Leverkusen Jugendamt musste 93 Kinder schützen

Leverkusen · Sozialhilfedynastien gibt es seit langem. Sie waren überschaubar. Doch nun kommen immer mehr einkommens- und sozialschwache Familien in der Stadt hinzu, die ihre Kinder verwahrlosen lassen oder misshandeln. Das Jugendamt will mit einem Konzept Kinder schützen, bevor sie gefährdet sind.

Der Müll stapelte sich in der Einraumwohnung bis unters Fenster, schmutzige Wäsche überall, vier Katzen strichen durch das Zimmer und mittendrin ein Säugling, mit dessen Versorgung die 20-jährige Mutter überfordert war. Das Szenario stammt nicht aus dem Privatfernsehen, sondern aus der Realität. Es ist ein Fall aus Leverkusen, der selbst die Polizeibeamten, die durch Nachbarn gerufen worden waren, schockierte, wie Rainer Gurk vom Jugendamt gestern berichtete.

Er lenkte beim Jahresrückblick 2009 des Dezernats für Jugend, Schule, Kultur und Sport von Marc Adomat den Blick auf die alltäglichen Arbeiten des Fachbereichs. "Das sind die Bausteine für die soziale Stabilität in der Stadt", betonte Gurk. Einer davon: das Kindeswohl wahren. Bedeutet, Kinder schützen – auch vor den eigenen Eltern. In 93 Fällen musste das Jugendamt das im vergangenen Jahr in Leverkusen tun, weil die Kinder verwahrlosten oder misshandelt wurden. "Die Zahl von Kindeswohlgefährdungen steigt", sagte Gurk. "Oft sind junge Mütter einfach mit der Situation überfordert, viele wissen nicht mal mehr, dass man Nudeln kochen kann." Sozialhilfedynastien habe es schon lange in der Stadt gegeben, aber die seien früher immer begrenzt gewesen, jetzt würden die Fälle unübersichtlich viele. "Neulich habe ich im Bus einen Jungen gefragt, was er später einmal werden will. Er antwortete: Hartz IV." Gegen diese Zustände will Gurk kämpfen.

Die Stadt habe 2009 rund 14 Millionen Euro für gefährdete Kinder ausgegeben. "Wir sollten anfangen, zwei Millionen davon dafür auszugeben, dass Kinder gar nicht erst in die Gefährdung kommen", appellierte der Jugendamtsleiter. Eine Vorstellung, wie das funktionieren kann, hat der Fachbereich bereits: die Initiative "Frühe Hilfen". In verschiedenen Sozial-Räumen in der Stadt, an denen einkommens- und sozialschwache Familien leben, Gurk nannte etwa Rheindorf-Nord und den Wohnpark Steinbüchel ("Derrsiedlung"), soll eine Art Rundumbetreuung eingerichtet werden. "Das soll nicht heißen, dass die Menschen dort betüddelt werden, sondern dass sie Hilfe zum Leben bekommen", berichtete Rainer Gurk. Schon bei der Geburtsvorbereitung sollen Schwangere gründlich auf das Leben mit Kind vorbereitet werden, ihnen und anderen sollen grundlegende Fähig- und Fertigkeiten im Haushalt wie bei der Versorgung des Nachwuchses und für den Alltag allgemein vermittelt werden. Haushaltskontrollen sollen dabei helfen, ob das Gelernte auch gefruchtet hat.

Derzeit laufen Gespräche mit den freien Trägern, wie das Konzept "Frühe Hilfen" an drei oder vier Orten in der Stadt rasch umgesetzt werden kann. Ob es umgesetzt wird, darüber entscheide im Frühjahr der Stadtrat, sagte Gurk.

(RP)
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