Leverkusen Der Fluss des Geldes

Leverkusen · Der Rhein ist seit Jahrhunderten für seine Anwohner auch eine Verdienstquelle. Heute werden jährlich rund 200 Millionen Tonnen Fracht transportiert - auf der Wasserstraße droht der Verkehrsinfarkt.

 Schwimmendes Parkhaus: Die Auto-Industrie transportiert viele Neuwagen über den Fluss, bis zu 500 Fahrzeuge kann ein solches Schiff fassen.

Schwimmendes Parkhaus: Die Auto-Industrie transportiert viele Neuwagen über den Fluss, bis zu 500 Fahrzeuge kann ein solches Schiff fassen.

Foto: Christoph Reichwein

Im eher beschaulichen Bonner Ortsteil Graurheindorf macht der Welthandel Station. Wie riesige Bauklötze stapeln sich die bunten Frachtcontainer hinter der Kaimauer am Rheinufer: "Der da kommt aus China", sagt Hafen-Geschäftsführer Alfons Am Zehnhoff-Söns und deutet aus 24 Metern Höhe auf die Last, die der Greifarm des riesigen Kransystems auf die Ladefläche eines Lastwagens setzt. "Der da drüben ist aus Israel", zeigt der Hafenchef in die nächste Reihe, "der andere aus Amerika."

Der Rhein hat im vergangenen Jahr 910.000 Tonnen Fracht allein nach Bonn gebracht. Lastwagen transportieren die Ware aus dem Hafen weiter. "Der Rhein ist eine Lebensader für unser Haus", sagt Wilhelm Söns. Der Seniorchef des Hafenunternehmens hat in seinen 91 Lebensjahren ganze Epochen des Wirtschaftslebens am und auf dem Fluss verfolgt. "Früher kannte man noch die meisten Binnenschiffer mit Namen, die bei uns anlegten", sagt er. Das habe sich geändert. Alles ist größer geworden.

Heute befördern die modernen Frachtschiffe auf dem Rhein rund 400 Container. Knapp 18 Stunden brauchen sie von Bonn nach Rotterdam. Dafür sind die Transportkosten deutlich niedriger als bei der Fahrt mit Lastwagen. Der Autobauer Ford zum Beispiel schickt vom Kölner Werk aus mehr als jeden dritten Fiesta über den Rhein in die weite Welt. 2015 wurden nach eigenen Angaben rund 376.000 Autos gebaut, 40 Prozent wurden verschifft. Wie eine Unternehmenssprecherin erklärt, legen die Schiffe, die maximal 500 Fiesta fassen können, bis zu zehn Mal in der Woche ab. "Durch die Transporte werden jährlich etwa 10.000 Lkw-Fahrten auf der Straße eingespart." Die Schiffe fahren entweder nach Vlissingen (Niederlande) oder Antwerpen für den europäischen und globalen Markt. Außerdem bringen Schiffe nach Wörth bei Karlsruhe Wagen, die für süddeutsche Händler bestimmt sind.

Der Rhein ist mit einem Güterumschlag von rund 200 Millionen Tonnen im Jahr die mit Abstand wichtigste Wasserstraße Deutschlands. Der Fluss hat die Grundlage für das wirtschaftliche Wachstum an seinen Ufern gelegt. Schon die Römer unterhielten eine eigene Flotte auf dem Rhein. Später, im 18. und 19. Jahrhundert, transportierten Holzhandelsgesellschaften auf bis zu 300 Meter langen Flößen Baumstämme flussabwärts. Frachtschiffe auf dem Rhein wurden bis zur Erfindung des Dampfschiffes von Pferden auf den sogenannten Lein- oder Treidelpfaden flussaufwärts gezogen. "Der Rhein, mit der Anbindung an die großen Chemiestandorte in Antwerpen und Rotterdam, gilt als wichtigster Standortfaktor der chemischen Großindustrie, die sich im 19. Jahrhundert von Wesseling über Leverkusen bis nach Düsseldorf etablierte. So verlegte Henkel 1878 seinen Sitz von Aachen nach Düsseldorf, Bayer nahm zu dieser Zeit die Produktion in Leverkusen auf", schreibt der Arbeitgeberverband Chemie Rheinland.

In der Region hätten sich bis heute rund 250 Chemieunternehmen mit mehr als 80.000 Beschäftigten angesiedelt. Dazu gehört die Rheinland Raffinerie des Ölkonzerns Shell, mit Standorten in Godorf und Wesseling die größte Anlage dieser Art in Deutschland. Mehr als 20 Milliarden Liter Öl werden hier jedes Jahr verarbeitet. Während das Rohöl per Pipeline von den niederländischen Seehäfen ins Rheinland fließt, verlassen nach Unternehmensangaben 38 Prozent der fertigen Produkte das Werk per Schiff. Benzin, Diesel, Heizöl oder Rohstoffe für die Chemieindustrie werden an eigenen Häfen verladen. Nur zu Großabnehmern, wie etwa dem Frankfurter Flughafen, unterhält Shell eine Pipeline.

"Binnenschiffe sind für uns eines der wichtigsten und zuverlässigsten Transportmittel", sagt Raffinerie-Sprecher Jan Zeese. Das Unternehmen beobachte genau, ob der Klimawandel den Wasserspiegel senke und damit den Schiffsverkehr einschränke.

Die Rheintouristen sind eine weitere Geldquelle, die der Fluss seinen Anwohnern eröffnet. Eine Milliarde Euro Umsatz durch Reisende hat eine Studie der IHK Koblenz allein für den Mittelrhein zwischen Bingen/Rüdesheim und Remagen/Unkel errechnet. Die Gegend wird als "Romantischer Rhein" intensiv vermarktet. 80.000 Touristen kommen laut Studie im Schnitt jeden Tag - auf den Spuren berühmter historischer Rheinromantiker wie Lord Byron oder Heinrich Heine. Auch heute noch zieht das Thema Rhein offenbar wieder mehr Menschen an: 60 Prozent der von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Bonn/Rhein-Sieg in diesem Jahr befragten Tourismusunternehmer in der Region bewerteten ihre Lage als gut. Events wie "Rhein in Flammen" sorgen in der Branche für Umsatz. Tagestouristen geben laut Tourismus & Congress GmbH (T&C) im Schnitt 30,30 Euro aus, Übernachtungsgäste zahlen im Schnitt 106 Euro pro Tag.

Was die Besucher meist nicht sehen: Auch wenn sich die Wasserqualität des Rheins seit den 70er Jahren deutlich verbessert hat - der Fluss leidet weiterhin unter seiner Rolle als Helfer der Wirtschaft. "Im Sommer erreicht die Wassertemperatur schon jetzt bis zu 28 Grad. Ab 23 Grad stellen Fische wie der Lachs aber ihre Wanderungen und damit ihre Fortpflanzung ein. Auch andere wichtige Fischarten sind dadurch vom Aussterben bedroht", klagt die Umweltschutzorganisation BUND. Schuld seien auch die Kraftwerke, die ihre Abwärme vom Rhein wegspülen lassen. Rund 20 Stromerzeuger nehmen Flusswasser zum Antrieb ihrer Turbinen oder Kühlung. Dazu kommen zahlreiche Industriebetriebe, die den Fluss benutzen - und damit schädigen.

Dass die wirtschaftliche Nutzung zu Lasten der Umwelt geht, hat eine unrühmliche Tradition: Bereits im Jahr 1809 entstanden die ersten Pläne, den Fluss zu begradigen, um ihn besser schiffbar zu machen. Nur wenige Jahre später wurden die ersten Rheinschleifen durch per Hand gegrabene Kanäle abgeschnitten. Der Ingenieur Johann Gottfried von Tulla hatte sich dem Umbau des Rheins im 19. Jahrhundert als Lebensprojekt verschrieben. Bis zum Jahr 1876 hatte er den Fluss zwischen Basel und Mannheim um 90 Kilometer verkürzt. Der Preis für den Bau der Wasser-Autobahn: Der Grundwasserspiegel sank und veränderte die Flora in den Uferlagen. Auch zahlreiche Fischarten fanden keine Laichplätze mehr und starben aus - mit ihnen ganze Wirtschaftszweige wie die Rheinfischer.

Der Rhein rächt sich auf seine Weise. Wie Staus auf den Autobahnen können Hoch- oder Niedrigwasser den Schiffsverkehr auf dem wichtigen Wirtschaftsweg lahmlegen. Im Jahr 2015 beförderte die Binnenschifffahrt 3,1 Prozent weniger Güter als im Vorjahr. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden 2015 insgesamt 221,4 Millionen Tonnen Güter auf deutschen Binnenwasserstraßen transportiert. Im Jahr davor waren es 228,5 Millionen Tonnen.

Eine Ursache dieses Rückgangs dürfte auf den zum Teil langanhaltenden Niedrigwasserständen wichtiger Wasserstraßen wie dem Rhein beruhen, vermuten die Statistiker.

Info Die Serie entstand in Zusammenarbeit mit dem Bonner "General-Anzeiger" und der "Kölnischen Rundschau". Die besten Folgen aller drei Redaktionen münden in das Buch "Rheinliebe", das am 9. September im Droste-Verlag erscheint. Es kostet 24,99 Euro und kann im RP-Shop vorbestellt werden: Tel. 0211 505 2255 (Mo - Fr 8-16 Uhr) oder im Internet unter www.rp-shop.de Es wird kostenfrei versandt.

(RP)
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