Christian Gutjahr-Dölls Hausaufgabenverbot: So macht es das Mataré

Meerbusch · Der Mataré-Direktor spricht über das neue Hausaufgabenkonzept, seine Meinung zu G8 und die hohe Zahl Gymnasiasten.

Christian Gutjahr-Dölls: Hausaufgabenverbot: So macht es das Mataré
Foto: Dackweiler Ulli

Herr Gutjahr-Dölls, Sie stellen an Ihrer Schule derzeit das Ganztagskonzept um. Erklären Sie, was genau da passiert.

Christian Gutjahr-Dölls Wir sind eine gebundene Ganztagsschule und kriegen deshalb einen erhöhten Stellenanteil. Daran ist die Bedingung geknüpft, dass wir für die Schüler der Jahrgangsstufen fünf bis neun an mindestens drei Nachmittagen pro Woche Unterricht bis zur achten Stunde anbieten. Das war bisher nicht so. Damit einher geht der neue Hausaufgabenerlass als Ergebnis des Runden Tisches G8. Das müssen die Gymnasien in NRW umsetzen. Wir dürfen ab dem kommenden Schuljahr als gebundenes Ganztagsgymnasium keine schriftlichen Hausaufgaben mehr aufgeben. Das Problem daran ist, dass es bis dato so war, dass die Kinder aufgrund des G8-Systems länger in der Schule waren, weniger Zeit für Freizeitaktivitäten blieb. Dagegen liefen die Eltern Sturm. Ein Ergebnis des Runden Tisches ist, dass wir als Gymnasium Lernzeiten anbieten müssen, das heißt, in den Lernzeiten werden schriftliche Aufgaben erledigt, die früher Hausaufgaben waren. Wie das sich entwickeln wird, ist für uns sehr spannend.

Wie haben Sie dies konzeptioniert?

Gutjahr-Dölls Wir haben an drei pädagogischen Tagen ein Konzept für das kommende Schuljahr erarbeitet und uns dabei auch die Expertise der Eltern eingeholt. Das geht natürlich einher mit vielen anderen Fragen: Wie werden die Lernzeiten organisiert? Welche Regeln gibt es für Lernzeiten? Wie gehe ich mit Schülern um, die die Lernzeit stören? Welche Aufgaben bleiben dann noch für zu Hause? Das ist wichtig für die Eltern zu wissen.

Begrüßen Sie das Hausaufgabenverbot?

Gutjahr-Dölls Bei uns kommen die Kinder im Unterschied zum Halbtagsgymnasium, wo die Kinder nach der sechsten Stunde im Regelfall keine Schule mehr haben, oft erst um 15.30 Uhr oder später nach Hause. Wenn sie dann noch Hausaufgaben erledigen müssten, hätten sie keine Freizeit mehr. Deshalb begrüße ich das Konzept. Wie es ausgestaltet wird, ist jetzt unsere Aufgabe. Wir müssen auch austesten, wie wir mit der Heterogenität der Lerngruppen umgehen. Es gibt unterschiedliche Voraussetzungen, mit denen die Schüler nach der Grundschule hier ankommen. Es sind Schüler dabei, die nicht unbedingt für das Gymnasium geeignet sind. Da muss man schauen, wie sich das in der Erprobungsstufe entwickelt. Wir erleben es, dass wir eine immer heterogenere Schülerschaft bekommen. Es geht um Förderung. Wie fördere ich die, die Probleme haben? Wie fördere ich aber auch die, die stark sind, die sich über das normale Maß hinaus engagieren? Da hoffen wir auf das neue Lernzeitkonzept. Es soll auch Möglichkeiten bieten für begabte Schüler, sich besser einzubringen.

Die Landespolitik hat Ihnen mit dem Hausaufgabenerlass neue Vorgaben gemacht, die Sie jetzt schnell umzusetzen verpflichtet sind. Wie sehr nervt es einen Schulleiter, dass die Politik immer neue Regularien für Schulen erstellt? Würden Sie sich manchmal wünschen, dass mehr Vorschläge von Seiten des Schulministeriums gemacht werden, wie dies umzusetzen ist. Sie mussten drei pädagogische Tage investieren, jede Schule soll Schlüsse für sich ziehen. Ist das gut?

Gutjahr-Dölls Ja, ich würde mir manchmal wünschen, dass Dinge im Ministerium besser durchdacht sind auf die Konsequenzen, die das jeweilige Handeln hat. Ich denke an das Thema Inklusion oder die Umsetzung von G9 auf G8. Das kam viel zu schnell, und war in Teilen unüberlegt.

Wäre eine Rückkehr zu G9 sinnvoll?

Gutjahr-Dölls Ich denke nicht. Wir haben unsere Lernpläne dem G8-System angepasst. Wenn man das Rad jetzt zurückdrehen würde, von jetzt auf gleich zurück auf G9, dann wäre das falsch. Die Schulen müssen jetzt einfach mal weitermachen, nicht wieder alles umschmeißen und neu denken. Die Vereinbarung des Runden Tisches zu G8 setzen wir jetzt um - dann sehen wir, wo wir nachjustieren müssen. Was die Lernzeit angeht: Wir haben uns ja schon vorher auf den Weg gemacht, haben andere Schulen besucht. Man muss das Rad nicht immer neu erfinden.

Wo haben Sie sich informiert?

Gutjahr-Dölls Wir waren am Pascal-Gymnasium in Grevenbroich, am Gymnasium am Neanderthal in Erkrath und in Kaarst am Georg-Büchner-Gymnasium. Das hilft, einen Einblick zu bekommen. Viele Regeln konnten wir auf unser System übertragen.

Wenn Sie auf Ihre eigene Schulzeit blicken: Haben Sie manchmal das Gefühl, dass es heutige Schüler schwerer haben?

Gutjahr-Dölls Ja, in mancher Hinsicht schon, was aber auch mit dem Elternhaus zusammenhängt. Heute wird von den Eltern viel mehr Druck auf die Kinder ausgeübt, gute Noten mit nach Hause zu bringen. Die Kinder setzen sich aber auch selbst mehr unter Druck. Das hat auch mit der Situation an den Universitäten zu tun. Als ich vor 25 Jahren Abitur gemacht habe, da konnte man mit einem mittelmäßigen Abitur noch studieren. Heutzutage sind die Schüler auf exzellente Noten angewiesen.

Es gibt einen großen Konkurrenzkampf um die Studienplätze. Machen zu viele Schüler Abitur?

Gutjahr-Dölls Seit der Einführung des Zentralabiturs ist das Niveau gesunken. Die Abiturvorschläge, die zentral vorbereitet werden, sind für Gesamtschule und Gymnasium gleich. Ich würde nicht sagen, dass zu viele Leute Abitur machen. Wir brauchen Fachkräfte.

Aber solche Fachkräfte liefert ja auch ein System wie die Realschule.

Gutjahr-Dölls Ja, das stimmt. Man muss schauen, dass man Schüler auch berät, die nicht unbedingt erfolgreich am System Gymnasium arbeiten können, dass sie bessere Perspektiven an einer anderen Schule haben. Einige Schüler sind zu lange an unserer Schule. Das Problem ist, dass vor allem in Meerbusch die Eltern der Meinung sind, dass ihr Kind Abitur machen müsste. In Meerbusch beträgt die Übergangsquote von der Grundschule zum Gymnasium 68 Prozent, im Vergleich zum Landesschnitt von 55 Prozent. Manche Eltern sollten erkennen, dass bei Problemen in der Grundschule die Realschule die bessere Schulform ist.

Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für die Frage des dreigliedrigen Schulsystems in Meerbusch, das mit Auflösung der Hauptschule faktisch nicht mehr existiert?

Gutjahr-Dölls Die Realschule ist hier in Meerbusch absolut unverzichtbar. Allein für die Schüler, die das Gymnasium nach der Erprobungsstufe verlassen. Wir müssen die Realschule stärken. Sie gibt die Qualifikationen, die für Handwerker und andere Berufe relevant sind, aber nicht nur, sondern auch für Schüler, die andere Voraussetzungen mitbringen.

Zu Ihnen persönlich: Was macht Ihnen in Ihrem Job am meisten Freude?

Gutjahr-Dölls Die Kommunikation mit den Schülern, den Kollegen. Früher war ich Beratungslehrer und hatte ein enges Verhältnis zu den Schülern. Als ich den Job hier antrat, hatte ich die Sorge, dass ich diesen Kontakt verliere. Aber das ist glücklicherweise nicht passiert. Ich habe einen engen Kontakt zur SV. Personalentwicklung finde ich auch sehr spannend. Gerade befinde ich mich in Einstellungsgesprächen. Ich habe auch Mitarbeitergespräche hier eingeführt, einmal im Jahr.

Wie viel Prozent melden sich?

Gutjahr-Dölls Derzeit ca. 30 Prozent.

Wie viele wollen Sie?

Gutjahr-Dölls Ich würde mich freuen, wenn es irgendwann einmal 100 Prozent sind. Es geht darum, die Kollegen besser kennenzulernen; festzustellen, was die Kollegen für Potenziale haben, wie sie weiterkommen wollen. Da nehme ich mir immer eine Stunde Zeit. Da wird auch kein Telefonat durchgestellt. Die Gespräche sind wirklich sehr gewinnbringend. Man lernt sich besser kennen. Ich finde diesen Umgang mit Menschen äußerst wichtig. Wertschätzung hat für mich eine zentrale Bedeutung. Bei Lehrerkonferenzen gebe ich Kollegen, die etwas besonders gut gemacht haben, einfach mal einen Blumenstrauß. Als Schulleiter habe ich nicht viele Möglichkeiten, Wertschätzung auszusprechen. Ich kann das Gehalt nicht erhöhen, kann keinen Sonderurlaub geben. Ich kann es durch Gesten machen. Das ist dafür umso wichtiger.

SEBASTIAN PETERS FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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