl die Migrantinnen, insbesondere aber auch die deutschen Frauenorganisationen ihre Interessen sehr stark vertreten. Eigentlich muss lediglich mehr Gehör verschafft werden. Frauenpolitik muss den gleichen Rang genießen wie andere politische Felder. Schließlich betrifft sie die Hälfte der Bevölkerung.

Die Frau gehört an den Herd, hieß es früher. Muss die moderne Frau noch kochen können?

Cakir-Ceylan In einer Familie sollen alle Mitglieder Aufgaben übernehmen, und das nicht, weil eine althergebrachte Rollenerwartung ihnen diese Aufgabe auferlegt.

SUSANNE GENATH STELLTE DIE FRAGEN

(RP)
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