Meerbusch Nierst, die wahre Rosenmontags-Hauptstadt

Meerbusch · Der Höhepunkt der Karnevalssession ist in dem 1400-Einwohner-Dorf ein Phänomen: Hier gibt es den längsten Umzug der Welt

Jecken feiern beim Rosenmontagszug in Meerbusch
26 Bilder

Jecken feiern beim Rosenmontagszug in Meerbusch

26 Bilder

Eigentlich muss man im Nierster Karneval nur zwei Sachen beachten. Erstens: Alle duzen sich. Zweitens: Rosenmontag in Düsseldorf oder Köln oder irgendwo sonst auf der Welt zu feiern, geht gar nicht. "Never ever", also niemals nie, sagt Dagmar, die Piratin. Sie hat ein paar Mädels in ihre Küche eingeladen. Auf dem Tisch stehen Kaffee, Sekt und Rhabarber-Schnaps. Am Fenster hängen Krawattenfetzen vom Rathaussturm in Büderich an Altweiber. Auf der Straße ziehen eine Giraffe, zwei bärtige Prinzessinnen und der Papst vorbei. Neesch Helau.

Warum sie nicht in Düsseldorf feiern, da sie von ihrer Straße aus doch sogar den Fernsehturm sehen? "Zu voll und zu eng", sagt Gabi, das Schaf. "An die Klos und das Bier kommt man da auch nicht ran, und da muss man auch überall so lange anstehen." Den Stress tut man sich hier nicht an.

Karneval in Nierst ist gemütlich. Und so geht der Tag ganz gediegen um 9.15 Uhr los. Dann starten die elf Gruppen, die in den vergangenen drei Monaten ihre Wagen gebaut haben, an der ehemaligen Dorfschule. Anschließend ziehen sie das erste Mal durchs Dorf. "Morgens geht's linksrum", erklärt Andreas von der Wagenbaugruppe Pütz.

Und obwohl der Tross — plus Spielmannszug und Blaskapelle aus Holland — nicht sonderlich groß ist, bilden sie den längsten Rosenmontagszug der Welt. Der erste Part dauert länger als drei Stunden, denn an jedem Haus bleibt die Gruppe stehen. Ein Nachbar holt einen Tisch raus und bietet Schnaps an. Da kann keiner Nein sagen.

Zugführer Heiner und Pajas Tobias (ein Clown, der Bratwürste für die Party am Abend im Festzelt an der Feuerwehr sammelt) legen sich auf den Tisch. Fahnenschwenker Thomas steigt dazu und schwenkt die Fahne der Karnevalsgesellschaft Kött on Kleen. Für die Dauer eines Liedes, am liebsten das von Neil Diamond gedichtete "Sweet Caroline", tanzen Prinz Christian I. und seine Minister in einer Polonaise um den Tisch herum und marschieren weiter bis zum nächsten Haus. Da beginnt das Spiel von vorn.

In der Mittagspause ziehen sich die Wagenbauer mit ihren Gruppen in einen Partykeller ihrer Wahl zurück. Sie essen Suppe, Braten, Kartoffeln, Erbsen und Möhrchen, trinken ein, zwei Altbier, und dann geht es wieder rauf auf die Wagen. "Nachmittags geht's rechtsrum", sagt Andreas. Das Spiel kennen sie in Nierst. Und es ist ein tolles Spiel. "Alle machen mit", sagt Dagmar, die Piratin. "Und wer nicht mitmachen will, der fährt in Urlaub."

Aber er wäre ein Narr. Oder eine Frau, die sich ausgeschlossen fühlen könnte. Denn die Karnevalsgesellschaft ist nur etwas für Männer. Auch unter den Wagenbauern sind keine Frauen erlaubt. "Vor ein paar Jahren wollten wir mal einen Wagen bauen", sagt Dagmar. Aber keiner der Landwirte wollte ihnen einen Traktor leihen. Und so ergaben sie sich wieder ihrem Schicksal: Schnaps ausschenken. "Es geht nicht, dass wir die in der Gesellschaft haben, schließlich war das früher mal ein reiner Junggesellenverein", begründet Andreas von der Wagenbaugruppe Pütz. "Aber ohne die Frauen wäre der Zug nur die Hälfte wert — einer muss uns ja mit Schnaps versorgen." So hat jeder seine Aufgabe in Nierst, der wahren Rosenmontags-Hauptstadt. Elf Wagen bei 1400 Einwohnern — würde man das auf Düsseldorf übertragen, müssten dort 4668 Wagen im Rosenmontagszug mitziehen.

Nach der Rechtsrum-Tour am Nachmittag endet der Zug aber nicht erneut in einem der vielen Partykeller, sondern auf den Bauernhöfen. "Die Tour über die Höfe ist das Beste", sagt Gabi. Die Männer waren schon am Freitagabend hier, da der Prinz und sein Gefolge in den Scheunen die Wagen begutachteten. Und sie taten nicht nur so, wie das an Karneval manchmal üblich ist, als ob sie begeistert wären: Sie waren es wirklich. Ein riesiger Kobold, der sich in einem Topf aus Gold um die eigene Achse dreht, ein Westernsaloon und eine Dampflok, eine Ritterburg und das Pariser Varieté Moulin Rouge — das ist für Hobby-Wagenbauer schon sehr, sehr gut, was die Nierster sich da zusammenzimmern. Für die Mannschaft mit dem besten Wagen, den die Gruppen untereinander wählen, gibt es Freibier. Oder Freischnaps? Jedenfalls irgendwas mit Alkohol.

Am Abend, nachdem die Männer und Frauen die Höfe unsicher gemacht haben, kehren sie zurück in die Dorfmitte. Dann treffen sich alle im Festzelt an der Feuerwehr — und wer nicht dabei ist, der ist entweder kein Nierster, oder nach dem Party-Marathon seit dem frühen Morgen zu schlapp. Aber dafür wurden ja die Bratwürste eingesammelt, die die Nachbarn brüderlich und schwesterlich untereinander aufteilen. Neesch Helau.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort