Hebammen-Mangel in Leverkusen "Ich habe jeden Tag drei Frauen, die ich ablehnen muss"

Leverkusen · Nach der Geburt haben Mutter und Kind Anspruch auf Hebammenhilfe zu Hause. Doch die Kapazitäten der Hebammen reichen nicht aus, um jede Familie zu betreuen. Kliniken bestätigen: Nicht alle Mütter sind versorgt.

 Isabel Carton Venegas mit ihrem Sohn.

Isabel Carton Venegas mit ihrem Sohn.

Foto: Anja Wollschlaeger

Dagmar Bialek ist seit 1991 freiberufliche Hebamme, und sie schlägt Alarm. Seit Jahren erlebt sie, wie das Problem des Hebammenmangels immer größer wird, aber jetzt sorgen sich schon viele werdende Mütter in Leverkusen sich um die Betreuung im Wochenbett.

Bialek sagt: "Mich rufen Frauen an, die eine Hebamme für den Sommer suchen, und sie weinen, weil ihnen schon zwanzig Kolleginnen abgesagt haben." Die Hebammenpraxis in Opladen ist kein Einzelfall. Das Problem besteht laut Barbara Blomeier, Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen NRW, nicht nur in Leverkusen: "Versorgung mit Hebammenhilfe im Wochenbett inzwischen flächendeckend ein Problem, nicht nur in NRW, sondern bundesweit."

Keine Frau ist verpflichtet, sich nach der Geburt von einer Hebamme betreuen zu lassen. Das bestätigen beide Geburtskliniken in Leverkusen. Sie raten jedoch allen Frauen dazu. Julia Lorenz, Hebamme am Remigius-Krankenhaus, sagt: "Nach einer ambulanten Geburt wäre es gegen ärztlichen Rat, das Krankenhaus ohne Nachsorgehebamme zu verlassen." Aber auch, wenn Mütter zwei bis drei Tage nach einer normalen Geburt oder vier bis fünf Tage nach einem Kaiserschnitt das Krankenhaus verließen, sei die Betreuung durch eine Hebamme wichtig, sagt Lorenz.

Der Hebammenverband NRW nennt die Risiken: "Ohne fachkundige Betreuung durch eine Hebamme müsste die Frischentbundene bei Entzündungen der Wunden, bei Milchstau, bei verzögerter Rückbildung, bei schlecht abheilendem Nabel und bei vielen anderen möglichen Problemen den Frauenarzt, einen Kinderarzt oder die Klinik aufsuchen."

 Hebamme Julia Lorenz arbeitet am Remigius-Krankenhaus in Opladen.

Hebamme Julia Lorenz arbeitet am Remigius-Krankenhaus in Opladen.

Foto: Anja Wollschlaeger

Im Stillzimmer des Opladener Krankenhauses finden sich immer wieder Mütter ein, die zu Hause nicht mehr weiter wussten, weil sie wegen eines Milchstaus stark schmerzende Brüste haben. Lorenz sagt: "Wir schicken sie nicht weg, aber wir bekommen diese Arbeit auch nicht bezahlt."

Isabel Carton Venegas ist am 28. Januar 2018 Mutter des kleinen Ricardo David geworden. Zwei Tage nach der Geburt sagt sie: "Ich bin froh, dass ich eine Hebamme gefunden habe." Während ihrer Arbeit als Friseurin habe sie von vielen gehört, wie schwer es sei, eine Hebamme zu finden.

Sie startete ihre Suche frühzeitig: "Die Hebammen haben mit mir am Telefon gescherzt. Ich hätte mich praktisch schon melden müssen, als ich den Schwangerschaftstest gemacht habe." Sie kennt auch Mütter, deren Suche nicht erfolgreich war: "Aus dem Freundeskreis habe ich gehört, dass die das dann halt ohne Hebamme machen wollen."

Auch das Klinikum sieht den Bedarf. "Wir erleben am Klinikum täglich, dass Frauen darüber berichten, mehr als zehn Hebammen für die Nachsorge kontaktiert zu haben, die jedoch alle keine Kapazität mehr hatten", sagt eine Sprecherin

Sommerferien besonders schlecht abgedeckt

 Baby Ricardo wurde im Januar in Opladen geboren.

Baby Ricardo wurde im Januar in Opladen geboren.

Foto: Anja Wollschlaeger

Auch Hebammen machen in den Sommerferien Urlaub. Bialek sagt etwa: "Noch leiste ich mir den Luxus von drei Wochen Urlaub in den Sommerferien." Lorenz teilt sich die Sommerferien mit einer Kollegin auf. Jede nimmt in dieser Zeit nur die Hälfte der Frauen an, um sich gegenseitig vertreten zu können.

Aktuell haben beide noch Termine etwa ab September frei, doch das kann sich stündlich ändern. Lorenz sagt: "Ich habe jeden Tag drei Frauen, die ich ablehnen muss."

Keine aussagekräftige Statistik

Das Leverkusener Gesundheitsamt zählt 61 aktive Hebammen in Leverkusen. Von ihnen sind 29 nur nebenberuflich in der Vor- und Nachsorge tätig und arbeiten im Hauptberuf in einer Klinik. Sie betreuen oft nur wenige Familien. Zum Vergleich: Bialek spricht von zehn Frauen, die sie zur gleichen Zeit betreut. Ihre Kollegin Julia Lorenz nimmt nach eigenen Angaben jeden Monat etwa fünf Frauen an. Pro Jahr werden in Leverkusen gut 1.500 Kinder geboren.

"Den Hebammenmangel in NRW kann man nicht beziffern", sagt Andrea Villmar, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bochumer Hochschule für Gesundheit in Bochum. Ab Februar startet eine umfangreiche Befragung, um eine Statistik zum Thema zu erstellen. Auch das Klinikum beteiligt sich an der Studie Hebab.NRW.

Bis vor wenigen Jahren sahen sich Frauen noch nach Beleghebammen um. Freiberufliche Hebammen haben im Auftrag der Mutter die Geburt in einer Klinik begleitet. Sie konnten so ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Doch das ist in Leverkusen längst Geschichte. Weder am Remigius-Krankenhaus in Opladen noch am Klinikum in Schlebusch finden noch Beleggeburten statt. Die Frauen müssen bei der Geburt mit den angestellten Hebammen des Krankenhauses vorlieb nehmen.

(woa)
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