Joëlle Bouillon im Interview Stromkonverter: "Suche hat begonnen"

Meerbusch · Die Suche nach Standorten für den Stromkonverter läuft. Stadt und Bürger sind verärgert, weil Stromnetzbetreiber Amprion ein wesentliches Kriterium nicht berücksichtigt: die Zahl der betroffenen Menschen. Jetzt nimmt der Konzern Stellung

 "Wir suchen auf jeden Fall nach einem Standort, bei dem ein möglichst großer Abstand zur Wohnbebauung eingehalten werden kann", betont Amprion-Sprecherin Joëlle Bouillon.

"Wir suchen auf jeden Fall nach einem Standort, bei dem ein möglichst großer Abstand zur Wohnbebauung eingehalten werden kann", betont Amprion-Sprecherin Joëlle Bouillon.

Foto: Lutz Kampert /Ulli Dackweiler

Erst preschte Amprion vor knapp zwei Jahren vor und erklärte ohne jegliche gesetzliche Grundlage, ohne Umweltverträglichkeitsprüfung und ohne Bürgerbeteiligung, dass in Osterath ein großer Stromkonverter gebaut werden soll und es dazu keine Alternative gebe. Nach großen Protesten erklärte der Übertragungsnetzbetreiber, dass in einem transparenten Verfahren nach geeigneten Standorten gesucht werden solle und lud als Zeichen guten Willens freiwillig ein Dutzend Kommunen ein, gemeinsam Kriterien zu erarbeiten. Und bei der Präsentation dieser Kriterien in der vergangenen Woche wurde nun das zentrale Kriterium der Städte und Gemeinden - "im Umfeld des Standorts leben möglichst wenige Menschen" - abgeschwächt zu einem Mindestabstand zur Wohnbebauung von 200 Metern.

 Mit einer Menschenkette demonstrierten die Osterather 2013.

Mit einer Menschenkette demonstrierten die Osterather 2013.

Foto: Dackweiler, Ulli (ud)

Was entgegnen Sie dem Meerbuscher Bürgermeister, der sagt: "Was Amprion hier vorlegt, ist völlig unakzeptabel"?

Bouillon Diese Reaktion bedauern wir. Der Kriterienkatalog macht deutlich, dass wir Anregungen aufgenommen haben und wichtige Anliegen wie der Abstand zur Wohnbebauung berücksichtigt werden. In dem neu aufgesetzten stufenweisen Verfahren zur Standortsuche des Konverters werden seit letztem Jahr die Städte und Kommunen beteiligt. Der Workshop mit den Kommunen im Dezember letzten Jahres zeigte aber auch, dass es auch gegenteilige Auffassungen zu denselben Kriterien geben kann. Es gibt insofern natürlich auch Kompromisse, mit denen nicht alle zufrieden sind.

Die Kommunen im Suchraum wünschten sich aber übereinstimmend, dass im Umfeld des Konverterstandorts möglichst wenige Menschen leben. Ihr Unternehmen erklärt nun, die Anzahl der Menschen sei nach Amprion-Auffassung keine ausreichende Bewertungsgrundlage. Wie kommen Sie zu dieser Auffassung?

Bouillon Wir suchen auf jeden Fall nach einem Standort, bei dem ein möglichst großer Abstand zur Wohnbebauung eingehalten werden kann. Der Kriterienkatalog sieht vor, dass der Standort für den Konverter einen Abstand von mindestens 200 Meter zur Wohnbebauung aufweist. Bei der Anzahl der Menschen unterstellt man ja, dass wenige Menschen im Umfeld einer solchen Anlage weniger wichtig sind als viele. Das finden wir schwierig und könnte als ungerecht empfunden werden.

Als Argument führt Ihr Unternehmen auch an, dass die Anzahl der in der Nähe des Standortes lebenden Menschen "schwer zu erheben" sei. Hat Ihr Unternehmen denn mal bei den Kommunen nachgefragt, ob sie diese Zahlen liefern könnten? Die Stadt Meerbusch wäre dazu laut eigener Aussage binnen weniger Stunden in der Lage.

Bouillon Sicher kann man diese Zahlen erhalten. Wie gesagt: Bei der Anzahl der Menschen unterstellt man, dass wenige Menschen im Umfeld einer Konverterstation weniger wichtig sind als viele. Das Kriterium eines möglichst großen Abstands zu den Anwohnern hat ja genau das Ziel, um das es sicher allen geht: der Schutz des Menschen.

Amprion hat erklärt, dass der Wunsch der Kommunen "indirekt umgesetzt" werde. Sie haben dazu ein "Rückstellungskriterium" eingeführt, das 200 Meter Abstand des Konverters zur Wohnbebauung vorsieht. Was bedeutet "Rückstellungskriterium" konkret?

Bouillon Ein Rückstellungskriterium dient der Eingrenzung möglicher Standortbereiche und wird bei der Reihenfolge aller Kriterien vor den Abwägungskriterien angewendet. Flächen, die das Rückstellungskriterium nicht erfüllen, werden in der Suche buchstäblich zurückgestellt und nur betrachtet, wenn keine anderen Flächen, die das Kriterium erfüllen, gefunden werden. Konkret: Zunächst werden die drei Ausschlusskriterien angewendet: Die Fläche muss eine bestimmte Größe und Zuschnitt haben, darf keine mit Wohnbebauung besiedelte Fläche sein und auch nicht in einem rechtlich streng geschützten Gebiet liegen. Auf die Flächen, die dies erfüllen, werden dann als zweiten Schritt die Rückstellungskriterien angewendet. Wenn eine Fläche zum Beispiel nicht 200 Metern zur Wohnbebauung aufweist, wird sie nicht weiter betrachtet und in der Suche zurückgestellt. Wir gehen davon aus, dass wir genug Standortflächen finden, die dies erfüllen.

Zu einem transparenten Verfahren gehört ja nicht nur, dass die Kriterien der Suche vorher feststehen, sondern auch, wie sie gewichtet werden. Genau diese Angabe fehlt aber in Ihrem Kriterienkatalog. Dabei hatte die Bundesnetzagentur die Ergänzung angemahnt...

Bouillon Eine Abwägung und Gewichtung erfolgt dann, wenn die Standortflächen identifiziert sind.

Der Stromkonverter soll über eine Stichleitung ans Umspannwerk Osterath angeschlossen werden. Dabei räumt Amprion auch die Möglichkeit ein, dass die Stichleitung an eine vorhandene Höchstspannungsleitung angeschlossen wird, die zum Umspannwerk führt. Im Kriterienkatalog heißt es nun wörtlich: "In einer ersten Stufe suchen wir im Abstand von bis zu drei Kilometern von einer bestehenden Höchstspannungsleitung." Von einer zweiten Stufe ist keine Rede mehr. Wie sähe denn Stufe zwei aus?

Bouillon Auch hierbei handelt es sich um ein Rückstellungskriterium. Sollten wir keine Grundstücke in drei Kilometer Nähe zu 380-kV-Leitungen, auf denen die Führung des Gleichstromsystems von Ultranet möglich ist, finden, suchen wir auch in größerer Entfernung als den drei Kilometern.

Amprion-Mitarbeiter hatten im Kreisumweltausschuss den Eindruck vermittelt, der finale Kriterienkatalog sei mit der Aufsichtsbehörde - der Bundesnetzagentur - abgestimmt. Das hat die Bundesnetzagentur dementiert.

Bouillon "Abgestimmt" geht schlicht zu weit. Der Bundesnetzagentur ist der Kriterienkatalog bekannt, und auch von ihr haben wir Rückmeldung dazu im Vorfeld erhalten.

Ursprünglich sollte die Suche ja schon im Februar starten. Jetzt haben wir bereits fast Ende April. Wann will Ihre Firma mit der Suche beginnen?

Bouillon Die Suche hat mit Abschluss des finalen Kriterienkatalogs begonnen und wir werden - erst den Kommunen, dann den Bürgern - die Ergebnisse möglicher Standortflächen im Juni vorstellen.

Neu ist auch, dass Amprion Ende Juni nun nicht mehr - wie bisher versprochen - mehrere mögliche Standorte für den Konverter präsentieren will, sondern Standortareale. Das heißt im Klartext doch nichts anderes als: Die Bürger bleiben weiter im Unklaren, wo genau der Stromkonverter gebaut wird.

Bouillon Im Juni wird es durchaus konkreter. Wir gehen von Standortbereichen aus, weil die nach den Kriterien geeigneten Flächen ja schlichtweg auch größer sein können als genau die notwendige Mindestgröße für den Konverter. Die Ungeduld mancher Bürger können wir nachvollziehen. Gleichzeitig ist es uns wichtig, bei der Suche sorgfältig und nach einem nachvollziehbaren Verfahren vorzugehen. Die Suche und Prüfung von mehreren Alternativen nach diesem neuem Vorgehen braucht Zeit.

Wie viele Firmen haben sich bei Amprion denn zwischenzeitlich beworben, den Stromkonverter bauen zu dürfen?

Bouillon Dazu dürfen wir im laufenden EU-Ausschreibungsverfahren keine Aussage treffen.

MARTIN RÖSE FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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