Meerbusch Wenn sich Wildfremde in die Arme fallen

Meerbusch · Die evangelische Kirchengemeinde Büderich bot gestern am Weltknuddeltag Umarmungen am Deutschen Eck an. Passanten reagierten unterschiedlich — manche gingen weiter, andere waren tief berührt.

Weltknuddeltag: So umarmen sich die Büdericher
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Weltknuddeltag: So umarmen sich die Büdericher

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"Warum soll ich mich denn umarmen lassen?", fragt eine Passantin. "Weil es gut tun", antwortet Jutta Weigler, Vikarin der Ev. Kirchengemeinde Büderich. "Gut, dann umarmen Sie mich." Gesagt, getan - und es gefällt.

"Umarmung kostenlos" oder "free hugs" wurden gestern am Deutschen Eck in Büderich angeboten. Passend zum Weltknuddeltag, dem "National Hugging Day", der in den USA seit über 20 Jahren gefeiert wird. In Büderich am Deutschen Eck war gestern Premiere. Bei der Recherche zu einem Jugendgottesdienst im vergangenen Jahr stieß Pfarrer Wilfried Pahlke von der evangelischen Kirchengemeinde Büderich auf diesen besonderen Tag und berichtete seiner Gemeinde davon. "Das sollten wir auch einmal machen", lauteten viele Reaktionen.

So hielten neben dem Bus der Kirchengemeinde Teilnehmende bunte Transparente hoch: "Free Hugs", "Umarmung gratis" und "Weltknuddeltag". Auf einem der Transparente ist sogar ein sich umarmendes Pärchen zu sehen. "Nichts ist umsonst" sagt das Mädchen auf dem Transparent — "Liebe schon", antwortet der Junge. Die Kunstwerke stammen von Julia und Nilay. Sie haben die Plakate zusammen mit Sandra Waldermann-Scherhak entworfen. Die beiden 14-Jährigen absolvieren gerade ein Praktikum in der Naturheilpraxis von Waldermann-Scherhak. "Es war superschön", lautet das Resümee der beiden zum Knuddeltag in Büderich. Die Jugendlichen gingen immer erneut auf Passanten zu und verteilten Infoblätter. "Viele sind erst mal erschrocken, als wir kamen", berichten Julia und Nilay. "Doch die meisten waren interessiert und haben sich auch gerne umarmen lassen." Schade fanden sie, wenn die Leute einfach weitergegangen sind.

Viele jedoch blieben stehen. "Wir waren gerade vorher bei der Fußpflege", sagte eine 79-jährige Büdericherin, die mit ihrem Lebensgefährten zum Stand der Kirchengemeinde kam. "Und wir wollten mal schauen, ob noch jemand da ist." Und sie ließen sich gerne von allen umarmen. "Knuddeln — das muss einfach sein", meinte die ältere Dame und strahlte über das ganze Gesicht.

"Wollen Sie umarmt werden?" Diese Frage haben die Gemeindemitglieder häufig gestellt in den vier Stunden, in denen sie am Deutschen Eck standen. "Eine Umarmung tut gut", bestärkte Vikarin Weigler gegenüber einer Passantin. "Ja, ich weiß", meinte die und fügte an: "Doch das ist Zeitverschwendung." Und schon hastete sie weiter.

Schade für sie. "Die Menschen, die ablehnen wissen gar nicht, was sie verpassen", meinte eine andere, die sich sowohl auf dem Hinweg zum Einkaufen umarmen ließ, als auch auf dem Rückweg. "Es hat sich auf jeden Fall gelohnt", meinte Weigler. "Viele haben sich wirklich gefreut." Natürlich sei es ungewohnt, jemanden zu umarmen, den man gar nicht kennt, vielleicht sogar etwas grenzwertig. "Doch in dem Moment der Umarmung habe ich gar nicht darüber nachgedacht", erklärte sie ein wenig erstaunt. "Und es hat sich überhaupt nicht mehr fremd angefühlt."

Dieses Gefühl der plötzlichen Nähe mit einem eigentlichen wildfremden Menschen konnte auch Bernd Opderbeck nach den vielen "Free Hugs", die er an diesem Tag verteilt hatte, bestätigen. "Vielleicht werden dadurch Erinnerungen ausgelöst an andere, frühere Umarmungen. Mit anderen Menschen, die man gerne hat oder hatte." Manche hatten gar Tränen in den Augen, nachdem sie umarmt wurden.

Körperkontakt ist etwas elementares, bestätigen unterschiedliche Studien aus der Haptik-Forschung. Ohne liebevolle Berührung verkümmern Menschen, weiß Privatdozent Martin Grunwald, Leiter des Haptik-Forschungslabors der Universität Leipzig. Menschen fühlen sich durch Umarmungen wohler, es werden weniger Stresshormone gebildet, dafür aber Glückshormone wie Oxytocin. Zudem wird das Immunsystem gestärkt und das Risiko von Herzerkrankungen sinkt.

Pfarrer Pahlke ist sehr zufrieden mit der Aktion. "Viele sind extra gekommen, um sich knuddeln zu lassen, und andere konnten wir mit einer Umarmung tief berühren. Sie waren dankbar für diesen Augenblick menschlicher Wärme und Zuneigung." Ein wenig enttäuscht ist er über den geringen Publikumsverkehr um die Mittagszeit am Deutschen Eck. Vielleicht lag es auch an dem nasskalten Wetter. "Nächstes Jahr machen wir auf jeden Fall wieder mit am Weltknuddeltag — vielleicht jedoch an anderer Stelle", erklärte Pahlke. Der Weltknuddeltag habe übrigens auch einen christlichen Hintergrund. Denn in im Matthäusevangelium heißt in der Übersetzung von Martin Luther "Jesus nahm die Kinder zu sich, legte die Hände auf sie und herzte sie." Im griechischen Urtext bedeutet dieses "herzen" nichts anderes als "knuddeln".

(RP)
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