Leverkusen Bedrückende Zeitreise in eine zerstörte Stadt

Leverkusen · Das Schauspielerehepaar Claudia Amm und Günter Lamprecht las aus Bölls Nachkriegsroman "Der Engel schwieg".

Auf der Bühne des Erholungshauses stand nur das Nötigste: ein langer Tisch mit zwei beleuchteten Leseplätzen. Karg wie die Zeit, in die Heinrich Bölls Nachkriegsroman "Der Engel schwieg" zurückführt, war auch die Ausstattung zur Lesung. Unvorstellbar karg und entbehrungsreich für Zuhörer unter 70 Jahren, die selbst nur ihr Land nach dem Wirtschaftswunder kennengelernt haben. Aber dem Schauspieler-Ehepaar Günter Lamprecht und Claudia Amm gelang es, diese Welt spürbar zu machen. Und zwar durch die stille, völlig unprätentiöse Art des Vorlesens, schmucklos und ohne jeden geschmacklosen Leidensklang. Sie zitierten die beiden Überlebenden, die nach dem Verstummen der Bomben in einer zerstörten Stadt das Nötigste teilen und zum Paar werden, mit leisen und zögerlichen Stimmen. Stimmen, die erkennen lassen, dass beide nicht mehr unvoreingenommen an das große Glück der Zweisamkeit glauben können.

Diese zurückgenommene Lesung vermittelte die gekürzte Fassung von Bölls Roman vollkommen ehrlich, sie zog die Zuhörer von Bayer Kultur so sehr in Bann, dass diese den Saal am Ende blinzelnd und ein wenig benommen verließen, um wieder ins Jahr 2017 zurückzukommen. Und sich wenigstens für einen Augenblick der eigenen Lebens-Realität in Frieden, Freiheit und Wohlstand, bewusst zu sein. Für viele Menschen auf der Welt gilt das auch heute nicht, denn in Kriegsgebieten sind aktuell genauso Gewalt, Tod, Zerstörung, Hunger und Elend an der Tagesordnung wie in Deutschland während der Vierziger-Jahre. Das zu vermitteln war Lamprecht und Amm so wichtig, dass am Anfang in einer kleinen Einführung für alle genau darauf hingewiesen wurde. Außerdem erfuhr das Publikum etwas über den Schriftsteller Heinrich Böll - für dessen erste Veröffentlichungen im Übrigen der Leverkusener Verleger Friedrich Middelhauve sorgte - und die Entstehungsgeschichte des Romans über einen desertierten Soldaten, der in seine zerstörte Heimatstadt zurückkehrt.

Geschrieben wurde er zwischen 1949 und 1951, fand aber damals kein Interesse. Niemand schien sich in die soeben überwundene Zeit zurückversetzt sehen zu wollen. Das war erst 40 Jahre später der Fall nach der erfolgreichen späten Publikation. Zwischen dem ersten Buchteil, der die Einberufung des jungen Soldaten 1939 beschreibt und seiner Rückkehr kurz vor Kriegsende löschten die Schauspieler ihre Leselampen für eine stille Pause, um die Großprojektion einer Luftaufnahme vom zerstörten Köln, Bölls Geburtsstadt, wirken zu lassen. Nur die beiden Kerzen davor brannten weiter, zum Gedenken an Kriegsopfer und zugleich Zeichen für das Leben. Das war ein eindrucksvoller und nachdenklich stimmender Abend zum Abschluss der Theater-Saison bei Bayer Kultur.

(RP)
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