Leverkusen Das erste Nest mit Kuschelfaktor

Leverkusen · Heimat ist nicht immer da, wo man sich freiwillig hinbegibt. Leon etwa erlebt seit seiner Geburt am Montag seine erste Heimat in einem Brutkasten im Klinikum. Und doch gibt es für den Winzling dort auch viel Geborgenheit.

 Leon, 795 Gramm, Frühchen. Geborgenheit soll der Säugling auch auf der Intensivstation der Kinderklinik erfahren - durch Mama Sabrinas und Kinderkrankenschwester Lenas (l.) Hände.

Leon, 795 Gramm, Frühchen. Geborgenheit soll der Säugling auch auf der Intensivstation der Kinderklinik erfahren - durch Mama Sabrinas und Kinderkrankenschwester Lenas (l.) Hände.

Foto: Uwe Miserius

Eigentlich gehört Leon noch nicht auf diese Welt. Nun ist er aber seit Montag da. Ein bisschen mehr als elf Wochen zu früh. 795 Gramm schwer. Ein Winzling, der später einmal auf den Nachnamen Müller hören wird, wenn er in Much im Rhein-Sieg-Kreis heranwächst. "Du bist ein Kämpfer, das weiß ich", sagt Mutter Sabrina Müller fest und streichelt ganz sanft über Leons Kopf. Seit Montag tut sie das oft. Aber nach ihrem Wunsch ist das nicht oft genug. Denn rund um die Uhr kann sie nicht bei ihrem Baby sein. Leons erstes wärmendes Nest auf dieser Welt, seine erste Heimat, ist ein Inkubator, ein Brutkasten also, auf der Intensivstation der Kinderklinik im Klinikum Schlebusch.

Darin liegt er bei muckeligen 34,5 Grad und erhöhter Luftfeuchtigkeit, damit er über seine fast durchscheinende Haut nicht allzu viel verdunsten muss. Und der zarte Knabe ist verkabelt: "Atemunterstützung, Messung der Vitalparameter wie Herzschlag, Puls, Sauerstoffsättigung und eine Infusion", zählt Oberarzt Jens Mütze auf. "Leon hat auch eine Magensonde, weil er zum Trinken noch nicht kräftig genug ist." Mit blauem Licht wird Gelbsucht behandelt. Bei Leon, sagt Mütze, sei aber alles so, wie es bei einem Kind seines Alters sein soll. Und auch, wenn der Winzling selbstständig atmen kann, bekommt er zusätzlich einen Luftstrom in die Nase, der hilft, seine Lunge richtig zu entfalten.

Jedes zehnte Kind, erzählt der Mediziner, komme als Frühgeborenes auf die Welt, hat also weniger als 37 der üblichen 40 Wochen im Mutterleib verbracht. Säuglinge, die es noch eiliger haben und früher als nach 35 Wochen geboren werden, kommen auf die Intensivstation. "Die Kinder haben ein geringes Energielevel, unreife Organe, die noch gar nicht dafür gedacht sind, Aufgaben zu übernehmen - Kreislauf, Verdauung Atmung sind meist noch nicht so, wie sie sein sollten", erläutert Jens Mütze die medizinische Seite.

Dann kommt der Klinikum-Arzt auf die menschliche Seite zu sprechen. Was offiziell entwicklungsfördernde Pflege heißt, nämlich die Versorgung im Inkubator, nennen Mütze und seine Kollegen den Nestbau. "Die Kinder werden speziell gelagert, das soll Geborgenheit vermitteln." Leon liegt tatsächlich in einem Nestchen aus Stoffen, hat auch ein T-Shirt von Mama mit im Brutkasten, damit er ihren Geruch kennen lernt. Als die Mutter ihre Hände, die schützend um Kopf und Mini-Füßen liegen, aus den beiden bullaugenähnlichen Öffnungen des Inkubators nimmt, verzieht Leon das Gesicht. Er quäkt los, als wollte er vorwurfsvoll fragen: "Was soll das, Mama? Gibt mir sofort deine Wärme zurück." Eines scheint klar: Im Schreien braucht Leon keine Nachhilfe.

Mamas Wärme hat der Kleine schon ab Montag bekommen. Beim Kuscheln. "Ab dem ersten Lebenstag gibt es auch bei den Frühchen Kuschelzeit mit den Eltern", berichtet Jens Mütze. Sabrina Müller liegt dann auf einem speziellen Stuhl, Leon auf ihrer Brust, Haut an Haut, damit er Herzschlag, Geruch und Wärme seiner Mama spürt. "Das stärkt die Mutter-Kind-Bindung und sorgt auch für Milchbildung bei der Mutter", erläutert Mütze.

Das sind besondere Momente für Sabrina Müller. Wenn sie nach ihren Besuchen die Intensivstation verlässt und eine Etage tiefer in den Mutter-Kind-Bereich zurückkehrt, ist das "schlimm. Ich würde ihn am liebsten mit aufs Zimmer nehmen, ihn immer um mich haben", sagt die 31-Jährige. Sie hat Erfahrung mit Frühchen: Auch ihre zweieinhalbjährige Tochter wollte früher auf die Welt. Sie hat ihren Bruder bisher nur auf Fotos gesehen. Bis die Kleine Leon wirklich anschauen darf, wollen die Eltern noch warten, erzählt Mama Sabrina.

Sein erstes warmes Nest im Brutkasten wird Leon noch ein Weilchen nicht verlassen. "Die Kinder bleiben im Inkubator, bis sie 1700 Gramm Gewicht erreicht haben", erläutert Jens Mütze. Das kann ein bisschen dauern. In den ersten Tagen nach der Geburt nehmen Kinder erstmal etwas ab. "Danach wollen wir schauen, dass Leon 20 bis 30 Gramm pro Tag zunimmt."

(RP)
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