Leverkusen Stadtfinanzen: mutig voran unterm Damoklesschwert

Leverkusen · Nach Autobahn- und Gasleitungsdiskussion hielt Finanzdezernent Frank Stein im Rat seine Rede zur Einbringung des Stadtetats 2017 und zur Fortschreibung des Haushaltssanierungsplans bis 2020. Es gibt ein bisschen Hoffnung, viel Sparen und etliche externe Finanzrisiken.

 Finanzdezernent Frank Stein stellte gestern Zahlen, Daten und Fakten vor, sprach über doppelte Keulenschläge, wenn die Gewerbesteuer nach einem derzeitigen Hoch wieder einbricht, und gesetzliche Damoklesschwerter.

Finanzdezernent Frank Stein stellte gestern Zahlen, Daten und Fakten vor, sprach über doppelte Keulenschläge, wenn die Gewerbesteuer nach einem derzeitigen Hoch wieder einbricht, und gesetzliche Damoklesschwerter.

Foto: Uwe Miserius

Nackte Zahlen sind zwar Frank Steins Arbeit. Aber der Finanzdezernent mag sie so nicht gerne rauslassen, sondern "versuche sie, literarisch zu umranken", sagt er. Für den städtischen Etat des nächsten Jahres und den so genannten Haushaltssanierungsplan (HSP) hat Stein bei Shakespeare geschaut - und nichts gefunden. "Es passt einfach nichts Literarisches zur aktuellen Situation", resümiert Stein im Vorgriff auf die gestrige Ratssitzung. Dass das so nicht ganz richtig ist, zeigt sich später, zunächst die

Ausgangssituation Sie lässt sich rasch zusammenfassen zu: Die Stadt muss weiter konzentriert sparen, "Haushaltsdisziplin" nennt Stein das. Notwendig ist sie, weil die Ausgabenblöcke nicht weniger werden, die Einnahmen nicht wirklich mehr (das Eigenkapital liegt bei rund 200 Millionen Euro, die Ergebnisentwicklung bei -36,5 Millionen Euro). Zudem stieß das Angebot der Stadt an Unternehmen "Wie weit müssten wir die Gewerbesteuer senken, damit ihr am Standort bleibt" nicht auf Gegenliebe, geschweige denn auf Resonanz.

Die Prognose zu Ausgabe-/Einnahme-Entwicklung von 2012 für die nächsten Jahre sei viel positiver ausgefallen als die Realität nun vorgebe. "Wir haben einen Sozialhaushalt", betont Stein.

Sozialaufwand Das Ergebnis für die Bereiche Soziale Leistungen, Kinder, Jugend- und Familienhilfe und die "über 90 Prozent Sozialausgaben finanzierende Landschaftsverbandsumlage beträgt in der Summe minus 170 Millionen Euro - nach dem Saldieren von Aufwand und Ertrag", fasst Stein zusammen.

Personalaufwand Die Kosten werden nach dem derzeitigen HSP 2018 bei 130 Millionen Euro liegen. Das sind 14 Millionen mehr als beim Ergebnis 2015. Dazu sollen laut Stein ab 2018 die Steigerungsraten gemäß den Orientierungsraten des Landes mit einem Prozent eingearbeitet werden. "Wir wissen, dies ist zulässig, aber diese Vorgabe in der Praxis ein anspruchsvolles Ziel."

Gewerbesteuer Die ist ein, wenn auch nur momentaner Lichtblick, denn für 2016 geht die Stadt von 22 Millionen mehr an Einnahmen als geplant aus - insgesamt nämlich von 85 Millionen Euro. Das sei vielen einzelnen Faktoren wie Nachzahlungen aus Vorjahren etc. zu verdanken, stellt Stein heraus. Die positive Folge: Die Kassenkredite (also die Dispokredite) werden so um 14 Millionen Euro unterm Vorjahr liegen. Euphorisch ist Frank Stein nicht, denn die Gewerbesteuer ist ein sich rasch veränderndes Geschäft. Wie es da nach 2017 weitergehen wird, dazu vermag der Finanzdezernent keine Prognose abgeben. "Ein vorsichtiger Haushalter darf das Prinzip Hoffnung nicht zur Grundlage machen", warnt Stein auch in der Ratssitzung die Politik. Denn einen Haken hat der unerwartete Steuersegen: "Stellt sich die gute Gewerbesteuereinnahme nämlich tatsächlich als singulärer Ausschlag nach oben heraus, so erwischt uns im ersten Jahr der Wahrheit 2018 (bis dahin will die Stadt mit Hilfe des Landes die schwarze Null schaffen, d. Red.) gleich ein doppelter Keulenschlag: Das Gewerbesteueraufkommen sinkt wieder auf das Niveau der Vorjahre, und gleichzeitig gehen aufgrund der Methodik des Finanzausgleichs die Schlüsselzuweisungen in den Keller." Andersherum gesagt, hat die Stadt in diesem Jahr höhere Schlüsselzuweisungen bekommen, weil sie 2014 niedrige Gerbesteuereinnahmen hatte.

Risiken All das hat Stein in den HSP eingearbeitet, "ohne dass damit weitere, bisher im HSP nicht enthaltene Steuererhöhungen ausgelöst werden", betont Stein. Der eingebrachte städtische Etat erreiche diese Ziel, allerdings mit großer Mühe und mit Risiken - von externen Faktoren und wegen der "Grundphilosophie" des Stadtetats.

Denn da hat sich die Stadtspitze entschieden, nicht für das Prinzip kompromiss- und rücksichtslos Sparen, sondern dafür, zu sparen und dennoch die großen Räder, die gedreht werden müssen, auch zu drehen. Selbst, wenn da im schlimmsten Fall weitere Steuererhöhungen auf die Leverkusener zukommen könnten. "Würden wir nach dem strengen Sparkurs verfahren, wären Einsparungen im öffentlichen Bereich die Folge: Kahlschläge in der Kultur, extrem beschränkte Öffnungszeiten des Bürgerbüros, Flüchtlingsunterbringung in Turnhallen, keine Stadtteilentwicklung in Hitdorf, Opladen, Wiesdorf... einen solchen Etat wollen wir nicht einbringen, weil es Stillstand und Rückstand bedeutet", betont Stein entschieden. "Die finanzpolitischen Risiken, die unsere Variante enthält, nehmen wir wissend in Kauf." Und diese Risiken will Stein nicht verschweigen, die Entscheidung liege bei der Politik, diesen Weg mitzutragen:

Flüchtlinge Die Flüchtlingsversorgung in der Stadt bedeutet 2017 und 2018 eine Etatbelastung von rund 6,9 Millionen Euro, "umgerechnet über 100 Hebesatzpunkte bei der Grundsteuer B (betrifft Eigentümer und Mieter, d. Red.), die zu Buche schlagen", betont Stein.

2016 bis 2018 übernehme der Bund die Kosten für die Unterbringung, die Integration müssen die Städte selbst zahlen. Der Bund gibt dafür aber zwei Milliarden Euro an die Länder, 434 Millionen etwa an das Land NRW, das will aber an die Kommunen nichts abgeben. "Wenn wir nur die Hälfte bekämen, das wären zwei bis drei Millionen, wäre uns schon geholfen", wendet sich Stein an die Landtagskandidaten Lux (SPD) und Scholz (CDU) im Rat.

Und dann findet Frank Stein eben doch noch ein literarisches Beispiel - bei dem griechischen Philosophen, Autor und Staatsmann Cicero, der in einer seiner Schriften vom Damoklesschwert spricht. Selbiges ist für den Leverkusener Finanzdezernenten die Novellierung des

Unterhaltsvorschussgesetzes Dabei geht es um die Verbesserung der Rechte von Kindern säumiger Unterhaltsverpflichteter. Hier streckt das Jugendamt vor. Die Gesetzesreform sieht eine Erhöhung der Altersgrenze vor und will auch eine bisher geltende zeitliche Befristung der Leistungen streichen. Sollte das so kommen und "ansonsten die Finanzierungsstrukturen unverändert bleiben, dann ist die Stadt im Saldo mit fünf bis sechs Millionen Euro Mehrbelastung dabei. Wieder rund 100 Hebesatzpunkte bei der Grundsteuer B", betont Frank Stein. Eine weitere Grundsteuerbelastung will Stein aber gerne vermeiden. "Bund und Land müssten Städte zu 100 Prozent davon freistellen." Er hofft, dass wegen des anstehenden Superwahljahres 2017 die Politik zur Besinnung komme.

Die beiden Punkte zusammen bedeuten für die Stadt Mehrkosten von 13 Millionen Euro - das sind laut Stein zwei Millionen mehr als die Summe, die die Stadt als Stärkungspaktmittel bis 2018 jährlich bekommt. 2019 und 2020 wird die Hilfe langsam zurückgefahren, ab 2021 gibt es nichts mehr.

KulturStadtLev (KSL) Sie ist 2001 schon mit rund einer Million strukturell unterfinanziert gegründet worden, sagt Stein, und sie musste durch die "Bahnstadtmillion" eine weitere Verschärfung der Finanzierungsproblematik in Kauf nehmen. Die Lücke betrage heute gut 1,5 Millionen Euro. "Das ist aber weder dem Eigenbetrieb KSL noch der Kulturpolitik anzulasten, das waren gesamtstädtische Entscheidungen. Sie können nur gesamtstädtisch wieder korrigiert werden." Der Wille, alles bei der Kulturstadt zu erhalten, sei da, also gehe kein Weg daran vorbei, "... den städtischen Zuschuss ab 2019 so zu erhöhen, dass er auskömmlich ist", verdeutlicht Stein. Folge: Kommt es so, müsste zur Refinanzierung des Ganzen die Erhöhung der Grundsteuer in der Größenordnung von 20 bis 30 Hebesatzpunkten vorgeschlagen werden.

Sportpark Hier hängt die Finanzierung von der wirtschaftlichen Entwicklung der Beteiligungen, vor allem EVL und RWE, ab. Für 2017 sieht Frank Stein eine Bezuschussung durch die Stadt von drei Millionen Euro vor, ab 2018 dann gut zweieinhalb Millionen.

Drehen sich diese ersten Zahlen um den konsumtiven Etat (also Konsumausgaben wie Verwaltungskosten), gibt Stein für den investiven Etat (Investitionsausgaben wie Brückenbau) an, den gesetzten Kreditdeckel zu überschreiten. Grundsätzlich sei diese Begrenzung richtig, weil sie Kommunen davon abhalten soll, freudig zu investieren, aber die Folgekosten nicht abschätzen zu können. Aber Stein kann noch gut vertreten, dieses Oberlimit in 2017 mit 2,7 Millionen Euro, 2018 mit 1,6 Millionen, 2019 mit 750.000 Euro und 2020 mit 1,2 Millionen Euro zu überschreiten. Anders seien Projekte wie das Integrierte Handlungskonzept (IHK) Wiesdorf nicht möglich. Dafür nennt Stein diese Zahlen für 2017 bis 2020: 15 Maßnahmen für 16,923 Millionen Euro, städtischer Eigenanteil: 3,9 Millionen Folgeaufwand: ca. 194.200 Euro jährlich. Dazu kommen weitere Maßnahmen etwa an Schulen.

Insgesamt nennt der Finanzdezernent bei den investiven Maßnahmen diese Daten: Erhöhung für 2017 bis 2020 im Vergleich zu 2016: Volumen ca. 17,2 Millionen Euro (nach Abzug der Fördergelder), davon im kommenden Jahr 1,85 Millionen Euro. Die konsumtiven Folgekosten schätzt Stein (bei einem pauschalen Ansatz von fünf Prozent) auf rund 850.000 bis eine Million Euro ein.

Was wird Gisela Walsken dazu sagen? Stein ist sich sicher, die Regierungspräsidentin vom konsumtiven Etat überzeugen zu können, der investive Haushalt sei "vermittelbar, aber darüber wird zu reden sein".

Reden will Stein im kommenden Jahr wieder über literarisch umrankte Zahlen. Einen passenden Schriftsteller hat er im Auge. Tolstoi. Vielleicht gibt es etwas Passendes aus "Krieg und Frieden".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort