Leverkusen Atemberaubend

Leverkusen · Zeitgleich ging jetzt die Kultursaison im Bereich Tanz zu Ende. Bei Bayer Kultur im Erholungshaus spürten Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz die Strukturen von Johann Sebastian Bachs "Partita Nr. 2" für Violine solo nach und setzten die formale barocke Strenge in sensible Bewegung um. Bei KulturStadtLev endete die Tanz-Reihe mit einem Griff zur Literatur. Thomas Manns Roman "Zauberberg" diente Xin Peng Wang als Vorlage für seine gleichnamige Choreographie, die das Ballett Dortmund auf die Forum-Bühne brachte.

Leverkusen: Atemberaubend
Foto: Bettina Stöß

Dort war der Saal zwar nicht ganz so voll wie sonst bei Tanzveranstaltungen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich das Tanzpublikum an diesem Abend zwischen zwei Produktionen entscheiden musste, aber erstaunlich gut gefüllt. Begeistert wurde die Compagnie mit langanhaltendem Schlussapplaus gefeiert. Zugleich galten die Beifallsbekundungen der Technik, die diesen Abend zu einem besonderen Erlebnis machte. Dieser "Zauberberg" setzt auf die Macht der Bilder, die längst Atmosphäre schaffen, bevor ein Tänzer auf der Bühne sichtbar ist. Selbst das Bühnenbild, das sich durch fantasievoll genutzte Videotechnik häufig wandelt, zeigt nur grauen Stoff. Darauf wird wie von Geisterhand mit schwarzem Stift gezeichnet. Die Zuschauer sehen fasziniert zu, wie allmählich eine schneebedeckte Berglandschaft entsteht, die sich auf der Bühne mit einem riesigen Tuch fortsetzt. Eine fremde, künstliche Welt, wie Thomas Mann den Handlungsort, ein Schweizer Lungen-Sanatorium, beschreibt. Hier trifft die Hauptfigur Hans Castorp (von Dmitry Semionov kraftvoll und mit gestreckter Eleganz getanzt, insbesondere mit Haruka Sassa in der weiblichen Hauptrolle) ein. Nur zu Besuch, der letztlich sieben Jahre dauert und eine Flucht aus der Realität ist, die alle auf dem Zauberberg mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs einholt. Filme von Kampfhandlungen laufen am Schluss im Hintergrund, bevor sich ein wehendes weißes Tuch über die Bühne senkt, durch das sich der einsame Castorp den Rückweg bahnt.

Der Tod ist allgegenwärtig in dieser Gesellschaft von echten und eingebildeten Kranken, die unter riesigen Röntgenbildern reihenweise zum Durchleuchten antreten und wie an die Wand geklebt in verzerrten Stills verharren. Zauberhafte Momente gibt es viele, etwa wenn weiße Stühle von der Decke schweben oder das Ensemble - in weißen Schläuchen, die auch zu Bettzeug und Leichensäcken werden - Berggipfel formt. Und wenn sich dicke Schneeflocken auf dunklem Grund in fallende Buchstaben verwandeln, die sich allmählich zu Textzeilen ordnen. Starke und atmosphärisch dichte Bilder, die manchmal so sehr gefangen nehmen, dass der Tanz beinahe zur Nebensache wird. Ein atemberaubender Saison-Schluss.

(mkl)
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