Lokalsport Stahl(hart) zu EM-Silber

Amsterdam · Mit ihrem letzten Versuch wirft die Leverkusenerin Linda Stahl ihren Speer auf 65,25 Meter und zu EM-Silber. Damit löste sie ihr Olympia-Ticket. Katharina Molitor, die Vierte wurde, muss mit Blick auf Rio weiter zittern.

Hinterher musste Linda Stahl dann doch ein bisschen über sich selbst schmunzeln. "Man kennt mich ja sonst nicht so als hysterisch grölend", sagte die 30-Jährige. Aber dieser letzte Wurf von Amsterdam, der schrie einfach danach, mal die Beherrschung aufzugeben und der Freude freien Lauf zu lassen. 65,25 Meter, EM-Silber, das Ticket nach Rio endlich sicher in der Tasche - da kann sich schon mal Anspannung entladen.

Denn es hätte ohne diesen letzten Wurf eben alles auch ganz anders kommen können: keine Medaille, der Rio-Traum geplatzt, das Karriereende im Amsterdamer Wind. "Vor dem letzten Durchgang habe ich schon daran gedacht, dass das ja mein allerletzter Wurf sein könnte. Denn wenn der letzte Versuch nicht so geklappt hätte, wäre ich ganz sicher nicht nach Rio gefahren", sagte Stahl.

Und so symbolisierte dieser Silber-Wurf letztlich nicht nur Können, Kampfgeist und Willen der Urologin, die ihre Karriere nach der Saison beendet, sondern eben auch all den Druck, das Nervenspiel und die Ungewissheit, mit der sich Deutschlands vier beste Speerwerferinnen in diesem Jahr mit Blick auf eine Nominierung für Rio plagen. Bevor zu Wochenbeginn der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine drei Olympia-Kandidatinnen vorschlägt, steht nur fest: Christin Hussong ist dank ihres Deutschen Meistertitels von Kassel sicher dabei. Stahl auch mit ihrer vierten EM-Medaille (zuvor Gold 2010 sowie Bronze 2012 und 2014).

Und sonst? Katharina Molitor, die Weltmeisterin von 2015, schlug die vierte, Ex-Weltmeisterin Christina Obergföll, in Kassel und bestätigte als EM-Vierte von Amsterdam mit 63,20 Metern einmal mehr die Rio-Norm (62,00). Und trotzdem muss sie zittern, weil sie von der Saisonbestweite her hinter Obergföll liegt und niemand weiß, welche Leistung Vorrang hat.

Und so warf Obergföll in diesen Wochen bei kleineren Meetings weiter, um ihre Chance zu wahren. "Ich habe keine Ahnung, was Christina werfen muss, um mein Ergebnis zu toppen. Ich weiß auch nicht, ob es mehr wert ist, hier bei einer EM so zu werfen oder bei einem Wettkampf, der vielleicht sogar auf einen zugeschnitten ist", sagte eine sichtlich geknickte Molitor in den Katakomben des Amsterdamer Olympiastadions.

Einig sind sich Stahl und Molitor, die beiden Leverkusener Trainingskolleginnen in jedem Fall, dass dieser monatelange Ausscheidungswettkampf nach nicht gänzlich klaren Regeln an den Kräften zehrt. "Es ist definitiv eine Belastung", sagte Molitor, und Stahl erklärte: "Ich wollte alles dafür tun, diese Zitterpartie nicht weiter erleben zu müssen."

Stahl erlebt nun auf jeden Fall ihre zweiten Olympischen Spiele nach London, wo sie Bronze geholt hatte. Ihr Chef aus dem Klinikum wird auch da sein. "Er hatte schon vorher Rio gebucht, das heißt, ich musste mich also auf jeden Fall qualifizieren", sagte Stahl schmunzelnd.

Dass ein Wettkampf mit Kollegen im Zuschauerrund sie wohl eher beflügeln als hemmen, zeigte indes Amsterdam. "Es wollten 13 Kollegen kommen, und es sind auch 13 Kollegen gekommen. Das war toll", sagte sie.

Und wären die Kollegen auf der Tartanbahn gewesen, Stahl hätte sie wohl mitgenommen auf ihre Ehrenrunde, auf der die neue Europameisterin Taziana Chaladowitsch (Weißrussland, 66,34 Meter), Mühe hatte, mit ihrer schwarz-rot-gold beflaggten Gegnerin Schritt zu halten.

(klü)
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