Monheim Jeder achte Monheimer ist überschuldet

Monheim · Der neue Reichtum der Stadt findet privat keine Entsprechung. Immer mehr Bürger stecken in der Schuldenfalle.

 Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können ist für viele Betroffene eine enorme psychische Belastung.

Rechnungen nicht mehr bezahlen zu können ist für viele Betroffene eine enorme psychische Belastung.

Foto: voba

Wenn Schuldnerberater Markus Miller durch seine Aktenordner blättert, kommen viele traurige Einzelschicksale zum Vorschein: Familien, die durch plötzliche Krankheit die Kredite für ihr Haus nicht mehr tilgen können, junge Männer, die kurz nach dem ersten Autokauf arbeitslos werden, oder alleinerziehende Mütter, die durch die Spielsucht des Ex-Partners tief in die roten Zahlen rutschen. "Den typischen Schuldner gibt es nicht", betont der 47-Jährige und klappt den Ordner zu. "Im Grunde kann jeder in diese Situation kommen."

 Der Monheimer Schuldnerberater Markus Miller rät allen, die in einer finanziellen Notlage sind, sich schnell Hilfe zu holen.

Der Monheimer Schuldnerberater Markus Miller rät allen, die in einer finanziellen Notlage sind, sich schnell Hilfe zu holen.

Foto: MATZERATH

Das gilt offenbar besonders in Monheim. Laut einer Studie der Creditreform sind 13 Prozent der Über-18-Jährigen in der Gänseliesel-Stadt überschuldet. Das besagt der aktuelle "Schuldneraltas" der in Solingen ansässigen Wirtschaftsauskunft. Im Vergleich zu 2012 ist das ein Anstieg um zwei Prozentpunkte. Damit hat Monheim im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung die meisten überschuldeten Privathaushalte im Kreis Mettmann.

"Woran das liegt, kann ich nicht sagen", meint Milller mit Blick auf das ernüchternde Ergebnis der Untersuchung. Einen spürbaren Anstieg der Ratsuchenden könne er jedenfalls nicht feststellen. "Wir beraten im Jahr mehr als 300 Menschen, und die Warteliste umfasst rund 80 Personen", sagt der Diplom-Sozialarbeiter, der seit 14 Jahren im Beratungszentrum seinen Klienten aus finanziellen Notlagen hilft. "Im Schnitt dauert es länger als drei Jahre, bevor überhaupt eine Beratung in Anspruch genommen wird. Die meisten Betroffenen warten aus Scham zu lange, bevor sie sich fachkundige Hilfe suchen." Dann bleibe als letzter Ausweg oft nur die Verbrauchersolvenz.

Die Ursachen für Überschuldung sind vielseitig. In den meisten Fällen ist es Arbeitslosigkeit, die eine finanzielle Abwärtsspirale in Gang setzt. Direkt danach kommen Scheidung, Trennung oder der Tod des Partners als Auslöser. Unbedarftes Konsumverhalten ist nur in knapp zehn Prozent der Fälle der Grund für Schulden — ebenso wie gescheiterte Selbstständigkeit. "Die meisten, die zu uns kommen, sind zwischen 35 und 45 Jahren alt", sagt Miller. "Das zieht sich durch alle sozialen Schichten."

Bei Vanessa Neumann (Name geändert) war es eine Mischung aus jugendlichem Leichtsinn und Naivität, die sie in die Schuldenfalle tappen ließ. Vor etwa acht Jahren kellnerte die heute 26-Jährige nebenbei in der Kneipe eines Bekannten. Dann machte ihr der Wirt ein verlockendes Angebot. Für 500 Euro mehr im Monat sollte sie die Konzession der Gaststätte über ihren Namen laufen lassen. Es handele sich um "eine reine Formsache", versicherte der Gastronom. Sie vertraute ihrem Arbeitgeber und sagte zu. Was sie damals nicht ahnte: Der Wirt ließ sie kurze Zeit später mit knapp 18 000 Euro Steuerschulden sitzen — und verschwand spurlos.

"Ich war völlig fertig", erinnert sich die alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. "Erst habe ich noch versucht, die Schulden zu begleichen, aber es kam immer mehr dazu." Die Urheberrechte-Verwertungsgesellschaft Gema, Lieferanten, Genossenschaften — plötzlich kamen immer mehr Forderungen auf die junge Frau zu. Inzwischen ist der Schuldenberg auf 32 000 Euro angewachsen. "Ich habe fünf Jahre damit gelebt, bevor ich mir Hilfe gesucht habe", sagt Neumann. "Die psychische Belastung war unvorstellbar." Nun hat sie ihr Abitur nachgeholt und steht vor dem Abschluss ihrer Berufsausbildung. Mit der Hilfe von Markus Miller strebt sie die Privatinsolvenz an. Mit etwas Glück und viel Disziplin kann sie in sechs oder sieben Jahren wieder ein normales Leben führen.

Ganz so drastisch ist es aber nicht in jedem Fall. "Manchmal sind es schon die Energiekosten, die Geringverdiener in die Bredouille bringen", weiß Miller. "Über die Einzelschicksale macht sich kaum jemand ernsthafte Gedanken — dabei geht es oft um die ganze Existenz der Betroffenen." Er rät allen, die in einer finanziellen Notlage sind, sich schnell Hilfe zu holen und nicht auf zwielichtige Angebote reinzufallen. "Professionelle Schuldnerberater arbeiten grundsätzlich kostenfrei und haben eine Zulassung der Bezirksregierung", unterstreicht der Experte. "Wer dafür Geld sehen will, arbeitet in der Regel unseriös."

(dora)
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