Ulla Bundrock-Muhs "Meerbusch ist keine Heile-Welt-Stadt"

Meerbusch · Die frühere Lehrerin, Beraterin und Jugendexpertin hat sich dafür eingesetzt, dass Meerbusch als Modellkommune die politische Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, Partizipation genannt, fördert. Das erste inhaltliche Projekt ist in Arbeit

 Entwickelt mit Kindern und Jugendlichen in Meerbusch politische Partizipations-Projekte: Ulla Bundrock-Muhs

Entwickelt mit Kindern und Jugendlichen in Meerbusch politische Partizipations-Projekte: Ulla Bundrock-Muhs

Foto: christoph Reichwein

Kinder entwickeln mit Ihnen einen Skatepark - Ist das schon Partizipation?

Bundrock-Muhs Natürlich, denn genau darum geht es: dass sich Jugendliche ihre eigenen Gedanken darüber machen, was sie wollen und dass sie einen Weg finden, genau das zu realisieren.

Wie funktioniert das im Detail?

Bundrock-Muhs Die Grundschüler und Schüler der 5./6. Klasse, die die Idee zu einem Skaterpark entwickelt haben, habe ich über die Bürgermeisterin kennengelernt, bei der sie vorgesprochen haben. Weil mir die Partizipation schon seit Jahren am Herzen liegt und ich sie bereits Ende der 90er Jahre umgesetzt habe, haben wir uns zusammengesetzt.

Und diese jungen Jugendlichen planen jetzt einen Skaterpark?

Bundrock-Muhs Genau, wir treffen uns einmal in der Woche im JuCa in Osterath, da ich mit dem OBV e.V. kooperiere, der den offenen Ganztag im gesamten Stadtbereich und das JuCa betreut. Die ersten Zeichnungen sind bereits fertig.

Wie geht das Projekt weiter?

Bundrock-Muhs Es gibt ein Flächenangebot der Stadt, aber die Schüler haben sich eine Fläche ausgesucht, die sie für den Skaterpark als die beste empfinden. Die gehört aber einem Unternehmen. Die Kinder haben jetzt einen handgeschriebenen Brief an dieses Unternehmen geschickt und laden einen Vertreter zum Gespräch.

Was glauben Sie? Kommt der?

 Gemeinsam entwickeln die Schüler mit Ulla Bundrock-Muhs einen Skaterpark. Die Zeichnungen sind fertig, ein Platz ist auch gefunden. Der gehört aber einer Firma, mit der die Schüler jetzt verhandeln wollen.

Gemeinsam entwickeln die Schüler mit Ulla Bundrock-Muhs einen Skaterpark. Die Zeichnungen sind fertig, ein Platz ist auch gefunden. Der gehört aber einer Firma, mit der die Schüler jetzt verhandeln wollen.

Foto: Ulli Dackweiler

Bundrock-Muhs Ich hoffe doch sehr. Denn dass sich die Kinder für ihre Idee einsetzen, dass sie versuchen, das Unternehmen auf ihre Seite zu ziehen, ist ja Teil unseres Partizipations-Projekts.

Und wenn die Firma die Fläche nicht abgibt?

Bundrock-Muhs Dann müssen wir weitersuchen. Aber erst mal wollen die Kinder für ihre beste Lösung kämpfen.

Das ist aber nicht das einzige Projekt in Ihrem Partizipations-Modell.

Bundrock-Muhs Nein, auf mich sind auch Jugendliche zwischen 16 und 19 Jahren aus verschiedenen Schulen herangetreten, denen in Meerbusch ein bisschen langweilig ist und die unbedingt eine bessere Anbindung mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) haben wollen.

Was können Sie mit denen entwickeln?

Bundrock-Muhs Das müssen wir jetzt gucken. Wir werden uns wahrscheinlich auch einmal in der Woche treffen. Den jungen Leuten geht es darum, dass sie verkehrstechnisch anders zurecht kommen. Und es wird Ideen geben gegen die Langeweile aus ihrer Sicht in einer Stadt, in der es eigentlich alles gibt.

Also gibt es demnächst ein Jugendtaxi, gerufen über WhatsApp, finanziert von den Eltern? Oder sogar chauffiert von den Eltern?

Bundrock-Muhs (lacht) Vielleicht. Eine gute Idee. Aber die Ideen sollen die Jugendlichen ja schließlich selbst entwickeln.

Partizipation klingt ein bisschen bürokratisch - was genau steckt dahinter?

Bundrock-Muhs Seit vielen Jahren beschäftige ich mich mit Kindern und Jugendlichen, vor allem vielen, die in sozial benachteiligten Verhältnissen leben. Ich weiß, dass ein Sechstel aller Jugendlichen sich bereits von der Gesellschaft abgekoppelt hat.

Das bedeutet? Sie sitzen nur noch an der Playstation, schreiben SMS, chatten im Netz...

Bundrock-Muhs Genau, und nehmen nicht aktiv am richtigen Leben draußen teil. Sie finden dann die Stadt, in der sie leben, nicht gut, haben negative Erfahrungen mit Behörden und Schulen gemacht und glauben den Erwachsenen einfach nicht mehr.

Und genau die wollen Sie mit ihrem aktuellen Partizipations-Projekt ansprechen?

Bundrock-Muhs Die und andere natürlich. In Meerbusch gibt es sie alle - diese Stadt ist keine Heile-Welt-Stadt, wie immer alle behaupten. Ich werde gerne auch mit den weiterführenden Schulen Kontakt aufnehmen, inwieweit dort schon Jugendliche eingebunden werden und was man noch tun kann.

Sie arbeiten schon länger mit Jugendlichen, die dann ihre Pläne und Vorstellungen auch Politikern vorstellen. Wie reagieren die Kommunalpolitiker in Meerbusch?

Bundrock-Muhs Sehr aufgeschlossen. Hier hat auch keiner Angst, dass ihm selbst dadurch Macht weggenommen wird - im Gegenteil. Die Gespräche waren bislang immer gut für beide Seiten.

Für beide Seiten?

Bundrock-Muhs Ich bin der Meinung, dass Partizipation eine Win-win-Situation ist: Die Jugendlichen lernen, für ihre Ideen einzustehen, Briefe zu schreiben oder vor einer Gruppe zu reden, werden dadurch sogar ein bisschen politisiert. Davon profitieren dann auch Politiker.

Inwiefern?

Bundrock-Muhs Auch die Parteien haben Nachwuchssorgen. Es kann doch sein, dass die politischen Funktionäre auf diesem Weg Jugendliche ,entdecken', die sie dann im Laufe von Jahren für politische Arbeit begeistern können.

Und Jugendliche haben keine Scheu, sich mit Kommunalpolitikern zu unterhalten?

Bundrock-Muhs Nein, gar nicht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder und Jugendliche sich sehr gerne und gut engagieren - dafür müssen sie aber von Erwachsenen an die Hand genommen werden. Wichtig bei Jugendlichen ist, dass ihr Engagement effizient ist, dass schnell etwas Konkretes dabei herauskommt.

Steht auch die Stadt Meerbusch hinter Ihrem Projekt?

Bundrock-Muhs Natürlich. Ich habe mit der Bürgermeisterin im Vorfeld gesprochen, die das Projekt für diese Stadt von Anfang an unterstützt hat und sich mit der Kommune auf den Weg macht. Mit dem Jugendamt arbeite ich sehr gut zusammen.

Aber Geld kommt von der Seite nicht?

Bundrock-Muhs Nein, dafür aber vom Landesjugendamt des Landschaftsverbands Rheinland.

Wie viel Geld zahlen sie Ihnen?

Bundrock-Muhs Sie halten unser Projekt schon mal für förderungswürdig und finanzieren uns bis Ende März mit 25 000 Euro.

Das reicht dann wofür?

Bundrock-Muhs Na, mal gerade für die Koordinierungsarbeit und unsere Bürohilfe, die eine Dokumentation führt.

Also bräuchten Sie eigentlich noch mehr Geldgeber?

Bundrock-Muhs Das wäre natürlich schön. Ich verhandele gerade mit einem Sponsor über die Anschlussfinanzierung. Wenn das Projekt nur bis März läuft, können wir vielleicht nicht alle Ideen umsetzen.

Welche Laufzeit wäre ideal?

Bundrock-Muhs Es wäre gut, wenn wir vier oder fünf Jahre mit den jungen Leuten zusammenarbeiten könnten. Über einen längeren Zeitraum kann man wirklich etwas nachhaltig auf die Beine stellen. Und wenn es dann am Ende einen Bildungskongress zum Thema Partizipation in der Modellkommune Meerbusch gäbe...

ANKE KRONEMEYER FÜHRTE DAS INTERVIEW

(RP)
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