Leverkusen Von Abfall, Sekt und Glockentierchen

Leverkusen · Die Rheinische Post und Chemparkbetreiber Currenta haben elf RP-Leser auf eine Tour geführt - mitten hinein in leicht müffelnden Schlamm und abertausende Bakterien. Gefallen halt es allen so gut, dass sie wiederkommen wollen ins Entsorgungszentrum der Currenta.

 Auf der Turmbiologie: In 30 Metern Höhe gab es für die Teilnehmer erstens einen wunderbaren Ausblick und zweitens einen ebensolchen Einblick in die Welt der Chemieabwässerreinigung durch Bakterien.

Auf der Turmbiologie: In 30 Metern Höhe gab es für die Teilnehmer erstens einen wunderbaren Ausblick und zweitens einen ebensolchen Einblick in die Welt der Chemieabwässerreinigung durch Bakterien.

Foto: uwe Miserius

Entscheidend ist, was hinten rauskommt. Hat schon Altkanzler Helmut Kohl gesagt. Nur, wenn es dabei um Abfall geht, mag keiner gerne darüber reden. Außer Ulrich Bornewasser. Der Mann kann einen ganzen Nachmittag wunderbar über Abfälle von Mensch und Industrie sprechen. Und hat dabei charmante Vergleiche bereit: "Mit der Turmbiologie ist es so wie mit einem Glas Sekt: Unten sind ein paar Bläschen, und oben sprudelt es ordentlich", sagt zu dem Bereich im Currenta-Entsorgungszentrum, bei dem Bakterien für die Reinigung von Chemieabwässern sorgen.

 Ulrich Bornewasser (l.) erläutert den...

Ulrich Bornewasser (l.) erläutert den...

Foto: Miserius Uwe

Kommunikationsfachmann Bornewasser steht im Infobereich des Zentrums an einem Modell. Um ihn herum elf RP-Leser, die nicht sparsam sind mit Fragen. "Scheuen Sie sich nicht, nachzuhaken", hatte Christian Zöller, bei Currenta zuständig für den Bürgerdialog, auf der Hinfahrt aufgefordert. Er hätte es nicht müssen. Denn etliche Teilnehmer der RP-Sommertour zum Entsorgungszentrum, waren entweder a) noch beruflich im Chempark tätig oder ehemals dort beschäftigt oder b) "einfach daran interessiert, was hier hinter den Kulissen passiert", sagt Teilnehmer Heinz-Konrad Berns.

Der Leverkusener ist bei von ihm geführten Stadtrundfahrten des Vereins "Leverkusen - ein starkes Stück Rheinland" oft am Entsorgungszentrum vorbeigekommen. "Immer habe ich mich gefragt, was dort genau passiert. Jetzt kann ich es sehen." Mitgebracht hat er Dieter Herrbold, der "nichts mit Bayer zu tun hat", sich aber für die Technik ebenso interessiert wie Heinz Schrenk, den Ex-Lanxesser Georg Masuhr zur Führung mitgebracht hat.

 ... Teilnehmern die Kaskaden-Biologie, die Ähnlichkeit mit einem Moorbad hat.

... Teilnehmern die Kaskaden-Biologie, die Ähnlichkeit mit einem Moorbad hat.

Foto: Miserius Uwe

Die hat im Bus begonnen, als Christian Zöller auf der Kaiser-Wilhelm-Allee verbal durch die Geschichte von Bayer-Werk und Chempark marschiert. Als er erwähnt, dass allein Kunststoffhersteller Covestro pro Jahr rund 45 Mio. Euro für Strom ausgibt, geht ein Raunen durch den Bus. Und als der bei Titandioxidhersteller Kronos vorbeifährt, deutet Olaf Schulze für seine Frau Karin aus dem Fenster. Normalerweise würde er dort gerade arbeiten. Für die RP-Tour hat er sich freigenommen.

Sie startet an den Modelltischen. An einem gibt Bornewasser einen Überblick über das Areal samt 65 Hektar großer und mittlerweile mehr als 30 Meter hoher Deponie. Er erläutert sehr verständlich, das bescheinigt ihm Teilnehmerin Dorothea Kraus. Trotzdem kann er nicht umhin, Fachvokabular wie Filterkuchenpressrückstände einfließen zu lassen, denn die landen eben auch auf der Deponie.

Dann heißt es, Helm und Schutzbrillen auf, Ärmel runtergekrempelt und ab in die Praxis. Die Teilnehmer steigen der Turmbiologie aufs Dach. In 30 Metern Höhe sehen Masuhr, Schrenk, Schulze und die übrigen Teilnehmer durch Luken auf dunkles Wasser und weiße Flöckchen, "Letztere sind die Bakterien, die für uns die Arbeit leisten", erläutert Ulrich Bornewasser. Er fasst zusammen, was Kohl interessiert hätte: Hinten "kommen gereinigtes Wasser und Abgase raus. Das Wasser geht in die kommunale Kläranlage neben der Turmbiologie, die Abgase werden in die Erdgasverbrennungsanlage geschickt. Die dort freiwerdende Energie wird weitergenutzt." Anton Kraus, ehemals bei Bayer CropScience, hakt nach: "Ist das immer noch die einzige Anlage dieser Art in Europa?" Bornewasser sagt: "Ich kenne zumindest keine weitere, die in dieser Weise Industrie- und kommunale Abwässer klärt."

Das wird überwacht: Die Bezirksregierung Köln wisse 24 Stunden am Tag wie die Verbrennungsanlagen im Entsorgungszentrum laufen, zudem gebe es unangekündigte Kontrollen bei der Kläranlage. Andererseits: Es kommt nicht alles, was der Laie als Müll bezeichnet, in die Anlagen hinein: "Wir nehmen nur angemeldeten Abfall. Wir müssen wissen, was auf den Lkw geladen ist. Unbekannter Abfall kann gleich kehrtmachen, denn wir sind keine Müllkippe." Parallel zu den Lkw-Ladungen kommt über den Stollen "Gisela" vom Chempark Abwasser an. Eine Million Liter pro Stunde, sagt Bornewasser. "Das ist sauer und wird erstmal durch Kalk neutralisiert, damit die Bakterien überhaupt arbeiten können."

Apropos. Die elf RP-Leser, darunter die 19-jährige Carolin Gillessen, lernen beim nächsten Stopp an den Becken der Kaskadenbiologie weitere Bakterien kenne, etwa die Glockentierchen. Die helfen, aus dickflüssig, teils sprudelndem Schlamm geklärtes Wasser zu machen. Anton Kraus und Georg Masuhr sind beeindruckt: "Unglaublich, was alles dafür getan wird, damit man in einer Kommune gut leben kann", sagt Kraus. Masuhr ergänzt: "Dafür zahlt man seine Steuern irgendwie gerne." Der dritte Halt führt auf die Deponie, die großteils ein bewachsener Hügel ist. Bornewasser erklärt, dass die sie umgebenden Spundwände teils bis in die Erdschicht des Devon reichen, dass es Kontrollschächte gibt, Zwischenabdichtungen. "Wir sprechen von einer geordneten Sonderabfalldeponie", betont er. Heißt: "Wir wissen genau, was hier wo eingelagert ist." 350.000 Tonnen Abfall kommen pro Jahr auf die Deponie, 82 Lkw rollen pro Tag an. 2043 ist die Verfüllmenge nach jetzigem Stand erreicht, dann könnte die Deponie rund 60 Meter hoch sein. "Wäre was zum Skifahren", scherzen die Teilnehmer. Bornewasser schränkt ein: "Das Datum ist nicht in Stein gemeißelt. In der Schweiz sind oberirdische Deponien verboten. Falls das auch hier kommt, wird früher verfüllt."

Bis dahin, merkt Georg Masuhr an, wolle er aber nochmal zum Entsorgungszentrum kommen, denn die Drehrohre, in denen der Abfall verbrannt wird, die interessierten ihn auch.

(RP)
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