Büttenredner Jens Singer "Nur um den 1. FC Köln mache ich einen Bogen"

Leverkusen · Als "Dä Schofför" ist Jens Singer in dieser Session auf der ARD-Rosenmontagssitzung und der Prinzenproklamation in Köln vertreten. Der Schlebuscher verrät, wie eine Rede entsteht und wie die Düsseldorfer Jecken fehlendes Liedgut kompensieren.

Sie sind in dieser Session in der ARD-Rosenmontagssitzung "Karneval in Köln" zu sehen und gehören am 4. Januar zum Programm der Kölner Prinzenproklamation im Gürzenich. Da darf man gratulieren, oder?

Singer Also, ich freue mich sehr darauf. Vor allem, weil ich bei der Proklamation vielleicht mit Hans Süper auf der Bühne stehen darf, der vor meinem Auftritt geehrt wird. Meine Rede steht und ich bin gespannt, wie sie ankommt.

Erwarten Sie Probleme?

Singer Naja, das Publikum gilt als anspruchsvoll und gut informiert. Aber ich gehe davon aus, dass es funktioniert, zumal politische Büttenredner derzeit wieder gefragt sind. "Dä Schofför" wird sich um das Lokalkolorit kümmern: Oper, Kulturpolitik, städtische Schulden, Starenkästen auf der Zoobrücke, und natürlich bekommt Oberbürgermeister Jürgen Roters einiges ab. Aber damit kommt er klar. Nur um den 1. FC Köln mache ich einen Bogen. Denn leider hört bei Fußball zunehmend der Spaß auf. Krank, aber das gilt für alle Vereine.

Sie arbeiten in Berlin als Regierungsdirektor bei der Bundesverwaltung. Da drängt sich der Verdacht auf, dass Sie davon profitieren, wenn Sie in der Bütt als Chauffeur von Kanzlerin Merkel plaudern.

Singer Ich habe sie ja im Kanzleramt live erlebt. In meiner Zeit beim Bundeskriminalamt gehörten die Chauffeure zu meinem Referat. Und da war ein Exil-Rheinländer dabei — als ich dann auf der Suche nach einer Kunstfigur war, wusste ich sofort: So muss er aussehen. Ich schreibe auch beruflich Reden und selbst dafür braucht es manchmal Pointen. So bekommt man einen Blick für das Komische, und das macht das Leben heiter.

Ansonsten profitieren Sie von der Hauptstadt vermutlich kaum in Sachen Karneval?

Singer Immerhin schärft die Entfernung den Blick. Der Karneval in Berlin, hier heißt er Fasching, ist aber eine Zumutung. Es gibt eine gute Veranstaltung, das sind die Gastspiele von "Loss mer Singe". Ansonsten bestehen Feiern oftmals aus Kostümen, Alkohol und Mickie Krause — vor dieser Ballermannisierung flüchte ich lieber. Der Berliner hat vielleicht Witz, aber wenig Humor. Der Kern der Karnevals ist, sich selbst auf den Arm zu nehmen. Das kann "Icke" nicht. Dazu kommt, dass der Berliner keine eigene Karnevalsmusik hat. Obwohl: In Düsseldorf fehlt die auch — vielleicht wird das dort mit Altbier kompensiert.

Wann steht denn eine Rede für eine Session gewöhnlich?

Singer Ideen sammele ich immer. Im Mai fange ich an zu schreiben, im Juni steht ein Entwurf. Das Schleifen macht mir den meisten Spaß, mehr noch als Auftritte. Aber ein Schiff ist nicht nur für den Hafen da, deshalb lade ich mir Anfang September hier in Berlin ein paar Leute in eine Kneipe ein und trage vor. Die kriegen Kölsch zur Schmerzlinderung. Dann geben mir die Roten Funken die Chance, vorab mein Programm zu testen — und wer die zum Lachen bekommt, weiß, was gut ist und trägt. Doch die Skepsis bleibt bis zum Vorstellabend des Literarischen Komitees. Dieses Jahr kam meine Rede gut an und es hagelte Anfragen. Ich hatte da bereits die kaputten Rheinbrücken zum Thema gemacht — aber ich wusste nicht, dass die Lage so eskalieren würde. Fertig ist die Rede nie, denn sie wandelt sich die gesamte Session. Das Bessere verdrängt das Gute, das wiederum wird vom Aktuellen verdrängt. Am Aschermittwoch sitzt sie dann richtig. Es ist wie im richtigen Leben: Mit dem Höhepunkt ist es vorbei.

Wie stellen Sie fest, ob ein Witz ankommt oder nicht?

Singer Ich habe ein Diktiergerät in der Brusttasche. Wenn ich mir die Aufnahme nach den Auftritten anhöre, weiß ich, was funktioniert hat, rausgeworfen oder geschliffen werden muss. Oder aber ich merke, dass Sachen, die mir einfach rausgerutscht sind, sich zu einem Brüller entwickeln könnten.

Was treibt Sie dazu, neben Ihrem Beruf regelmäßig in die Bütt zu steigen?

Singer Vor allem Spaß am Schreiben. Die Session selbst ist Balsam für die Seele, ein wundervoller Ausgleich zum Beruf. Der Zauber, der da entsteht, ist mit nichts auf der Welt vergleichbar. Da haben Menschen Tränen in den Augen, vor Lachen und von Melancholie — in einer Veranstaltung! Mit etwas Glück ist man selbst ein kleiner Teil davon. Und dann die Züge — unbezahlbar schön! Irgendwas im Karneval hätte ich in meinen Leben immer gemacht. Vielleicht wäre ich Schlebuscher Zugleiter geworden, das schönste Amt der Republik!

Aber stattdessen stiegen Sie in die Bütt? Wie kam es dazu?

Singer Naja, Redner fehlen halt mehr als Zugleiter. Ich war zwar schon als Schüler in der Bütt, aber der große Sprung kam vor fünf Jahren auf einer Sitzung der Großen Dünnwalder KG, meiner Gesellschaft. Da bin ich spontan aufgetreten, weil Marc Metzger — "dä Blötschkopp" — im falschen Saal war und es ein Loch im Programm gab. Hans Hachenberg (Doof Nuss) und Toni Geller (Blaue Partei) saßen zwar mit uns am Tisch, wollten aber altersbedingt nicht. Der Auftritt war nicht die Welt, aber es hat funktioniert. Das Kölner Festkomitee bekommt so was mit und hat mich seitdem mit viel Herz gefördert. Ich hoffe, das auf der Fernsehsitzung zurückzugeben.

Inzwischen funktionieren Ihre Auftritte noch besser, da Sie beim Literarischen Komitee eine Ausbildung gemacht haben.

Singer Ja, die ging über drei Jahre, immer samstags. Dort wurde einem Technik, Timing, Typen- und Kostümfindung und sogar Schminken beigebracht. Wir haben dort Anleitung bekommen von Logopäden, Rechtsanwälten, Steuerberatern und Schauspiellehrern. Das hat sich gelohnt und gibt mir die Möglichkeit, auch schwierige Säle zu meistern. Ist ja nicht überall so schön wie bei der Opladener Feuerwehr. Aber die Ausbildung war auch teuer und anstrengend: Ich bin morgens um sechs Uhr von Berlin nach Köln und um 19 Uhr zurück geflogen.

Wie anstrengend wird die Session?

Singer Es wird auszuhalten sein. Meine Obergrenze liegt bei 50 Auftritten. Das reicht, denn ich liebe auch meinen Beruf und bin sehr froh, dass ich nicht das ganze Jahr mit Witzen Geld verdienen muss. Diesen Ganzjahreskarnevalismus sehe ich kritisch. Alles hät sing Zick.

Sind Sie denn auch in Leverkusen zu sehen?

Singer Ja. Ich war ja bereits beim Sessionsauftakt der Neustadtfunken, und vier weitere Auftritte in Opladen sind noch geplant: auf den Sitzungen des Komitees Opladener Karneval, der Feuerwehr und der Schwaadbud der Rheinischen Post. Zuletzt bin ich dann noch bei der Närrischen Kolpingsfamilie. Ich glaube, dass ist ja gleichzeitig die letzte Sitzung in der Stadthalle — danach sind dort ja offenbar Asia-Wochen angesagt.

Roman Zilles führte das Gespräch.

(RP)
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