Leverkusen Kindheit im Zweiten Weltkrieg - ein oft nicht verarbeitetes Trauma

Leverkusen · "Kriegserfahrungen enden nicht mit dem Ende des Krieges!" Diese Aussage des Historikers Professor Jürgen Reulecke steht über seinem Vortrag "Wiedergefundene Vergangenheit: Erinnerungen an die Kindheit im 2. Weltkrieg", den er jetzt in der Opladener Villa Römer hielt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Bergischen Geschichtsverein.

 Jürgen Reulecke ist Co-Autor des Buches "Söhne ohne Väter" (Verlag Ch. Links), das sich mit eben diesen Thema Kindheit im Zweiten Weltkrieg befasst.

Jürgen Reulecke ist Co-Autor des Buches "Söhne ohne Väter" (Verlag Ch. Links), das sich mit eben diesen Thema Kindheit im Zweiten Weltkrieg befasst.

Foto: privat/Verlag

Spezialisiert hat sich Reulecke dabei auf die sogenannten Kriegskinder, die mit frühkindlichen Erfahrungen von Krieg, Vertreibung, Evakuierung und Vaterverlust umgehen mussten. "Vor zehn bis 15 Jahren wurde ich vermehrt von Psychoanalytikern um Rat gefragt, da sie auf einmal viele Patienten bekamen, die zwischen 1935 und 1944 geboren waren und mit deren Jugenderfahrungen sie sich nicht genau auskannten", berichtet Reulecke. "Bei ihnen spielt die Vaterlosigkeit eine wichtige Rolle. Mehrere Millionen deutscher Kinder wurden während des Krieges zu Halbwaisen, und viele Väter die zurückkamen, waren krank und deprimiert."

Den Jugendlichen fehlte so ein starkes männliches Vorbild in der Familie, an dem sie sich orientieren konnten. Deshalb wurde woanders nach einem Vaterersatz gesucht, zum Beispiel in den autonomen Jungengruppen oder in Westernfilmen.

"Als viele Jungsenioren Anfang des Jahrtausends aus ihren Berufen ausschieden, saßen sie ohne eine Aufgabe zu Hause. In ihrem Job haben sie versucht, ihre Position zu festigen und die Bestätigung zu bekommen, die sie von ihrem Vater nie bekommen haben", sagt Reulecke. Danach sei eine psychische Heimatlosigkeit entstanden, weshalb viele einen Psychoanalytiker aufsuchten. "Die höchste Selbstmordrate besteht bei Männern zwischen 70 und 80."

Einige der mehr als 30 Zuhörer - etliche selbst Kriegskinder - merkten an, dass die Kriegsgeschehnisse weder im Elternhaus noch in der Schule aufgearbeitet worden seien. "Ich habe mich nie berufen gefühlt, meiner Mutter ins Gewissen zu reden und ihr Fragen zu dieser Thematik zu stellen. Heute bereue ich das", bestätigt auch Reulecke.

(RP)
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