Leverkusen Zwangsheirat: Polizei gibt Opfer neue Identität

Leverkusen · Zwei Kommissarinnen der Kreispolizei haben einer jungen Frau und ihrem Freund geholfen - und Bürokratie erlebt.

Die Frau im Gerichtssaal sitzt hinter einer schusssicheren Scheibe. Ihre Aussage in einem Anti-Terrror-Prozess ist das Letzte, was sie mit ihrem alten Leben verbindet. Wenn sie den Saal verlässt, wird sie jemand anders sein, andernorts neu anfangen - mit staatlicher Hilfe.

Dass das Bundeskriminalamt wichtigen Zeugen zu einer neuen Identität verhelfen kann, ist nicht nur Stoff für viele Filme, es ist gelebte Realität seit vielen Jahren. Doch was passiert, wenn es sich nicht um wichtige Kronzeugen handelt, sondern einfach Opfer einer Kriminalität, die ihr Leben bedroht - und diese Opfer nicht irgendwo in einer Metropole landen, sondern bei einer kleinen Kreispolizeibehörde Hilfe suchen?

Genau das ist jetzt passiert: Fast ein halbes Jahr lang haben Kriminalhauptkommissarin Gundi Hebborn und ihre Kollegin Susanne Krämer vom Opferschutz der Kreispolizeibehörde darum gekämpft, eine junge Frau, die vor einer Zwangsheirat geflohen war, und ihrem Partner den Start in ein neues Leben zu ermöglichen. Ein Leben, in dem der auf Rache sinnende Familienclan keine Chance mehr hat, zu der jungen Frau vorzudringen oder ihr gar wie angedroht etwas anzutun.

Das klingt spannend - und war es für die beiden Polizistinnen auch, wenn auch aus etwas anderen Gründen, als vielleicht gedacht.

In der Behörden-Zeitung Pin, die regelmäßig für die Mitarbeiter der Kreis Polizei erstellt wird und die sich nicht scheut, auch mitunter ein heißes Eisen anzufassen, schildert Hebborn gemeinsam mit ihrer Kollegin ihren Kampf gegen bürokratische Hemmnisse: "In der Hoffnung, dass andere (größere) Behörden und Dienststellen in diesem Bereich schon auf einen größeren Erfahrungsschatz zurückblicken können, machten wir uns auf die Suche nach Checklisten, Leitfäden, Arbeitsanweisungen. Wir fanden nichts. Außer dem Hinweis, dass solche Bemühungen weder seitens der Opferschützer noch anderer polizeilicher Kräfte erwünscht war."

Die Polizistinnen entschieden: Wir machen trotzdem weiter und holten sich die Rückendeckung ihrer Behörde. Aber damit waren die bürokratischen Hemmnisse noch lange nicht überwunden: "Ich habe lernen müssen, dass mit einer einmal vergebenen Rentenversicherungsnummer jeder Weg einer Person nachvollziehbar wird", sagt Hebborn. Spuren zu verwischen sei in der digitalen Welt keine Kleinigkeit. Selbst als die Einbürgerung endlich bewilligt war, gab es einen Schock: Das Verfahren sollte unter dem alten Namen gestartet werden.

Die beiden Beamtinnen gaben nicht auf und schaffen es tatsächlich, Entscheidungsträger aus den unterschiedlichsten Behörden an einen Tisch zu bringen. Dem Opfer und seinem Lebenspartner wurde geholfen - doch damit will sich Hebborn nicht zufrieden geben.

Sie fordert jetzt eine Art Checkliste für alle Behörden, in denen die wichtigen Ansprechpartner für solche Notfälle aufgelistet sind, damit ein nervenaufreibenden Suche, wie sie sie erlebt hat, gar nicht erst notwendig wird. Ein neues Regelwerk zum "operativen Opferschutz", das das Land zurzeit vorbereitet, wäre noch willkommener, denn: "Eines muss uns klar sein", mahnt Gundi Hebborn: "Bis der nächste Notfall hier aufläuft, ist es nur eine Frage der Zeit."

(RP)
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