Meerbusch Die Geschichte von der Reifen-Königin

Meerbusch · Simone Kesch ist Mutter, Chefin und Unternehmerin in einer Männerbranche: Sie ist Inhaberin eines Reifenhandels mit Kfz-Werkstatt. Ein Text zum anstehenden Weltfrauentag.

 Seit 2011 ist Simone Kesch Inhaberin des Reifen- und Autoservice "Autowerk". Dort kümmert sich die Mutter eines achtjährigen Sohnes nicht nur um ihre Mitarbeiter und Azubis, sondern auch um Buchhaltung und Verkauf. Im Sommer will sie in der Werkstatt mitarbeiten.

Seit 2011 ist Simone Kesch Inhaberin des Reifen- und Autoservice "Autowerk". Dort kümmert sich die Mutter eines achtjährigen Sohnes nicht nur um ihre Mitarbeiter und Azubis, sondern auch um Buchhaltung und Verkauf. Im Sommer will sie in der Werkstatt mitarbeiten.

Foto: RP-Foto; juha

Früher hat Simone Kesch ihrem Vater gerne beim Schrauben am Familienauto über die Schulter gesehen. Dass sie als erwachsene Frau einmal einen eigenen Reifenhandel mit Kfz-Werkstatt auf dem Areal Böhler haben würde, hätte die heute 46-Jährige damals als Kind aber auch nicht gedacht. "Manchmal ist es eben gut, auf seinem Weg nach rechts und links zu schauen", sagt sie - und erzählt eine Erfolgsgeschichte zum Weltfrauentag.

Geboren wurde Kesch in Mülheim an der Ruhr, das Abi hat sie im ersten Anlauf abgebrochen. "Ich hatte damals andere Dinge im Kopf", sagt die Unternehmerin. "Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Mein Vater hat unter Tage gearbeitet, meine Mutter war Hausfrau, ich bin die Älteste von vier Geschwistern. Studieren stand bei uns eigentlich nicht auf dem Plan." Simone Kesch entscheidet sich stattdessen fürs Geldverdienen, macht eine Ausbildung zur Justizangestellten und zieht nach zwei Jahren im Job nach Düseldorf, um als Sekretärin in einer Werbeagentur zu arbeiten. "Da war ich 22 Jahre alt. Damals hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass mir das, was ich habe, möglicherweise nicht reicht."

Kesch merkt bald: Ohne akademischen Titel kommt sie nicht weiter, also stemmt sie ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, schließt an der Fachhochschule ein Betriebswirtschaftsstudium mit Schwerpunkt Marketing und Kommunikation an und arbeitet nebenher weiter als Sekretärin.

"Für meine Entscheidung, mit Anfang-Mitte Zwanzig noch einmal das Lernen anzufangen, haben mich einige Freundinnen für verrückt erklärt - oder mutig", sagt Kesch. "Auf jeden Fall war es der richtige Weg. Ich war ja als Sekretärin schon relativ weit oben, mochte es aber nicht, vom Rhythmus eines anderen - meines Chefs - abhängig zu sein." Also weiter: Direkt nach dem Studium bekommt die Düsseldorferin ein Jobangebot.

"Ein Bekannter war Marketingmanager im Qutlet-Center Roermond und suchte einen Mitarbeiter", erzählt sie. Aus sechs Monaten werden sechs Jahre und aus der Mitarbeiterin eine Chefin. Simone Kesch hat damals bereits einen kleinen Sohn und pendelt jeden Tag in die Niederlande. Dort bekommt sie mit, wie viel mehr im Vergleich zu Deutschland die Leistung arbeitender Mütter dort wertgeschätzt wird.

"In den Niederlanden gibt es keine drei Jahre Elternzeit, ich musste also nach sechs Monaten wieder anfangen zu arbeiten, dafür wird aber auch keine Frau blöd angeguckt", sagt sie. "Einen U3-Betreuungsplatz zu finden, wäre überhaupt kein Problem gewesen, in Deutschland hingegen war und ist es das." Simone Kesch findet das schade. "Es ist schon traurig, dass viele Frauen viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung investieren und dann im Stich gelassen werden", sagt sie. "Jedenfalls hatte ich damals dieses blöde Gefühl."

Als ihr heutiger Ex-Mann 2011 die Übernahme eines inhabergeführten Reifenhandels auf dem Areal Böhler angeboten bekommt und das an sie weitergibt, entscheidet sich die 46-Jährige wieder spontan - wieder für das Unbekannte. Angst vor der Selbstständigkeit, vorm Scheitern hat sie nicht. "Ich hatte einfach Lust, etwas Neues zu machen", sagt sie. "Und ich hatte die Hoffnung, dass ich ein bisschen mehr Zeit für meinen Sohn haben kann."

In den ersten Jahren klappt das nicht. Die 46-Jährige krempelt den kleinen, in die Jahre gekommenen Betrieb mit damals fünf ausschließlich männlichen Mitarbeitern um, räumt auf, entstaubt und stockt das Team auf neun Kollegen und zwei Auszubildende auf.

"Mit einer Frau als Chefin hatten die Männer kein Problem, auch wenn sicher vieles für sie neu war", sagt Kesch heute. "Ich gehe nicht mit dem Kopf durch die Wand, ich verabscheue es, rumzuschreien - was nicht bedeutet, dass ich etwas nicht will - und meine Tür steht für jeden immer offen. Auch mit dem Thema Kündigung würde ich niemals leichtfertig umgehen, erst recht nicht, wenn ich weiß, dass hinter dem Mitarbeiter eine Familie mit Kindern steht."

Das anders Führen scheint zu funktionieren. Keschs Auftragsbücher sind jedenfalls voll. Noch weiter wachsen will sie aber nicht. "Dann gerät die Work-Life-Balance total aus dem Lot, und das will ich nicht", sagt sie. "Das ist auch der Tipp, den ich vor allem Frauen geben würde: Sorgt dafür, dass ihr mit dem, was ihr macht, glücklich seid. Und, dass das Leben dabei nicht zu kurz kommt."

(RP)
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