Leverkusen/Köln Schockanrufe: keine Einsicht in der Haft

Leverkusen/Köln · Die zehnmonatige Untersuchungshaft soll auf einen 21-jährigen Mitangeklagten im Schockanrufe-Prozess bisher keine Wirkung gezeigt haben. Das jüngste Mitglied der Bande soll bei den Opfern das Geld und den Schmuck abgeholt haben.

Für Angeklagte gilt vor Gericht: Wer noch keine 21 Jahre alt bei einer Straftat ist, auf den kann als Heranwachsender möglicherweise noch das Jugendstrafrecht angewandt werden. Diesem Komplex widmete sich die 15. Große Strafkammer des Kölner Landgerichts gestern im Prozess gegen fünf Mitglieder einer Großfamilie, die des bandenmäßigen Betrugs angeklagt sind. Dazu hat ein Sozialarbeiter seine Erkenntnisse vorgetragen, bei dem der inzwischen 21-jährige, der als einziger der Gruppe in Essen wohnt, ein "älterer Bekannter" ist. Er hatte bei den Straftaten der Gruppe (Schockanrufe bei älteren Frauen) die Aufgabe, als Bote das Geld oder den Schmuck bei den Opfern abzuholen.

Der Sachverständige hatte sich mit dem bisherigen Werdegang dieses Angeklagten beschäftigt und kam zu der Einschätzung, dass aufgrund der vorhandenen Lese- und Schreibschwäche des jungen Mannes und seines lückenhaften Erinnerungsvermögens über die bisherigen Stationen in seinem Leben ihm nicht die allgemeine Entwicklungsreife und Einsichtsfähigkeit eines 20-Jährigen (Alter bei Ausführung der Straftaten) zu attestieren sei. Zudem zeigte er sich als stark "anfällig für Angebote, um seine finanzielle Situation zu verbessern", hieß es vor Gericht.

Sein bisheriger Lebensweg war mit vielen Umzügen seiner Mutter von Leverkusen über Mannheim und Essen verbunden. Zunächst hatte er in einem anderen Strafverfahren angegeben, dass er seinen leiblichen Vater nicht kenne. Dieser habe sich gegenüber dem Sozialarbeiter aber dann in dem Gerichtsverfahren, das mit einem vom Amtsgericht Essen angeordneten dreiwöchigen Jugendarrest endete, doch zu erkennen gegeben.

Andererseits: Der junge Mann ist bereits verheiratet und hat zwei Töchter. Er hat eine starke Bindung zu dem familiären Umfeld, was der Experte auch als kulturelles Milieu bezeichnete. Zudem hatte der Jugendgerichtshelfer den Eindruck, dass die inzwischen über zehnmonatige Untersuchungshaft vielleicht doch bei dem junge Mann zu der Einsicht geführt habe, dass es so mit seinem Leben nicht weitergehen könne.

Das sollte eigentlich für eine günstige Sozialprognose sprechen, meinte der Sozialarbeiter von der Jugendgerichtshilfe. Allerdings - so der Einwand der Staatsanwaltschaft - habe ihn die Familie bisher nicht von Straftaten abhalten können: "Warum sollte sie das in Zukunft tun?," argumentierte die Vertretung der Anklage.

Bei der Zumessung einer angemessenen Strafe geht es für das Gericht auch um eine Einschätzung, ob der Heranwachsende künftig ein Leben in Freiheit meistern könnte, indem er beispielsweise einer geregelten Arbeit nachgeht. Da sprechen die Erkenntnisse eher gegen ihn, wie gestern vor Gericht dargelegt wurde.

Denn selbst in der Untersuchungshaft sei der 21-Jährige nicht in der Lage gewesen, regelmäßig an den Arbeiten im Gefängnis teilzunehmen. Er habe sich dort selbst bei einfachen Tätigkeiten überfordert gefühlt. Daher sei eine Sozialprognose sehr schwierig.

Das Verfahren wird fortgesetzt.

(sg-)
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