Gewaltforscher im Interview "Die Massenschlägerei ist eine Machtdemonstration"

Leverkusen · Nur knapp konnte die Leverkusener Polizei am Dienstag eine Massenschlägerei verhindern. Der Vorfall zeige, dass die Gewalt im öffentlichen Raum eine neue Dimension erreicht hat, erklärt ein Gewaltforscher. Ein Grund für das Phänomen: "Hypermaskulinität".

Polizei verhindert Massenschlägerei in Leverkusen
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Foto: Hoffmann

Den Angaben eines Polizeisprechers zufolge waren am Dienstagabend unter den 200 Personen am Leverkusener Bahnhof vor allem Türken, Syrer, Iraker und deutsche Männer mit Migrationshintergrund. Dank eines anonymen Anrufers konnte die Polizei die geplante Massenschlägerei verhindern. Acht Männer wurden in Gewahrsam genommen. Die Polizei beschlagnahmte stumpfe Schlagwaffen, aber keine Pistolen. Den Gewaltforscher Denis van de Wetering überraschen der Vorfall und seine Details nicht.

Warum verabreden sich die Gruppen?

Dass sich Gruppen junger Männer gezielt treffen, um sich gegenseitig Gewalt anzutun, sei kein neues Phänomen, sagt van de Wetering, Soziologe und Gewaltforscher der Uni Bielefeld. "Wir kennen das aus der Hooligan-Szene und von Kameradschaften. Sie sind Brüder im Geiste und trotzdem Feinde." Die Schlägerei werde genutzt, um sich selbst zu inszenieren. "Wenn sich Schläger und Banden mit dem Konkurrenten auseinandersetzen, erfahren sie Anerkennung in der eigenen Gruppe", sagt van de Wetering. Es ist das neue Ausmaß, das den Gewaltforscher auch im Hinblick auf die verhinderte Massenschlägerei in Leverkusen nachdenklich stimmt.

Welche Rolle spielt die Polizei?

Es gehe den Schlägern nicht vorrangig darum, den Konkurrenten zu töten. Vor allem junge Männer und verfeindete Familienclans nutzten Gewaltaktionen, um Macht zu demonstrieren und sich als männlich zu inszenieren. Das Phänomen bezeichnet van de Wetering als "Hypermaskulinität". Der öffentliche Raum sei eine Bühne. Das Wir-Gefühl werde durch die Schlägerei gestärkt. In dem Moment, in dem die Polizei auftaucht, ist das eine Bestätigung "dafür, dass sie nicht mehr unsichtbar sind. Sie glauben, tatsächlich etwas zu bewegen", sagt der Experte.

Woher kommt das Problem?

Welche Hintergründe die geplante Massenschlägerei in Leverkusen hatte, ist noch unklar. Dass vornehmlich Männer mit Migrationshintergrund beteiligt waren, kann laut van de Wetering mit der Flüchtlingswelle und den Schwierigkeiten, die sie mit sich brachte, zu tun haben. Fehlende Integration nennt er als Hauptproblem. "Wer den ganzen Tag im Heim sitzt, viel Langeweile hat und wenig Perspektive sieht, kommt auf schlechte Gedanken." Doch er sieht das Problem losgelöst von der Ethnie: Fehlende emotionale Beziehungen und politische Teilhabe könnten Gewalt auslösen. Auf deutsche Staatsbürger kann das genauso zutreffen wie auf Einwanderer. Als Beispiel nennt van de Wetering die Eskalationen rund um "Hooligans gegen Salafisten". Die Aktionen seien als Protest getarnt gewesen. "Hypermaskuline" Hintergründe und Unzufriedenheit mit der eigenen Situation hätten aber ebenso eine Rolle gespielt.

Für den Gewaltforscher ist die Wurzel des Problems ein gesellschaftliches Defizit: "Menschen, die stabil in der Gesellschaft verankert sind, machen so etwas nicht."

(ball)
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