Meerbusch Die Brücke und Kai

Meerbusch · Der Streit um die Brücke am Latumer See treibt immer weitere Blüten. Kai - Alter, Name und Person frei erfunden - versteht die ganze Diskussion nicht.

 Vom Anglersteg an der Ostseite des Latumer Sees hat man einen guten Blick auf das andere Ufer.

Vom Anglersteg an der Ostseite des Latumer Sees hat man einen guten Blick auf das andere Ufer.

Foto: Burwig/Orthen

Kai mag den Latumer See, und er liebt die Brücke, die am Südende des Sees über eine grasbewachsene Senke führt. 75.000 Euro darf sich die Stadt die Sanierung kosten lassen, die viele für eine groteske Geldverschwendung und wenige für eine schöne Ergänzung des Erlebnispfades um das Gewässer halten. Nicht erst als sogar Filmteams von RTL und Sat.1 vorbeischauten, um den Unsinn und Sinn der Brücke zu ergründen, macht sich Kai seine Gedanken darüber. Aber eins macht er nicht: Kompromisse. Er will die Brücke, und er weiß auch, warum.

 "Jetzt eine Brücke", denkt sich Kai, der mit der Aussicht so nichts anfangen kann.

"Jetzt eine Brücke", denkt sich Kai, der mit der Aussicht so nichts anfangen kann.

Foto: Oliver Burwig

"Man hat den Latumer See nicht erlebt, wenn man ihn nie aus der leicht erhöhten, diagonalen Perspektive gesehen hat, die die Brücke bietet", sagt der 41-Jährige (Alter, Name und Person frei erfunden). Zwar gibt es schon mehrere andere befestigte Aussichtspunkte auf dem anderthalb Kilometer langen Rundweg, aber das sei einfach nicht dasselbe. Auch Leo Jürgens, stellvertretender Bürgermeister Meerbuschs und CDU-Ratsmitglied will nicht auf die Brücke verzichten. "Es geht um den Genuss, den der erhöhte Blick über den See bietet", erklärt der 74-Jährige die Bedeutung des 1988 errichteten Holzbauwerks. Mit einer neuen Brücke ließe sich auch das Trockenbiotop aus Kies und Sand wiederherstellen, das einmal unter ihr lag.

 Das Gitter ist heute umgebogen. "So weit würde ich nicht gehen", sagt Kai.

Das Gitter ist heute umgebogen. "So weit würde ich nicht gehen", sagt Kai.

Foto: Oliver Burwig

Das ist auch für Kai ein Muss, der nicht zuletzt täglich an den See kommt, um Zaunbeidechsen zu beobachten. Die hat er in der Senke schon lange nicht mehr gesehen, vollkommen zerstört sei das dortige trockene Biotop durch den dichten Grasbewuchs, in dem sogar schon kleine Bäume sprießen. Kai spricht von einer "grünen Wüste", in der nur "langweilige Vögel, Mäuse und Insekten" überleben könnten.

 Das Trockenbiotop unter der Brücke ist einer Wiesenlandschaft gewichen.

Das Trockenbiotop unter der Brücke ist einer Wiesenlandschaft gewichen.

Foto: Oliver Burwig

Dazu haben auch die Meerbuscher FDP und die Unabhängige Wählergemeinschaft (UWG) eine Meinung, die aus einem gemeinsamen Antrag beider Fraktionen zur nächsten Sitzung des Bau- und Umweltausschusses hervorgeht: "Die marode südliche Brücke am Latumer See überbrückt lediglich eine grasbewachsene Senke (von einigen als Biotop beschrieben) und ist nur einseitig barrierefrei mit dem vorhandenen westlichen Weg verbunden." Man fordere daher "den sofortigen Stop der Maßnahmen zum geplanten Brückenneubau" - auch, weil die dafür veranschlagten Kosten in Höhe von 75.000 Euro weder dem Stadthaushalt noch dem Steuerzahler zuzumuten seien. Jürgens Kommentar: "Es war schon immer etwas teurer, einen guten Geschmack zu haben."

 "Die Aussichtspunkte sind einfach nicht dasselbe", findet Kai.

"Die Aussichtspunkte sind einfach nicht dasselbe", findet Kai.

Foto: Oliver Burwig

Auch Spaziergängerin Jeannette Nachtigall, die mit ihrem Hund gerne am See Gassi geht, stört sich nicht an der Summe. "Wir sollten etwas bauen, was ruhig mehr kosten darf, dafür aber dann 50 Jahre hält", sagt die 55-Jährige. Die Brücke sei immer ein "Höhepunkt" der Seeumrundung gewesen. Kai ist ganz ihrer Meinung: "Und wenn es eine halbe Million kostet, die Brücke aus nordamerikanischen Mammutbäumen zu bauen, dann muss die Stadt eben in den sauren Apfel beißen."

 Jeanette Nachtigall fände eine teurere, aber haltbarere Brücke sinnvoll.

Jeanette Nachtigall fände eine teurere, aber haltbarere Brücke sinnvoll.

Foto: Oliver Burwig

Michael Assenmacher, technischer Beigeordneter im Meerbuscher Rathaus, sieht das anders: "Die Stadtverwaltung plädiert aus fachlicher Sicht und aus wirtschaftlichen Gründen dafür, die Brücke ersatzlos abzubauen." Für den Rundweg um den See sei sie nicht zwingend erforderlich. Assenmacher verweist auf die Kosten: "Das Holz ist stark von Pilz befallen, die Reparatur der betroffenen Bereiche würden rund 37.000 Euro kosten, ein Abriss rund 9000 Euro."

 Kais marode Lieblingsbrücke wurde 2014 wegen Unfallgefahr gesperrt.

Kais marode Lieblingsbrücke wurde 2014 wegen Unfallgefahr gesperrt.

Foto: Anne Orthen

Thomas Mey, der mit seinen Hunden täglich an den Latumer See geht, ist auf der Seite der Stadt. "Totaler Schwachsinn", sagt der 52-Jährige. Weder ein weiterer Aussichtspunkt noch eine Abkürzung von 120 Metern rechtfertigen seiner Meinung nach die im Haushalt veranschlagten 75.000 Euro: "Davon könnte man etwas Sinnvolles finanzieren, zum Beispiel Spielplätze." Viele Eltern kämen mit ihren Kindern an den See und fänden in der Umgebung keine Spielgeräte vor.

Kai sieht das anders. Er will die Brücke, und er weiß, warum. Ob man das auch außerhalb des "Latumer Kosmos" versteht, interessiert ihn nicht.

(RP)
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