Auf Dem Weg Nach Rio Franziska Liebhardt Nach der Krankheit in den Spitzensport

Leverkusen · Die Kugelstoßerin des TSV Bayer peilt bei der Leichtathletik-EM in Italien eine neue Bestweite an. Das Turnier ist die erste wichtige Standortbestimmung für viele deutsche Behindertensportler im Jahr der Paralympics - mit 193 Entscheidungen.

 Franziska Liebhardt (li.) arbeitet mit Trainerin Steffi Nerius hart für das große Ziel: die Paralympics in Rio

Franziska Liebhardt (li.) arbeitet mit Trainerin Steffi Nerius hart für das große Ziel: die Paralympics in Rio

Foto: MARCUS HARTMANN

Insgesamt 30 Sportlerinnen und Sportler gehören der Leichtathletik-Nationalmannschaft des Deutschen Behindertensportverbands (DBS) an, die derzeit im italienischen Grosseto um Medaillen kämpft. Bis zum 16. Juni laufen die Europameisterschaften. Zum Aufgebot zählt auch die Kugelstoßerin und Weitspringerin Franziska Liebhardt vom TSV Bayer. Dass die 34-Jährige in Topform ist, hat sie erst kürzlich bei den offenen Meisterschaften in Breda (Niederlande) bewiesen. Über 13,82 Meter beförderte sie die Kugel - Weltrekord. Zufrieden gibt sich die gebürtige Berlinerin damit aber nicht. In der Toskana möchte Liebhardt in ihren beiden Disziplinen persönliche Bestleistungen erkämpfen. "Ich bin fit", betont die Athletin. "Trotz einiger Verletzungen habe ich eine stetige Leistungsverbesserung geschafft - und alles flutscht momentan." Liebhardt wird von der ehemaligen Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius trainiert. Die gemeinsame Planung ist indes nicht auf Grosseto ausgerichtet, sondern auf den Saisonhöhepunkt: die Paralympischen Spiele im September. Es wäre eine Premiere für Liebhardt. "In Rio möchte ich im Kugelstoßen und im Weitsprung starten, aber mein Fokus liegt auf der Kugel", sagt die 34-Jährige.

Auch am Zuckerhut will die gelernte Physiotherapeutin ihre persönlichen Bestleistungen überbieten. Im Kugelstoßen will sie eine 14 vor dem Komma. Eine Medaille ist das große Ziel - so wie bei den Weltmeisterschaften in Doha 2015, als Liebhardt zweimal Silber holte. Eine ihrer größten Konkurrentinnen, die Chinesin Na Mi, ist diese Saison bisher kaum in Erscheinung getreten und auch in der Weltrangliste nicht weit vorne. "Aber in Rio wird sie da sein - und zwar topfit", ist sich Liebhardt sicher. Beim Weitsprung werde es wahrscheinlich nicht für eine Medaille reichen, aber ein Platz unter den besten fünf sei durchaus möglich. "Bei den Paralympischen Spielen herrscht eine besondere Atmosphäre. Das pusht einen nach vorne", vermutet Liebhardt. Grund für ihre Karriere im Behindertensport ist eine Erkrankung. Vor wenigen Jahren hatte es nicht danach ausgesehen, als könnte sie irgendwann Teilnehmerin einer Europameisterschaft sein. Neben einer halbseitigen Lähmung (2010) hat sie aufgrund einer Autoimmunerkrankung eine Lungentransplantation hinter sich. 2012 folgte eine neue Niere. Es war eine Lebendspende ihres Vaters. Die Ärzte rieten ihr vom Leistungssport ab. "Sie sagten, dass Sport nach so einem Eingriff sehr schwierig ist", erinnert sich Liebhardt. Ihr Kampfgeist war geweckt.

Mit ihrem Stammsport Volleyball musste die damalige Regionalligaspielerin zwar aufhören, doch stattdessen fing sie mit paralympischer Leichtathletik an. "Ich hatte keine hohen Ziele und wollte einfach nur Freizeitsport machen." Dann aber habe sie sich so gut entwickelt, dass sie das Training stetig steigern konnte und immer besser geworden sei. Es lief so gut, dass sie 2014 von ihrem Verein in Würzburg zum TSV Bayer wechselte, um dort mit Trainerin Steffi Nerius an ihrem großen Ziel zu arbeiten: die Paralympischen Spiele in Rio. Franziska Liebhardt trainiert dafür acht bis zehn Einheiten die Woche - das sind insgesamt 25 Stunden. Hinzu kommt noch ihre Physiotherapie. Neben dem Sport engagiert sie sich stark für das Thema Organspende.

Die EM in Italien ist für einen Großteil der deutschen Athleten die erste wichtige Standortbestimmung im Jahr der Paralympics. "Allerdings darf man die kontinentalen Meisterschaften nicht überbewerten, weil zahlreiche Spitzensportler aus Übersee fehlen", sagt Bundestrainer Willi Gernemann. In Grosseto stehen 193 Entscheidungen an. Bei der EM 2014 in Swansea belegte das deutsche Team mit 17 Mal Gold, 15 Mal Silber und 15 Mal Bronze Platz vier in der Medaillenwertung.

Weitere Athleten vom TSV Bayer im deutschen EM-Kader sind: David Behre (100/200/400 Meter und 4x100 Meter Staffel), Irmgard Bensusan (100/200/400 Meter), Johannes Floors (100/200/400 Meter und 4x100 Meter Staffel), Birgit Kober (Kugelstoßen), Vanessa Low (Weitsprung und 100 Meter), Heinrich Popow (Weitsprung, 100 und 200 Meter), Markus Rehm (Weitsprung, 100 Meter und 4x100 Meter Staffel) und Felix Streng (Weitsprung, 100/200 Meter und 4x100 Meter Staffel).

(RP)
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