Lokalsport Die Südafrika-Leverkusen-Connection

Leverkusen · Für den Leistungssport hat Irmgard Bensusan ihre Heimat verlassen, um knapp 9000 Kilometer weiter nördlich beim TSV Bayer zu trainieren.

Die Weihnachtstage dürften für Irgmard Bensusan einen etwas anderen Verlauf genommen haben, als hierzulande üblich. In ihrer Heimat Südafrika herrschen derzeit Temperaturen um die 30 Grad Celsius. Einen Tannenbaum, sagt sie, gebe es dort höchstens als Sandskulptur am Strand - oder man zweckentfremde eine Palme. Sie freut sich auf die paar Tage bis nach Neujahr bei der Familie. Immerhin liegen sonst knapp 9000 Kilometer zwischen ihr und ihrer Verwandtschaft.

Es war nicht nur sprichwörtlich ein weiter Weg zum TSV Bayer für sie. Seit rund 18 Monaten lebt und trainiert Bensusan in Leverkusen. Im Sommer gewann die dreifach Silber bei den Paralympics in Rio. Die Wettkämpfe in Brasilien kann sie auch mehrere Monate danach kaum in Worte fassen. "Für mich ist ein Traum wahr geworden", sagt sie. "Es war toll mit der Mannschaft, die Stimmung in den Stadien, das Feiern der Medaillen..."

Die Entscheidung, ihr Glück in Leverkusen zu suchen, bereut sie zu keiner Sekunde - im Gegenteil: "Das war eine der besten Entscheidungen meines Lebens", sagt sie im Rückblick. Früher startete die 25-Jährige bei den Nichtbehinderten für ihr Heimatland. Sportbegeistert war sie schon immer. Bei einer nationalen Meisterschaft im Hürdenlauf stürzte die junge Frau aus Pretoria. Sie verletzte sich schwer am Knie und zog sich eine dauerhafte Nervenschädigung zu. Seitdem fehlt ihr die Kontrolle über einige Muskeln im rechten Bein und kann ihren Fuß nach ein paar Schritten nicht mehr nach oben ziehen. Ohne eine Schiene würde sie praktisch auf dem Fußrücken laufen. Die Diagnose bedeutete aber nicht das Karriereende. Sie war vielmehr der Start in ein neues Sportlerleben.

Das ist auch ihrer Mutter zu verdanken, die nicht nur die Idee mit dem Behindertensport hatte, sondern sich auch vehement für ihre Tochter einsetzte. In Südafrika wurde die Behinderung nur bedingt anerkannt - auf regionaler Ebene schon, aber auf nationaler Ebene nicht. Als gebürtige Hannoveranerin nahm ihre Mutter Kontakt zum Deutschen Behindertensportverband (DSV) auf. Von da an war der Weg zu Jörg Frischmann kurz.

"Wir haben uns zunächst ein Bild gemacht, um zu sehen, ob eine Klassifizierung realistisch ist", erklärt Frischmann. Danach habe man gemeinsam das Projekt in Angriff genommen. Der Geschäftsführer der Behindertensportabteilung im TSV Bayer ließ sich aus Südafrika alle notwendigen Unterlagen schicken. Der Klassifizierungsvorgang ging zügig voran. Nach Ansicht der medizinischen Befunde war die Sache schnell klar: Mit einer Teillähmung im rechten Unterschenkel und Nervenschaden erhielt Bensusan die Klasse T44.

Nach ihrer Ankunft in Leverkusen prasselten freilich unendlich viele Eindrücke auf die Südafrikanerin ein: neues Land, neue Leute, neue Mentalität und neue Witterung. Zunächst lebte sie einige Monate bei ihrem Trainer Karl-Heinz-Düe, der auch die paralympische 4x100-Meter-Staffel mit Markus Rehm, David Behre, Johannes Floors und Felix Streng coacht. Ihr erster Eindruck von Deutschland: zu kalt und zu regnerisch - und das, obwohl sie im Mai ankam. "Das erste, was ich gemacht habe, war shoppen. Ich hatte nur kurze Hosen und keine Jacken dabei", erinnert sie sich lachend. Eigentlich, sagt sie, habe sie nur bis zu den Paralympics in Rio bleiben wollen. Es kam anders. Inzwischen hat sie sich so gut eingelebt, dass sie gar nicht mehr weg will.

Bensusan hat eine Wohnung in Aussicht, optimale Trainingsbedingungen und erste Freundschaften hat sie ebenfalls bereits geschlossen. Im Februar ist ihr Umzug in die eigenen vier Wände geplant. Stück für Stück baut sie sich ihr neues Leben auf. Die Distanz zu ihrer Familie überbrückt sie meist am Telefon oder über Skype - neben der gegenseitigen Besuche. "Das Heimweh kommt und geht. Manchmal ist es mehr und manchmal weniger", sagt die studierte Wirtschaftsprüferin. In Johannesburg hat sie vor ihrem Abenteuer in Deutschland ihren Master im Fach Rechnungswesen a gemacht. Nun will sie ein weiteres Studium anhängen - "internationales Steuerrecht vielleicht", sagt sie.

Leichtathletik betreibt sie seit dem Kindesalter. Die Paralympics in Rio waren ihr bisher erfolgreichstes und größtes Turnier. Über 100, 200 und 400 Meter gewann sie jeweils die Silbermedaille in ihrer Schadensklasse. 2017 soll es im Idealfall so weiter gehen. Dann steht unter anderem die WM in London an. Ihr Ziel? "Gold", sagt sie knapp. "Bis dahin werde ich viel trainieren und mein Deutsch verbessern", kündigt sie an.

Englisch oder Afrikaans, ein regionaler Dialekt aus der niederländischen Kolonialzeit, der eine Mischung aus Plattdeutsch und Hochniederländisch ist, liegen ihr (noch) etwas besser. Letzteres spricht auch Nachwuchs-Leichtathletin Syliva Schulz (17), die aus Namibia stammt und beim TSV Bayer trainiert. Zurück nach Südafrika will sie vorerst nicht: " Ich kann mir gut vorstellen, meine gesamte sportliche Laufbahn in Deutschland zu verbringen." Bis 70 arbeiten, sagt sie könne sie danach immer noch.

(RP)
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