Meerbusch Jan Weiler über Wölli

Meerbusch · "Wölli wird im Himmel einen gehörigen Radau machen", schreibt der Meerbuscher Autor Jan Weiler. Seine Erinnerungen an einen ewigen Punk.

Nachdem der erste Drummer Trini Trimpop vom Schlagzeughocker auf den Bürosessel wechselte, benötigten die Toten Hosen einen brauchbaren Ersatz und Campino lud den Ex-Freund seiner Schwester Beate zum Vorspielen ein. Wölli Rohde reiste aus Berlin an und überzeugte - obwohl er auf Anhieb so gar nicht zu den Hosen passen wollte. Er trug nämlich eine Lederhose und es wurde ihm beschieden, dass er diese bitteschön zukünftig im Schrank zu lassen habe. Wölli war außerdem eigentlich zu alt - bald 15 Jahre älter als das jüngste Bandmitglied - und hatte eine veritable Hippie-Karriere hinter sich.

Geboren 1950 in Kiel war er nach einer Elektrikerlehre vor der Bundeswehr geflohen und schlug sich in Berlin durch, wo er auf der Straße Silberschmuck verkaufte, öffentlich auf Bongos trommelte und mit Freunden Dachböden zu Wohnungen ausbaute. Eine Musikerkarriere stand nicht auf dem Zettel, auch wenn er bei diversen Bands trommelte und sich zumindest in der Berliner Subkultur einen Namen machte. Beim Vorspielen in Düsseldorf überzeugte Wölli durch gradlinige Präsenz am Schlagzeug und vor allem charakterlich: Den Altersunterschied bügelte er locker durch fröhlichen Anarchismus und eine unerschrockene Trinkfestigkeit wieder aus, die ihm den wunderbaren Aliasnamen "Kirschwasserkönig" eintrug, als welcher er dann auf mehreren Platten firmierte. Man kann sagen: Wölli Rohde war unvernünftig genug für die Toten Hosen. Und er blieb dann zwölf Jahre in der Gruppe, auch wenn Schlagzeuger manchmal der härteste Job ist in so einer Band.

Drummer befinden sich meistens nur hälftig sichtbar hinter ihrem Instrument und dann auch noch im Bühnenhintergrund. Das muss man aushalten können, denn die Blumen (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne) fliegen einfach nie so weit, dass der Drummer eine fangen könnte. Auch konditionell ist der Schlagzeuger bei Weitem am meisten gefordert, besonders in einer Band, die vor allem schnelle Achtel verlangt. Und noch schnellere Achtel. Und ganz schnelle Achtel. Der Job eines Schlagzeugers bei den Toten Hosen war - besonders in den 80er und 90er Jahren - wirklich ein Knochenjob, besonders wenn man die nachkonzertlichen gesellschaftlichen Verpflichtungen zu den Strapazen eines Auftritts hinzuaddiert.

Aber Wölli Rohde meisterte die Aufgabe, auch wenn man ihm die körperliche Anstrengung ab Mitte der neunziger Jahre manchmal ansah. Auf Konzertvideos aus jener Zeit erscheint er an manchen Stellen wie eine menschgewordene Durchhalteparole. Hier und da bekam er im Konzert Verschnaufpausen in Form von langsameren Stücken zugestanden, doch irgendwann machten die Bandscheiben nicht mehr mit, die Tourneen wurden für ihn zur Qual. Aber aufhören kam für Wölli zunächst nicht in Frage. Er liebte die Bühne, die Fans, den Reisespaß und natürlich die Jungs.

Diese hielten sich an ihr Versprechen, demzufolge niemand bei den Hosen rausfliegt, weil er auf musikalischer Ebene nicht mehr mithalten kann. Dieser Gründungsmythos hatte sogar Bestand, als die Band hochgradig professionalisiert und die Handgelenksknochen des Drummers so abgerieben waren, dass er nicht mal mehr eine Faust schmerzfrei ballen konnte. Ein Match über 120 Minuten plus Verlängerung war einfach nicht mehr drin. Seine Freunde überließen ihm diese schmerzliche Einsicht, niemand drängte ihn zur Aufgabe.

1998 beschloss man gemeinsam den allmählichen Übergang von Wölli zu Vom. Wölli sollte auf der Tournee noch die Zugaben spielen und sich auf diese Weise vom Publikum verabschieden können. Auf "Unsterblich" spielte er ebenfalls noch mit, bei den langsameren Liedern. Aber so sanft wie erhofft, gelang die Staffelübergabe dann nicht. "Mein Unfall hat uns die Entscheidung aus der Hand genommen," hat er mir einmal erzählt. Wölli rutschte eines Morgens, kurz vor einem Auftritt in Dortmund, mit seinem Auto über nasses Laub, stieß mit einem anderen Fahrzeug zusammen und brach sich sämtliche Knochen in den Beinen. Monatelange Reha und eine Sicherheit: Die Sache mit dem Schlagzeug war endgültig erledigt, Rückkehr absolut ausgeschlossen.

Wölli zog sich nach Lank zurück, förderte den musikalischen Nachwuchs, organisierte Festivals, zog ein eigenes Label auf und gründete als Sänger eine neue Band. Und auch privat verhielt er sich nach wie vor wenig altersgerecht. Er empfing keineswegs in die Wohnung eines gesetzten Herrn mit Vergangenheit, sondern in eine Art gehobene Studentenbude. Bei einem meiner Besuche stand ein riesiger Schinken auf einem Gestell in der Küche, von dem Wölli, der gerne gut aß, stundenlang winzige Fitzelchen abhobelte, während er unfassbare Geschichten erzählte. Wie er einmal bei einem Festival der blöden Band "Europe" in die Monitorboxen schiffen wollte. Wie sie einmal auf Pilzen in einem Vergnügungspark herumirrten, wie er sich in Zürich vergeblich die Stöcke mit Gaffatape an die Handgelenke klebte, weil er wie die Anderen so bedröhnt war, dass er sie dauernd verlor (genutzt hat es nichts. Das Konzert wurde abgebrochen). Er erzählte aber nicht nur von der Vergangenheit. Manchmal wischte er sie einfach weg: "Sooo spektakulär war's nun auch wieder nicht", sagte er dann und spielte neue Songs. Er plante ständig, freute sich auf den Auftritt in Wacken oder die Reise nach Süddeutschland, nahm immer noch mehr in Angriff, immer positiv, immer neugierig und unter Volldampf. Das änderte sich auch nicht, als er seine Krebsdiagnose erhielt. Er wolle den Krebs in den Arsch treten, sagte er mir. Und wenn er der Erste sei, dem das gelänge. Er kämpfte, so wie er manchmal Jahre zuvor am Schlagzeug gekämpft hatte.

Und er machte auch noch einmal bei den Toten Hosen mit. Auf der letzten Platte pfiff er das Intro für das Ärzte-Cover "Schrei nach Liebe." Das hatten die anderen vergeblich versucht und schließlich bei ihm angerufen, weil er im Ruf stand, ein astreiner Pfeifer zu sein. Er kam ins Studio, pfiff und ging wieder, nicht ohne sich herzlich von "Euch Pfeifen" zu verabschieden.

Immer, wenn ich in Lank auftrat, kam er in der Garderobe vorbei, nach dem Rechten sehen, wie er das nannte. Beim letzten Mal im Herbst sagte er aber ab. Chemo. Er fühle sich nicht gut und bitte um Verständnis. Da ahnte ich schon, dass es nicht mehr werden würde.

Ob der Krebs nun gewonnen hat, ist nicht sicher - denn Wölli wird im Himmel einen gehörigen Radau machen, die Engel bestens unterhalten, dem lieben Gott auf die Nerven gehen und am Ende der Krankheit eine lange Nase drehen. Das muss uns als Trost reichen. Wir haben einen wundervollen Menschen verloren.

Wolfgang "Wölli" Rohde verstarb nach langer schwerer Krankheit am 25. April in Meerbusch.

(RP)
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