Altweiber in Meerbusch Bericht von der Front: Er und sie im Karneval

Meerbusch · Beim Altweibersturm wollen normalerweise die Möhnen den Schlüssel des Rathauschefs. Meerbusch tickt anders: Hier ist die Chefin eine Frau. Unsere Reporter schmissen sich ins Getümmel – und leisteten dem anderen Geschlecht Beistand.

Fotos vom Altweibersturm in Meerbusch 2016
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Altweibersturm in Meerbusch 2016

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Beim Altweibersturm wollen normalerweise die Möhnen den Schlüssel des Rathauschefs. Meerbusch tickt anders: Hier ist die Chefin eine Frau. Unsere Reporter schmissen sich ins Getümmel — und leisteten dem anderen Geschlecht Beistand.

Geständnis Nummer eins: Für mich findet der wahre Wieverfastelovend in Bonn-Beuel statt. Jeder andere Rathaussturm ist nicht so jeck, nicht so sexy und nicht so charmant. Geständnis Nummer zwei: Ich bin zum ersten Mal schon zum Auftakt des Straßenkarnevals verschnupft. Ich habe nicht mal eine Stimme, um Prinz Philipp I. hier im Büdericher Regen ein Geburtstagsständchen zu singen.

Die Füße spüre ich schon nicht mehr, die rund 100 Jecken gehen unter Schirmen auf Tuchfühlung. Viele bleiben auch einfach im Festzelt. Des perfekte Kostüm wäre Miss Peel aus Schirm, Charme und Melone gewesen. Schirm habe ich dabei, Charme hat der humpelnde Prinz, und die Melonen sind die Bauhelme, die die Mitarbeiter der Stadtverwaltung tragen. Die tun nämlich so, als ob das Rathaus einsturzgefährdet wäre. Der Eingang ist mit Baustellengittern und Kreppband verbarrikadiert.

Ich weiß ja nicht, wie Prinz Philipp mit seinem kaputten Knie den Rathausbalkon erklimmen möchte. Aber er hat sich Verstärkung geholt: das Nierster Kinderprinzenpaar Lissi I. und Prinz Manuel I. und das Kinderprinzenpaar aus Lank-Latum mit Prinzessin Marlene I. und Çan Pablo I. Die sind heute der Bauarbeiter-Notdienst und haben Rohrzange, Hammer und Pimpel mitgebracht. Und ich bin ja auch noch da. An Wieverfastelovend muss ja wenigstens eine Frau dem Prinzen zur Seite stehen, wenn hier schon die Frauen das Regiment abgeben und nicht erobern müssen. Verkehrte verkehrte Welt an Karneval. Prinz Philipp startet ein Ablenkungsmanöver und bezirzt Bürgermeisterin Mielke-Westerlage. Ob sie denn wisse, was der Vereinsname KG Kött on kleen auf hochdeutsch heiße. Die Bürgermeisterin ist vorbereitet: "Kurz und klein". Kollege Specks wagt sich jetzt auch mal auf den Rathausbalkon. Er hält den Schirm über die Bürgermeisterin. Ansonsten hat er sich die ganze Zeit drinnen versteckt und mir nur einmal frech zugewunken.

Dann schickt Prinz Philipp seine Truppe los. Achtung, die bewaffneten Kinderprinzen und -prinzessinen samt den Ministern stürmen jetzt das Rathaus. Ohne nennenswerten Widerstand. Ich würde sagen, alle Mann ab Marsch ins Festzelt, wo es dann heißt: ein dreifaches Meerbusch Helau!

Mein Leben lang habe ich gedacht, es gebe kaum keinen unlustigeren Ort auf der Welt als die Hinterzimmer eines Rathauses. Angelika Mielke-Westerlage aber braucht nur drei Sekunden, um mich an dieser Weiberfastnacht vom Gegenteil zu überzeugen. Auf dem Schreibtisch steht ein Fass Altbier, im Konferenzraum warten Mettbrötchen und Kuchen. Mein Herz hat sie endgültig gewonnen, als sie mir meine liebste Frage stellt: "Was trinken Sie?"

Kaum sehe ich mich um, sitze ich neben dem Technischen Beigeordneten, Michael Assenmacher, hebe mein Glas auf den Karneval und schwadroniere mit den obersten Köpfen der Verwaltung über die jecken Tage. Im Handumdrehen wird aus dem Rathaus ein Tollhaus! Und weil aus dem Tollhaus auch wieder ein tolles Haus werden soll, wird es demnächst saniert. Vor lauter Kreativität, die bei all der Stadtplanerei übrig geblieben ist, haben sich die Oberbürgermeisterin und ihr Gefolge deshalb als Bauarbeiter und Maler verkleidet, frei nach dem Motto 'Probieren — Sanieren — Ruinieren'.

Vielleicht ist es der Sekt, vielleicht auch Mitleid ob seiner Knie-Verletzung, doch als Prinz Philipp vor den Rathausbalkon tritt, setzt die Oberbürgermeisterin nicht zu einer emotionsgeladenen Rede zur Verteidigung des Rathauses an, sondern plaudert seelenruhig mit dem Prinzen. Sogar rote Schuhe schenkt sie ihm. Ich wittere eine Verschwörung. Gerade will ich ihr zu Hilfe eilen, da ist es auch schon passiert. Vorbei an Stadtsprecher Michael Gorgs lässt sie die Kinderprinzenpaare aus Nierst und Lank, Manuel und Lissi, Çan Pablo und Marlene, getarnt als Handwerkertrupp ,Kurz und Klein' ins Rathaus. Nur Augenblicke später stehen die vier auf dem Rathausbalkon und entreißen der Oberbürgermeisterin den Rathausschlüssel.

Von wegen Sanierung des maroden Verwaltungsgebäudes. Verrat! Den lockeren Plausch hat Prinz Philipp nur genutzt, um die vier jungen Regenten auf den Balkon zu schleusen und die Herrschaft über die Stadt an sich zu reißen. Am Ende bleibt Mielke-Westerlage nur eins: der Rückzug samt Gefolge in den Rathausgarten. Doch bei Musik, Tanz und Kaltgetränken lässt es sich hier wohl aushalten. Zumindest bis Aschermittwoch.

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