Langenfeld Liberale verdauen den Niedergang

Langenfeld · Bratkartoffel-Sülze schmeckt auch noch bei 3,7 Prozent. Ein Besuch beim FDP-Stammtisch im "Ritter".

 Der nächste Eisberg kommt bestimmt. Ratsfraktionschef Frank Noack (Mitte) mit Parteifreunden beim FDP-Stammtisch im "Ritter".

Der nächste Eisberg kommt bestimmt. Ratsfraktionschef Frank Noack (Mitte) mit Parteifreunden beim FDP-Stammtisch im "Ritter".

Foto: Matzerath

Holzvertäfelung, dunkles Gestühl, ein Kamin - so könnte es auch in einem Salon der "Titanic" ausgesehen haben. Nur dass die Passagiere, als das Schiff sank, keine Bratkartoffelsülze mehr bestellt haben dürften. Lothar Abrakat aber lässt es sich im Langenfelder "Ritter" schmecken. "Mit klaren wirtschaftspolitischen Positionen kann man beim Wähler punkten", ist der bärtige FDP-Mann überzeugt. Er sagt das, keine 26 Stunden nachdem die Sachsen die bis dato letzten FDP-Minister in Deutschland aus dem Amt gekickt haben.

Willkommen beim monatlichen Stammtisch des FDP-Ortsvereins Langenfeld. Fünf Männer und zwei Frauen haben sich im Hinterzimmer des Stadtgalerie-Restaurants versammelt, um eine weitere Wahlschlappe zu verdauen. 3,7 Prozent in Sachsen - das sind noch mal 0,1 Punkte weniger als bei der Kommunalwahl vor drei Monaten in Langenfeld. Und anders als beim Stadtrat fliegt man mit so einem Ergebnis in Dresden aus dem Landtag. Nach den Wahlen in Brandenburg und Thüringen in anderthalb Wochen dürfte die einst "dritte Kraft" in Deutschland nur noch in sechs von 16 Landesparlamenten vertreten sein. Aus dem Bundestag zog sie bereits vor einem Jahr (4,8 Prozent) aus. Wie ist das, wenn die eigene politische Heimat gerade untergeht?

"Totgesagte leben länger", entgegnet Herbert Wilsing, mit 72 Jahren nicht nur der Älteste, sondern auch der längstgediente Liberale in der Runde. 1974 hat ihn die Wiescheider FDP-Ikone Fritz Clees in die Partei geholt, einer aus der Stahlhelm-Fraktion, alte Weltkriegskameraden, denen die CDU zu katholisch und die SPD zu kommunistisch war. Aber das spielte fürs Nachkriegskind Wilsing keine Rolle: "Fritz Clees hat sich damals für den Bau eines Spielplatzes für unsere Kinder eingesetzt - das war entscheidend", erzählt der hagere Sportsfreund.

Damals holte die FDP bei den Ratswahlen noch mehr als neun Prozent, ein Traumergebnis, das ihr zuletzt 1989 gelang (9,5). Danach ging's ab und auf, Trend: abwärts. So leichenblass aber wie heute - das muss auch Wilsing einräumen - war seine Partei noch nie.

Unter die vier Prozent gedrückt - da sind sich die Sieben im "Ritter" einig - hat die Langenfelder der "Gegenwind aus Berlin": "Wer eine Steuervereinfachung verspricht wie die Parteispitze 2009, sie aber in der Regierung nicht durchsetzt, braucht sich über verlorene Wählerstimmen nicht zu wundern", sagt Frank Noack, einer von zwei verbliebenen Freidemokraten im Stadtrat. Eigene Versäumnisse sieht der 45-Jährige weniger, auch nicht beim Thema CO-Leitung. Anders als die Langenfelder CDU und die SPD hat die FDP bisher nicht in den Anti-Pipeline-Chor eingestimmt. Populistisch gesehen dumm, oder? "Nein", sagt Noack, "das ist wirtschaftspolitisch geboten, weil an diesem Chemiestandort tausende Jobs hängen. Außerdem will ich noch in den Spiegel schauen können und nicht das Gegenteil dessen behaupten, was im Landtag nahezu Konsens ist."

55 Mitglieder hat die Langenfelder FDP laut Noack - 15 weniger als 2009, dem Jahr, als der Diplom-Kaufmann dem langjährigen Vorsitzenden Rolf Gassen den Posten abnahm. "Seit dem Tiefpunkt bei etwa 50 sind wir aber schon wieder ein paar mehr, besonders dank unserer jüngeren Mitglieder", sagt Noack.

Zu ihnen gehört nicht nur der an diesem Abend verhinderte neue Vorsitzende Moritz Körner (24), sondern auch Philipp Fritsche, mit 25 der Jüngste am Tisch. "Wir müssen Vertrauen in die Intelligenz unserer Wähler haben", macht der American-Football-Spieler sich und seinen Parteifreunden Mut. In Langenfeld wollen sie das in dieser Ratsperiode besonders mit dem beständigen Einfordern von Transparenz beweisen: "Mehr Transparenz bei der Vereinsförderung, bei der Wasserburg, bei teils millionenschweren Entscheidungen, die in nicht-öffentlich tagende städtische Gesellschaften ausgelagert wurden."

Und wenn die FDP dennoch untergeht? Böte sich die AfD (Sachsen: 9,7 Prozent) als Rettungsboot an, zumindest für Konservative unter den Liberalen? Auf diese Frage tut sich am Stammtisch ein kleiner Riss auf zwischen Alt und Jung. Während Wilsing und der pensionierte Lehrer Peter Nommensen (69) über die eurokritischen Emporkömmlinge nur den Kopf schütteln ("Ich lass' mir doch von einer Partei nicht vorschreiben, wie viele Kinder ich haben soll!"), sind die Jüngeren zurückhaltender in ihrem Urteil. "Ich bin froh, dass die AfD bei der Kommunalwahl in Langenfeld nicht angetreten ist", räumt Noack ein. Und Fritsche sagt: "Wie liberal eine Partei positioniert ist, zeigt sich meist erst nach ein paar Jahren. Für mich ist jede demokratische Gruppe, die klar Position bezieht, eine Bereicherung im Meinungsspektrum."

(RP)
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