Leverkusen Der Architektentraum wurde zur Katastrophe

Leverkusen · Aufbruchstimmung beflügelte Stadtplaner in den Nachkriegsjahren, sie träumten von der lebenswerten, modernen, autogerechten Stadt.

 Das "letzte" Leverkusener Rathaus wurde 2007 abgerissen - es war ein Bau aus der Nachkriegszeit.

Das "letzte" Leverkusener Rathaus wurde 2007 abgerissen - es war ein Bau aus der Nachkriegszeit.

Foto: Uwe Miserius

Ihre Dissertation hat Prof. Dr. Stefanie Lieb über romnische Bauornamentik geschrieben. In den letzten Jahren hat sich die Studienleiterin an der Katholischen Akademie Schwerte besonders auf den Städtebau nach 1945 und den Wunsch nach der "verkehrsgerechten Stadt in Deutschland" spezialisiert. Beim Kamingespräch des Opladener Geschichtsvereins (OGV) referierte sie darüber in der Villa Römer und ging zum Schluss selbstverständlich auch auf Leverkusen ein. Die Stadt bietet etliche Paradebeispiele für Stadtplanerträume in den 50er und 60er Jahren. Einige Bauten sind inzwischen verschwunden, andere modernisiert oder als Bausünden jener Zeit abgestempelt.

"Wie kannst du dich nur damit befassen?" So verständnislos habe ihre Mutter auf das Spezialgebiet reagiert, erzählte Stefanie Lieb den Besuchern des Kamingesprächs. Die Architektur jener Zeit sei doch so schrecklich. Sie aber faszinierte die Städteplanung in der Nachkriegszeit, weil sie von einer ungeheuren Aufbruchstimmung geprägt war. Zudem war es eine einzigartige Situation. Denn zu keiner Zeit konnte so umfassend neu geplant und gestaltet werden wie nach den großen Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. In vielen deutschen Städten wie in Köln, Hamburg, Berlin oder Frankfurt betrug der Zerstörungsgrad von Bausubstanz und Wohnraum über 70 Prozent. Eine "tabula-rasa-Situation", in der man neu und zusammenhängend planen konnte, unter Berücksichtigung der noch erhaltenen infrastrukturellen Vorgaben.

Außerdem musste abgewägt werden zwischen rekonstruierendem Wiederaufbau historischer Zentren und Abriss der Ruinen zugunsten moderner Innenstädte mit Hochhäusern, flachen Ladenzeilen und breiten Straßen der favorisierten "verkehrsgerechten Stadt".

Leverkusen nimmt dabei eine Sonderstellung ein. Auch hier gab es Zerstörung durch Bombentreffer im Bayerwerk oder rund um den Opladener Bahnhof. Aber die noch junge Stadt befand sich ohnehin noch im Aufbau, eine riesige Spielwiese für Städtebauer also. Zum zentralen Leitbild wurde hier wie überall in Deutschland das Prinzip des "gegliederten und aufgelockerten Stadtkörpers" mit einem Zentrum und vielen kleineren Stadtteil-Einheiten mit einer Nahversorgung nach dörflichem Vorbild. Dass man damals voller Stolz und Optimismus war, beweist für Stefanie Lieb eine Ansichtskarte mit Wohnblocks "Gruß aus Rheindorf". Das Gleiche gilt für die Leverkusener Brücke und das große Autobahnkreuz, "das damals den Grundstein für die aktuelle Verkehrsproblematik legte."

Der Architektentraum von einer modernen, lebenswerten und autogerechten Stadt mit Grünflächen entwickelte sich ab den Siebzigern zur urbanen Katastrophe, so Lieb.

(mkl)
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