Leverkusen Warum Deutschland zufrieden sein kann

Leverkusen · Gastredner Wolfgang Bosbach skizzierte beim Neujahrsempfang der Europa-Union warum die Deutschen auch in unruhigen Zeiten ihr Glück schätzen sollten und die EU an einem Scheideweg steht.

 Gemeinsam reden und nachdenken über die Zukunft Europas - im Spiegelsaal des Schlosses begrüßte der Vorsitzende der Europa-Union Leverkusen, Hans Georg Meyer (Vordergrund rechts), neben vielen Mitgliedern auch Gastredner Wolfgang Bosbach (1. Reihe Mitte) und Oberbürgermeister Uwe Richrath (links).

Gemeinsam reden und nachdenken über die Zukunft Europas - im Spiegelsaal des Schlosses begrüßte der Vorsitzende der Europa-Union Leverkusen, Hans Georg Meyer (Vordergrund rechts), neben vielen Mitgliedern auch Gastredner Wolfgang Bosbach (1. Reihe Mitte) und Oberbürgermeister Uwe Richrath (links).

Foto: Ralph Matzerath

Das Experiment, das der berühmte Geigenvirtuose Joshua Bell 2007 gemeinsam mit der Washington Post unternahm, sorgte mit Millionen Youtube-Klicks weltweit für Verblüffung. Der damals 40-jährige Künstler und Topverdiener, der sonst nur in ausverkauften Musiktempeln spielt, präsentierte als Straßenmusiker in einem U-Bahnschacht Auszüge aus seinem Programm. Tausende liefen an ihm vorbei, ohne den künstlerischen Wert seiner Leistung zu erkennen. Der Spenden-Ertrag einer Stunde Spielzeit betrug 32,17 Dollar. Das Joshua-Bell-Experiment nutzte der CDU-Politiker und Bundestagsabgeordnete im Ruhestand, Wolfgang Bosbach, um seinen Zuhörern im voll besetzten Spiegelsaal von Schloss Morsbroich auch sinnbildlich den Spiegel vor zu halten. Tenor: Wissen wir eigentlich noch, wie gut es uns geht? Mit Blick auf die Gründung der Bundesrepublik und die Europäische Union formulierte Gastredner Bosbach es so: "Fällt uns eigentlich noch auf, dass wir seit 68 Jahren in Frieden und Freiheit leben?"

Die Zuhörer, das waren die Mitglieder der Europa-Union Leverkusen, die sich am Dienstagabend zur Versammlung mit anschließendem Neujahrsempfang trafen. Bei ihnen stieß Bosbachs nachdrücklicher Appell, scheinbar Selbstverständliches nicht als solches zu betrachten, auf offene Ohren. Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, das Zusammenwachsen Europas zu einem friedlichen Staatenbund ohne Grenzen, die gelungene deutsche Wiedervereinigung ("eine Revolution ohne Vorbild"), in seinem Rückblick listete der Redner die Entwicklung zu Frieden und Wohlstand auf. "Ist es nicht grandios, was sich wirtschaftlich in unserem Land getan hat?" In den 68 Jahren des Bestehens der Bundesrepublik habe es in 62 Jahren einen Aufschwung gegeben, in lediglich sechs Rezession.

Wie sein Vorredner, Hans Georg Meyer, Vorsitzender der Europa-Union, lobte Bosbach das Friedenswerk der Europäischen Union, warnte aber zugleich auch vor Gefahren. Dazu gehörten neben dem Brexit und Tendenzen der Separation ein verstärkter Drang zum Nationalismus und eine Entsolidarisierung zwischen den Staaten, etwa bei der Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen. Bosbach: "Bergisch Gladbach hat 2015 mehr Flüchtlinge aufgenommen als ganz Portugal". Globalisierung und Digitalisierung veränderten die Welt im rasanten Tempo und verlangten nach einer gemeinsamen Antwort der Europäer. "Die entschiedene Frage unserer Zeit ist, ob der europäische Einheitsgedanke an Faszination verliert", sagte Bosbach. Zukunftsfragen müssten deshalb geklärt werden. "Wir sind mehr als ein Staatenbund, aber kein Bundesstaat, was wollen wir sein oder werden?" Eine gemeinsame Außenpolitik, Zusammenwirken in Sicherheitsfragen, Handel und Klimaschutz seien längst anerkannt, aber soll Brüssel auch Steuern eintreiben dürfen? Was die "Vereinigten Staaten von Europa" angeht, bleibt der CDU-Politiker skeptisch:"Ich glaube nicht, dass die Begeisterung für Europa wächst, wenn wir nationalstaatliche Rechte an Brüssel abgeben."

Ein gut aufgelegter Bosbach spickte seinen Vortrag mit Zahlen, Fakten, aber auch mit vielen humorigen Bemerkungen ("Die ersten 40 Jahre meines Lebens war ich offline") und Anekdoten aus einem langen Politikerleben.

Etwa die über einen Besuch seiner heute 89-jährigen Mutter beim damaligen Büronachbarn Helmut Kohl im Berliner Regierungsviertel. Eigentlich wollte sich Mutter Bosbach als CDU-Wählerin, die sich über Kohls sperriges Verhalten in der damaligen Spendenaffäre geärgert hatte, persönlich beschweren. Als Kohl aber den Raum betrat, und Bosbach über den grünen Klee lobte, zog es die tief beeindruckte Mutter vor, doch lieber höflich zu schweigen.

(bu)
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