Altenheime in Meerbusch geschlossen Pflege: "Es wird kollektiv weggeschaut"

Meerbusch · Die Schließung von zwei Altenheimen in Meerbusch hat die Diskussion um eine würdige Pflege neu entfacht. Experte Claus Fussek hält die Kontrollen der Medizinischen Dienste für zu lasch und fordert strafrechtliche Konsequenzen.

 Der Senioren-Wohnpark in Meerbusch ist vom Rhein-Kreis Neuss wegen angeblich mangelhafter Pflegeleistungen geschlossen worden. Die Angehörigen der Bewohner sind entsetzt.

Der Senioren-Wohnpark in Meerbusch ist vom Rhein-Kreis Neuss wegen angeblich mangelhafter Pflegeleistungen geschlossen worden. Die Angehörigen der Bewohner sind entsetzt.

Foto: Endermann, Andreas

Der Entzug der Betriebserlaubnis für den Seniorenwohnpark Meerbusch und das benachbarte Altenheim Medina wegen gravierender Pflegemängel ist für den Münchner Pflege-Experten Claus Fussek nur die Spitze des Eisbergs. In vielen Altenheimen herrschten ähnlich desolate Zustände. Dahinter stecke ein systematisches Versagen sämtlicher an der Pflege eines Menschen beteiligten Personen. "Es liegt daran, dass alle kollektiv wegschauen", sagt Fussek, der gerade zusammen mit Gottlob Schober das Buch "Es ist genug! Auch alte Menschen haben Rechte" veröffentlicht hat. "Würden Heimaufsicht, Pflegekräfte, Ärzte, Therapeuten, Reinigungskräfte und Angehörige einfach die Augen aufmachen, dann könnte es zu solchen Missständen nicht kommen."

"Kontrollen müssen ehrlich sein"

Fussek hält etwa die Kontrollen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) für nicht ausreichend. Zum einen stehe und falle die Qualität der Prüfung mit dem eingesetzten Personal, zum anderen sei die Notenvergabe vollkommen aussagelos. "Das ist absurd", empört sich Fussek. "Natürlich brauchen wir Kontrollen, aber sie müssen ehrlich sein." Gerade diese Notenvergabe wird auch von den MDK selber kritisiert. Im Schnitt erreichen die rund 12 000 Altenheime in Deutschland die Note 1,2. Dies liege daran, dass über eine Transparenzvereinbarung geregelt ist, dass auch die Träger der Altenheime mit an einem Tisch sitzen, wenn es darum geht, die Schlussnote zu gewichten, sagt Jürgen Brüggemann vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) in Essen. "Würden andere Kriterien als bisher dafür herangezogen, würden diese Noten wohl schlechter ausfallen." Bis Einrichtungen wie die Altenheime in Meerbusch mit "mangelhaft" bewertet würden, müssten über einen längeren Zeitraum schon eklatante Mängel vorliegen.

Der MDK ist gesetzlich dazu verpflichtet, jedes Altenheim einmal im Jahr unangekündigt zu überprüfen. Mindestens zwei pflegeerfahrene Mitarbeiter würden dafür eingesetzt, sagt Brüggemann. Dabei geht es darum, strukturelle Prozesse zu bewerten — etwa Konzepte, bauliche Gestaltung oder Mitarbeiterumgang —, aber auch die konkrete Pflege. Nach dem Zufallsprinzip werden zehn Prozent der Heimbewohner ausgewählt und, wenn diese oder die Angehörigen einwilligen, genau unter die Lupe genommen. "Das passiert sehr differenziert", sagt Brüggemann, "und bezieht sich nicht nur auf die Pflegedokumentation." So werde mit den Bewohnern gesprochen, ihr Ernährungs- und Gesundheitszustand kontrolliert, die Gestaltung des Zimmers bewertet sowie zum Beispiel die Bereitstellung von mobilen Hilfsmitteln. Am Ende steht ein Gespräch mit den Mitarbeitern.

Die Prüfer erstellen anschließend einen Bericht, der den Krankenkassen als Grundlage dient, um Verbesserungen zu fordern oder im Härtefall die Zusammenarbeit aufzukündigen. "Schließen kann ein Heim nur die kommunale Heimaufsicht", erklärt Brüggemann. In Meerbusch ist die Heimaufsicht laut Angaben des Kreises 36-mal vor Ort gewesen, um Mängel zu überprüfen. Für Pflege-Kritiker Fussek beschreibt dies genau das Problem. "Hier haben auch die Kontrollbehörden versagt. Warum dauert das so lange, obwohl es alle gewusst haben? Dort haben doch viel zu viele Personen ihre Verantwortung für pflegebedürftige, hilflose Menschen nicht wahrgenommen. Das muss die Staatsanwaltschaft nun übernehmen."

"Die Schicksalsfrage der Nation"

Fussek verlangt nicht nur im Fall Meerbusch, sondern generell strafrechtliche Konsequenzen. Eigentlich müsse jetzt aber jemand den Rücktritt des NRW-Sozialministers fordern, und sei es nur symbolisch. "Stattdessen schweigen alle, obwohl die schlechten Rahmenbedingungen in der Pflege allen bekannt sind", sagt Fussek. MDS-Mann Jürgen Brüggemann sieht durch die regelmäßigen externen Kontrollen der Altenheime zumindest einen gewissen Qualitätsstandard in der Pflege gegeben. Die Heime würden mittlerweile konzertiert einzelne beanstandete Themen aufgreifen und intern aufarbeiten.

Fussek reicht das nicht. Ohne Kontrollen geht es seiner Meinung nach zwar auch nicht, und ein mängelfreies Altenheim sei auch kaum zu erreichen. "Aber die Versorgung der alten Menschen ist die Schicksalsfrage der Nation", sagt er. "Wenn das funktionieren soll, müssen alle ganz genau hinsehen."

(RP)
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