Meerbusch Rheindeich: "1920 hat uns wachgerüttelt"

Meerbusch · Anfang der 20er Jahre brach der Rheindamm in Büderich. Große Teile des heutigen Meerbuschs wurden überflutet. Daraufhin schlugen die Deichverbände Alarm und verbesserten den Hochwasserschutz - ein Lernprozess von 94 Jahren

 Januar 1920: Das Hochwasser erreicht Lank. Im Bild zu sehen ist die Hauptstraße mit einem Ponton-Boot der belgischen Besatzungsarmee.

Januar 1920: Das Hochwasser erreicht Lank. Im Bild zu sehen ist die Hauptstraße mit einem Ponton-Boot der belgischen Besatzungsarmee.

Foto: Heimatkreis Lank/RP-Archiv: Boris Schmidt

Die Meerbuscher Deiche haben im vergangenen Jahrhundert viel aushalten müssen. Nicht nur bedrohlich hohe Pegelstände des Rheins, auch Dammbrüche und Flutkatastrophen haben auf der linken Rheinseite in der Vergangenheit schwere Schäden angerichtet und Spuren hinterlassen. "Die 1920er Jahre waren besonders schlimm", sagt Friedrich von der Leyen, Deichgräf und Vorsitzender des Deichverbandes Meerbusch-Lank. Der 15. Januar 1920 gilt als Zäsur für die Meerbuscher. "Das war furchtbar", sagt von der Leyen. "Aber das hat uns wachgerüttelt. Da haben wir erkannt, wie wichtig der Deich ist."

 Juni 2013: Ein Hochwasser überflutet den Campingplatz.

Juni 2013: Ein Hochwasser überflutet den Campingplatz.

Foto: T. Nachtigal

Ein Blick zurück, zum Tag der Katastrophe: Lang anhaltender Regen und große Schmelzwassermengen lassen den Rheinpegel auf den höchsten Stand seit Jahrzehnten ansteigen: 10,89 Meter. An der Grenze zwischen Büderich und Ilverich, im Bereich der Bewässerungsschleuse, hält der Damm dem gewaltigen Druck nicht mehr stand und bricht. Das Schleusenbauwerk wird einfach weggesprengt, zurück bleiben nur Ruinen, die noch heute zu sehen sind. Vom Büdericher Ufer bahnt sich das Wasser unaufhaltsam seinen Weg und überschwemmt die Dörfer Ilverich, Langst-Kierst und Nierst vollständig sowie Teile von Büderich, Lank-Latum und Strümp. Häuser stehen bis zum ersten Stock unter Wasser, Straßen und Wege sind unpassierbar, Straßenbahnschienen hängen über dem weggespülten Boden in der Luft. Ein beängstigender Anblick bietet sich den Menschen auf der Straße. "So weit das Auge reichte, sahen wir nichts als eine wildbewegte Wasserfläche", schildert eine junge Niersterin damals in einem Brief an ihre Freundin. "Die Bäume standen bis an die Kronen unter Wasser. Den ganzen Tag standen wir am Fenster und sahen den Wellen zu, die klatschend gegen die Mauer trieben. Die einzige Abwechslung brachten die Kähne und Flöße, auf denen die Männer den Leuten die nötigen Lebensmittel brachten."

 Oktober 2011: Spatenstich für die Deichsanierung Büderich.

Oktober 2011: Spatenstich für die Deichsanierung Büderich.

Foto: Boris Schmidt (bss)

Die Angst vor weiteren Überschwemmungen war groß. Nach der großen Flut wurde der Hochwasserschutz forciert, wurden die Dämme verstärkt und die Deiche höher gebaut - und das genau zum richtigen Zeitpunkt. 1926 kam das Jahrhunderthochwasser, das am 1. Januar mit einem Rheinpegel von 11,10 Metern seinen Höhepunkt erreichte. In vielen Abschnitten waren die Deiche inzwischen erhöht worden, so dass im Gebiet des heutigen Meerbusch, im Gegensatz zu anderen Städten wie Neuss, kein Schaden entstand. Die Wasserhöhe von 1926 ist seitdem als "Bemessungshochwasser" für die Dimensionierung einer Deichanlage festgeschrieben. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Deiche nicht weiter erhöht. Der Rheinpegel erreichte bis in die 1990er Jahre nie wieder die Zehn-Meter-Marke.

Doch 1993 wird die Lage abermals bedrohlich: Die fünffache Menge des für diese Jahreszeit üblichen Regens verursacht erstmals nach 1926 wieder einen Pegelstand von 10,24 Metern. Aber die Lage bleibt beherrschbar, der Deich hält. Nur zwei Jahre später, am 26. Januar 1995, gilt für Meerbusch Warnstufe Eins, Pegelstand 10,32 Meter. Es werden erste Notfallpläne ausgearbeitet und zwei Tage später sogar Warnstufe Zwei ausgerufen. Die Feuerwehr bereitet Sandsäcke für den Notfall vor, und Deichpatrouillen sind rund um die Uhr im Einsatz. Vereinzelte Deichabschnitte werden als "gefährdet" eingestuft und eilig ausgebessert. Fazit: Der Deich hat wieder gehalten, aber immer mehr Menschen sind beunruhigt über die potenziellen Schwachstellen und fordern die rasche Sanierung der Meerbuscher Deiche. "Ab diesem Zeitpunkt begann die technische Planung" erinnert sich Deichgräf von der Leyen. Die letzten baulichen Maßnahmen wurden jedoch erst im vergangenen Jahr abgeschlossen. "Bauen geht immer schnell", so von der Leyen. "Aber die Vorplanung dauert ewig."

Der Rheindeich auf Meerbuscher Stadtgebiet ist 10,7 Kilometer lang. An der Stadtgrenze zu Krefeld beginnt der Lanker Rheinbogen. Er erstreckt sich über eine Länge von 7,9 Kilometern bis zum Modellflugplatz am Apelter Weg - der Verbandsgrenze zur Neuen Deichschau Heerdt, die für das zweite Teilstück, den Büdericher Deich mit einer Länge von 2,8 Kilometern, verantwortlich ist. Vom Apelter Weg verläuft der Deich bis an die Stadtgrenze zu Düsseldorf, nach Lörick.

Den Vorsitz des jeweiligen Deichverbandes hat der Deichgräf. Friedrich von der Leyen ist für den Lanker Rheinbogen zuständig, Deichgräf Claus Henning Rolfs für den Büdericher Abschnitt. Als Deichgräfen überwachen beide die regelmäßige Pflege und Kontrolle ihrer Deiche. "Ein Deich muss schließlich fehlerfrei sein", sagt Claus Henning Rolfs. "Das Bewusstsein dafür kommt immer dann, wenn man noch gerade so davongekommen ist. Das war 1995 der Fall. Der Umbau war das Resultat eines Lernprozesses."

Nach der Sanierung, die für den Lanker Rheinbogen knapp 32 Millionen Euro und für den Büdericher Deich rund 17 Millionen Euro gekostet hat, ist der Hochwasserschutz am Meerbuscher Rheinufer auf einheitlichem Niveau und für künftige Spitzenpegel gerüstet. "Alle denkbaren Anforderungen sind erfüllt", sagt Rolfs. Der alte Deich stammte aus den 1920er Jahren und bestand hauptsächlich aus Sand - kein ausreichender Schutz gegen ein Jahrhunderthochwasser. Auch ein Deichverteidigungsweg, von dem aus Helfer schnell zum Gefahrenort gelangen könnten, fehlte.

Der neue Deich hat dagegen eine Drei-Zonen-Struktur. Das Material des alten Deichs wurde zunächst abgebaggert und neu aufgebracht. Im Kern des Deiches gibt ein Stützkörper aus Kies der Konstruktion Stabilität. Für die Rheinseite des Deiches wurde wasserundurchlässiger Lehm verbaut, damit bei einem hohen Pegel kein Wasser unterhalb der Oberfläche in den Hügel eindringen kann. Auf der Landseite dient eine wasserdurchlässige Mischung aus Kies und Sand dazu, dass Wasser im Falle einer Überflutung nicht eingeschlossen wird. Über diesen sogenannten Drainkörper verläuft außerdem der Deichverteidigungsweg. Der Hochwasserschutz wurde dazu um etwa 20 Meter verbreitert und um 50 Zentimeter erhöht. Der neue Deich hat eine Höhe von 11,75 Meter, plus einen weiteren Meter "Sicherheitsmaß", etwa bei Wellenschlag. "Der Deich kann außerdem einem Wasserdruck von 14 000 Kubikmeter pro Sekunde standhalten", sagt Rolfs.

Mit der Sanierung sollte nicht nur ein besserer Schutz vor Hochwasser erzielt werden, sondern auch eine optische Aufwertung der Rheinfront. Über weite Strecken führt nun auch ein Radweg über die Deichkrone. "Das Wichtigste ist jedoch", sagt von der Leyen, "dass sich die Katastrophe aus dem Jahr 1920 nicht wiederholen kann."

(RP)
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