Leverkusen Spannende Einblicke in die Nazi-Zeit

Leverkusen · Ernst Herdieckerhoff gewährte dem Bergischen Geschichtsverein Leverkusen Einblicke in seine privaten Unterlagen.

Über die Anfänge der Opladener Nationalsozialisten in den 1920er Jahren hat die Leverkusener Abteilung des Bergischen Geschichtsvereins bislang nur wenige Unterlagen. "Diese Themen sind für uns äußerst interessant", sagte deren Vorsitzender Reinhold Braun deshalb, als Ernst Herdieckerhoff jetzt Einblicke in seine privaten Unterlagen gewährte. Dessen Vater, ebenfalls Ernst mit Vornamen, war 1924 Mitbegründer der Ortsgruppe der NSDAP in Opladen. Mit seinem Kollegen Robert Ley, später einer der führenden Politiker im Nationalsozialismus, verband den Bayer-Chemiker kurze Zeit das gemeinsame politische Engagement.

"Die Zahl der Mitglieder betrug in den ersten Jahren 1924 bis 1928 etwa 15 bis 25 Mann. Ende 1924, Anfang 1925 wurde ich gebeten, anstelle des ausscheidenden bisherigen stellvertretenden Ortsgruppenleiters seine Stelle einzunehmen", schrieb Ernst Herdieckerhoff nach dem Zweiten Weltkrieg im Protokoll zu seiner Entnazifizierung. Herdieckerhoff teilte sich die Arbeit mit Oskar Wilhelm, späterer Leverkusener Ortsgruppenleiter. Zuständig war er vor allem für die Sprechabende, in denen er Vorträge unter anderem über das Denken und Wirken Henry Fords, des Freiherrn vom Stein und Ferdinand Lassalles hielt.

"Meinem Vater ging es damals vor allem um die völkische Erneuerung im christlichen Sinne", sagte sein Sohn. Selbst betonte Ernst Herdieckerhoff senior, nie Antisemit "persönlich von Mensch zu Mensch" gewesen zu sein.

Seine völkischen Ideen richteten sich gegen das Weltjudentum, nicht aber gegen einzelne, mit jüdischen Kollegen wahrte er nach eigenem Bekunden einen freundlichen Umgang. Mit Robert Ley gab Herdieckerhoff gemeinsam die erste NS-Zeitung für das Gebiet Leverkusen/Köln heraus, war stellvertretender Schriftleiter des Westdeutschen Beobachters, eine der NSDAP zugehörige Zeitung im Reichsgau Köln-Aachen.

Mitte der 1920 besuchten unter anderem Reichspropagandaminister Joseph Göbbels und die NSDAP-Größe Gregor Strasser die Familie in Leverkusen.

"Ebenso, wie ich mich anfangs einmal für die Bewegung eingesetzt hatte, trat ich später dagegen auf", betonte er nach dem Krieg.

1928 zerstritt er sich mit Robert Ley, dem er Unterschlagung von Mitgliederbeiträgen vorwarf. An Adolf Hitler schrieb er im November 1928: "Nachdem die Reichsleitung der Partei durch Behandlung des Falles Dr. Ley bewiesen hat, dass sie weder fähig noch gewillt ist, den korrumpierenden Elementen in der Partei das Handwerk zu legen, haben die Unterzeichneten jedes Vertrauen zu ihr verloren. Sie erklären daher ihren Austritt aus der Partei." Sein Sohn nennt weitere Gründe, warum sich sein Vater später von der NSDAP distanzierte: "Er hatte ein elitäres Bewusstsein im völkischen Sinne. Die Mitglieder der Partei waren ihm zu primitiv".

Als die Nationalsozialisten um 1933 vor diesem Hintergrund nach ideologisch-geistigen Führungspersönlichkeiten suchten, lehnte er es ab, wieder einzutreten. Dreimal wurde die Familie im Laufe der Jahre denunziert. "Unser Telefon stand immer unter einer großen Kaffeemütze, damit uns niemand abhören konnte", erinnerte sich der Sohn. Wie ambivalent die Person Ernst Herdieckerhoffs gewesen sein muss, zeigt die Tatsache, dass seine Frau Elisabeth und er trotz seiner großen Nähe zu den Nationalsozialisten eine Freundschaft mit der Familie des Arztes, Theologen, Philosophen und Pazifisten Albert Schweitzer pflegte. "Schweitzer war 1928 einen Nachmittag bei uns in Opladen", berichtete Ernst Herdieckerhoff junior.

Nach seinem Austritt aus der NSDAP arbeitete der Vater bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1958 als Chemiker in der Bayer-Forschung, 1961 starb er.

(inbo)
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